Ad-hoc-Praxis im Jahr 2024

16. Januar 2025
- Geschäftsergebnisse und Prognosen auch 2024 dominierende Themen von Ad-hoc-Mitteilungen
- In der Regel lediglich verhaltene Kursreaktionen auf die Veröffentlichung von Ad-hoc-Mitteilungen
- EU Listing Act: ESMA veröffentlicht Liste mit Ad-hoc-Veröffentlichungspflichten bei gestreckten Geschehensabläufen zum Zwecke der Konsultation
Anzahl der Ad-hoc-Veröffentlichungen
Die Anzahl der veröffentlichten Ad-hoc-Mitteilungen im DAX bleibt seit einigen Jahren auf konstantem Niveau mit leicht steigender Tendenz. Die 40 im DAX gelisteten Emittenten veröffentlichten in 2024 rund 2,4 Ad-hoc-Mitteilungen pro Jahr (Vorjahr: 2,1). Im Vergleich zum Vorjahr erhöhte sich die Anzahl der Ad-hoc-Mitteilungen damit leicht auf insgesamt knapp 100 Mitteilungen.

Spitzenreiter mit fünf veröffentlichten Ad-hoc-Mitteilungen war 2024 Sartorius, gefolgt von adidas, Daimler Truck Holding, Deutsche Bank, MTU Aero Engines und Porsche Automobil Holding mit jeweils vier Mitteilungen (Airbus veröffentlichte insgesamt 13 Ad-hoc-Mitteilungen, die aber überwiegend auf Zwischenmeldungen zu einem laufenden Aktienrückkaufprogramm entfielen und daher hier ausgeblendet werden). Fresenius Medical Care und Siemens Healthineers veröffentlichten im vergangenen Jahr keine Ad-hoc-Mitteilung.
Themen, Beobachtungen und Trends
Ad-hoc-Mitteilungen können bestimmten immer wiederkehrenden Fallgruppen bzw. Themen zugeordnet werden. Im Jahr 2024 verteilten sich die Ad-hoc-Mitteilungen auf Basis der bei EQS (https://www.eqs-news.com/de/) angegebenen Schlagworte wie folgt (vereinzelt können mehrere Fallgruppen betroffen sein, z.B. Geschäftszahlen und Prognosen):

Folgende Beobachtungen und Trends können in diesem Zusammenhang festgehalten werden:
- Auch 2024 betraf eine Vielzahl der veröffentlichten Ad-hoc-Mitteilungen Geschäftsergebnisse und Prognosen. Rund die Hälfte aller Ad-hoc-Mitteilungen wurde durch die Anpas-sung der Ergebnisprognose und/oder die Veröffentlichung von vorläufigen Geschäftser-gebnissen ausgelöst. Die anstehenden Änderungen durch den EU Listing Act, die unter anderem auch den Zeitpunkt der Veröffentlichung von ad-hoc-relevanten Prognosen und Geschäftsergebnissen betreffen, haben daher eine hohe Praxisrelevanz (siehe dazu die Ausführungen unten).
- 2024 erfolgten erneut nur wenige Ad-hoc-Mitteilungen zu M&A-Transaktionen, Kooperationen und Umstrukturierungen. Der rückläufige Trend der letzten Jahre hat sich damit erneut bestätigt (vgl. unseren Newsletter zu der Ad-hoc-Praxis 2023 vom 25. Januar 2024). Während der Rückgang 2023 vor allem aus dem insgesamt schwachen M&A-Markt resultierte, ist der Trend im Jahr 2024 angesichts vermehrter M&A-Aktivitäten wohl damit zu erklären, dass die großen insiderrechtlich relevanten Transaktionen ausgeblieben sind.
- Personalangelegenheiten waren 2024 deutlich häufiger Gegenstand von Ad-hoc-Mitteilungen als in den Jahren zuvor. Während 2023 im DAX lediglich eine Personalangelegenheit im Wege der Ad-hoc-Mitteilung bekannt gemacht wurde, erfolgten 2024 insgesamt zwölf Ad-hoc-Mitteilungen zu Personalien. Hintergrund ist zum einen, dass es bei einigen DAX-Unternehmen Wechsel im Vorstandsvorsitz gab (z.B. MTU Aero Engines, Commerzbank und Deutsche Börse), und zum anderen, dass in Einzelfällen zwei Ad-hoc-Mitteilungen zu der Personalangelegenheit veröffentlich wurden. MTU Aero Engines veröf-fentlichte beispielsweise am 30. Oktober 2024 zunächst die Information, dass der Vor-standsvorsitzender Lars Wagner seinen Vertrag nicht verlängern wird. Am 17. Dezember 2024 wurde dann bekanntgegeben, dass der Aufsichtsrat beschlossen hat, Herrn Dr. Johannes Bussmann zum neuen Vorstandsvorsitzenden zu bestellen. Seltenheitswert hatte die Ad-hoc-Mitteilung von SAP, die mit der Nachfolge von Hasso Plattner eine personelle Veränderung im Aufsichtsrat betraf.
- Ferner entfielen – wie in den Jahren zuvor – einige Ad-hoc-Mitteilungen auf Bekanntmachungen zu Aktienrückkäufen und/oder Dividenden. Typischerweise geht es um die Ankündigung eines neuen Rückkaufprogramms oder die Anpassung der Dividendenpolitik. In einigen Fällen wurden beide Themen auch gemeinsam beschlossen und sodann in einer Mitteilung verbunden, so z.B. von Beiersdorf in der Ad-hoc-Mitteilung vom 5. Februar 2024.
- Zwei DAX-Emittenten veröffentlichen Ad-hoc-Mitteilungen zu Rechtssachen. Während die Deutsche Bank über den Rechtsstreit zur Postbank-Übernahme informierte, berichtete Infineon Technologies über den Qimonda-Rechtsstreit. In beiden Fällen wurde ein Vergleich erzielt und bekanntgegeben.
- Darüber hinaus gab es vereinzelt Ad-hoc-Mitteilungen, die sich keiner der vorstehenden typischen Kategorien zuordnen lassen. Exemplarisch für diese sonstigen Mitteilungen stehen Mitteilungen zu der Emission von Anleihen oder der Platzierung von eigenen Aktien. Merck berichtete über die Einstellung einer wichtigen Phase-III-Studie.
Verhaltene Kursreaktionen
In unserer diesjährigen Analyse der Ad-hoc-Praxis haben wir uns auch die Kursreaktionen auf die veröffentlichten Ad-hoc-Mitteilungen näher angesehen. Die durchschnittliche (marktbereinigte, kurzfristige) Kursreaktion lag bei rund vier Prozent. Die ist insofern bemerkenswert, als das erhebliche Kursbeeinflussungspotential wesentliche Voraussetzung für die Veröffentlichung einer Ad-hoc-Mitteilung ist.
Die empirische Auswertung zeigt aber nun, dass die Kursausschläge weit überwiegend weniger als fünf Prozent (in die eine oder andere Richtung) betrugen. Bei jeder vierten Ad-hoc-Mitteilungen lag die Kursreaktion sogar bei unter einem Prozent. Nur vereinzelt stieg bzw. sank der Aktienkurs des betreffenden Emittenten um mehr als zehn Prozent. So stieg beispielsweise der Aktienkurs von Zalando kräftig an, als im März 2024 ein Aktienrückkaufprogramm angekündigt wurde. Und der Aktienkurs der Deutschen Bank fiel spürbar nach der überraschenden Ad-hoc-Mitteilung am 26. April 2024 im Nachgang zu der mündlichen Verhandlung im Rechtsstreit zur Postbank-Übernahme und der Bildung von Rückstellungen.

Bei unserer Auswertung konnten wir kein eindeutiges Muster dergestalt feststellen, dass bei bestimmten Fallgruppen (z.B. Prognoseanpassungen) stärkere Kursreaktionen erfolgen als bei anderen Fallgruppen. Ferner halten sich die positiven und negativen Kursreaktionen mehr oder weniger die Waage. In der Regel dürfte die Kursreaktion auch maßgeblich von der konkreten Markterwartung und dem allgemeinen Marktumfeld abhängen, von Umständen also, die sich nicht ohne Weiteres ermitteln lassen.
Anstehende Änderungen durch den EU Listing Act
Ende 2024 ist der lang erwartete EU Listing Act in Kraft getreten. Einige Regelungen des EU Listing Act wie zum Beispiel die Änderungen des Art. 5 MAR (Aktienrückkäufe) und des Art. 11 MAR (Marktsondierungen) galten mit sofortiger Wirkung. Die Änderungen im Bereich der Ad-hoc-Publizität gelten indessen erst ab Mitte 2026 (Art. 4 Abs. 3 EU Listing Act).
Dies gilt insbesondere für den neuen Art. 17 Abs. 1 MAR, der die Ad-hoc-Publizitätspflicht bei gestreckten Geschehensabläufen reformiert. Danach sind Zwischenschritte künftig von der Ad-hoc-Publizitätspflicht ausgenommen. Nur der finale Umstand oder das finale Ereignis ist unverzüglich nach seinem Eintreten per Ad-hoc-Mitteilung zu veröffentlichen. Bis zu diesem Zeitpunkt bedarf es zukünftig keines Beschlusses über den Aufschub der Veröffentlichung mehr (vgl. Art. 17 Abs. 4a MAR).
Zu beachten ist allerdings, dass die Definition der Insiderinformation als solche unverändert bleibt, so dass die Insiderverbote (Art. 8, 10 MAR) bereits ab dem früheren Entstehen der Insiderinformation greifen. Auf die Veröffentlichungspflicht des Emittenten schlägt dies im Falle eines Informationslecks durch. Denn wenn die Vertraulichkeit nicht mehr gewährleistet ist, hat der Emittent trotz der Herausnahme der Zwischenschritte in Art. 17 Abs. 1 MAR – wie bislang während des Selbstbefreiungszeitraums – unverzüglich eine Ad-hoc-Mitteilung zu veröffentlichen. Im Grundsatz wird der bisher geltende Gleichlauf zwischen dem Eingreifen von Insiderverboten und der Ad-hoc-Publizitätspflicht des Emittenten bei gestreckten Geschehensabläufen aber aufgegeben.
Von Bedeutung für die Anwendung des neuen Regimes ist insbesondere Erwägungsgrund 67, der im Laufe des europäischen Gesetzgebungsverfahrens mehrfach geändert wurde. In der nun verabschiedeten Fassung lautet Erwägungsgrund 67 auszugsweise wie folgt:
"In einem zeitlich gestreckten Vorgang sollte sich die Offenlegungspflicht nicht auf reine Absichtsbekundungen, laufende Verhandlungen oder — je nach den Umständen — die Fortschritte bei Verhandlungen, wie etwa ein Treffen zwischen Unternehmensvertretern, erstrecken. Der Emittent sollte nur Informationen im Zusammenhang mit einem bestimmten Umstand oder einem bestimmten Ereignis, der bzw. das in dem zeitlich gestreckten Vorgang herbeigeführt werden soll oder hervorgebracht wird (finales Ereignis), so bald wie möglich nach dem Eintreten dieses Umstands oder Ereignisses offenlegen. Im Falle eines Unternehmenszusammenschlusses beispielsweise sollte die Offenlegung so bald wie möglich erfolgen, nachdem eine Einigung über die Kernelemente dieses Zusammenschlusses erzielt wurde und die Unternehmensleitung daraufhin die Unterzeichnung einer Vereinbarung über diesen Zusammenschluss beschlossen hat. Im Allgemeinen sollte bei vertraglichen Vereinbarungen davon ausgegangen werden, dass das finale Ereignis eingetreten ist, wenn eine Einigung über die Kernbedingungen dieser Vereinbarung erzielt wurde. […]" [Hervorhebung durch die Verfasser]
Einzelheiten zur Veröffentlichung von Zwischenschritten sollen von der Europäischen Kommission ausgearbeitet und in einer delegierten Verordnung geregelt werden (Art. 17 Abs. 12 MAR). Die Verordnung soll insbesondere eine nicht erschöpfende Liste mit finalen Ereignissen und Umständen gestreckter Geschehensabläufe sowie deren Veröffentlichungszeitpunkte enthalten ("Liste gestreckter Geschehensabläufe").
Hierfür hat die Europäischen Kommission die ESMA beauftragt, die Ende 2024 ein entsprechendes Consultation Paper ("CP") vorgelegt hat (ESMA74-1103241886-1086). Das CP enthält in Annex IV den Entwurf einer delegierten Verordnung ("Delegierte VO") einschließlich der Liste gestreckter Geschehensabläufe sowie ausführliche Erläuterungen und Hintergrundinformationen. Die Delegierte VO ist nach unserer Einschätzung sorgfältig ausgearbeitet worden. Die ESMA hat unter anderem die Marktpraxis in den EU-Mitgliedstaaten und in anderen großen Jurisdiktionen außerhalb der EU berücksichtigt (vgl. dazu auch die lesenswerte Zusammenfassung der Rechtslage in den USA, Japan, Kanada und Australien in Annex V). Nach erster Einschätzung erscheint die Delegierte VO durchaus geeignet, zu höherer Rechtssicherheit auf Seiten der Emittenten im Hinblick auf den Veröffentlichungszeitpunkt zu führen, auch wenn dadurch die Insider-Compliance insgesamt nicht weniger komplex werden wird.
Das CP enthält zu den vorgeschlagenen Regelungen außerdem konkrete Fragen, zu denen alle Interessierten bis zum 13. Februar 2025 Stellung nehmen können.
Übergreifende Erwägungen der ESMA zu gestreckten Geschehensabläufen
Nachfolgend fassen wir die aus unserer Sicht für die Praxis wichtigsten Aussagen des CP in Stichpunkten zusammen.
- Einleitend weist die ESMA darauf hin, dass stets im Einzelfall zu prüfen ist, ob nach der allgemeinen Definition in Art. 7 MAR eine Insiderinformation vorliegt (vgl. Rn. 24 CP sowie Erwägungsgrund 5 Delegierte VO). Sofern dies nicht der Fall ist (weil der in Rede stehende Sachverhalt in der konkreten Situation zum Beispiel kein erhebliches Kursbeeinflussungspotential aufweist), stellt sich die Frage einer Veröffentlichungspflicht nicht, selbst wenn der betreffende Sachverhalt abstrakt in der Liste erfasst ist.
- Zudem weist die ESMA richtigerweise darauf hin, dass unverändert die Möglichkeit besteht, eine Selbstbefreiung nach Art. 17 Abs. 4 MAR aktiv zu beschließen (vgl. Rn. 26 CP sowie Erwägungsgrund 6 Delegierte VO). Denn auch wenn der betreffende Sachverhalt den Status des in der Liste definierten finalen Ereignisses erreicht hat, werden vielfach Konstellation bestehen, in denen der Emittent unverändert ein berechtigtes Interesse hat, die Veröffentlichung der Insiderinformation weiter aufzuschieben.
- Die Liste gestreckter Geschehensabläufe ist nicht abschließend. Sachverhalte, die nicht in der Liste aufgeführt sind, müssen auf einer Einzelfallbasis beurteilt werden (vgl. Rn. 30 CP sowie Erwägungsgrund 8 Delegierte VO). Dabei sollen die Erwägungen für die Liste gestreckter Geschehensabläufe analog berücksichtigt werden (vgl. Rn. 31 CP).
- Die ESMA unterteilt die gestreckten Geschehensabläufe im Ausgangspunkt in drei Oberkategorien, um den von ihr verfolgten Ansatz bzgl. der Ermittlung des Veröffentlichungszeitpunkts näher zu erläutern. Bei dieser grundsätzlichen Kategorisierung stellt die ESMA maßgeblich darauf ab, ob sich der gestreckte Sachverhalt allein in der Sphäre des Emittenten abspielt oder Dritte involviert sind, wobei zwischen Personen des Privatrechts, insbesondere Parteien auf der Gegenseite, und Behörden unterschieden wird. Im Falle der Involvierung von Behörden differenziert die ESMA wiederum zwischen Prozessen, die aktiv von den Emittenten betrieben werden (wie z.B. die Beantragung einer Lizenz), und solchen, bei denen die Einleitung und Steuerung bei der Behörde liegt und der Emittent eher das Objekt des Verfahrens ist.
- Nachfolgende Übersicht aus dem CP (Rn. 78) zeigt die übergreifenden Erwägungen der ESMA bei der Bestimmung der Veröffentlichungszeitpunkte in den einzelnen Konstellationen:

- In der ersten Kategorie, in der sich der gestreckte Sachverhalt allein in der Sphäre des Emittenten abspielt (z.B. konzerninterne Umstrukturierungen oder Kapitalmaßnahmen), soll es nach der ESMA auf die (finale) Entscheidung des Geschäftsführungsorgans ankommen (vgl. Rn. 57 ff. CP). Für einen weiteren Aufschub der Veröffentlichung wegen der erforderlichen Einholung der Zustimmung des Aufsichtsrats wäre dann eine aktiv zu beschließende Selbstbefreiung erforderlich.
- Die zweite Kategorie ist dadurch gekennzeichnet, dass sich der Emittent in Verhandlungen mit einer anderen Partei befindet. Insofern kann es nicht allein auf die Entscheidungsfindung beim Emittenten ankommen. Hier unterscheidet die ESMA zwischen gewöhnlichen und außergewöhnlichen Transaktionen. Bei gewöhnlichen Transaktionen soll der Zeitpunkt der vertraglichen Bindung entscheidend sein, während es bei außergewöhnlichen Transaktionen – unter Bezug auf die Ausführungen in Erwägungsgrund 67 – darauf ankommen soll, dass das jeweils zuständige Organ auf der Basis einer Einigung über die Kernelemente der Transaktion oder die Kernbedingungen des Vertrags sein "Sign-off" gegeben hat (vgl. Rn. 64 ff. CP)
- In der dritten Kategorie mit der Involvierung von Behörden soll es im Falle des aktiv von dem Emittenten gesteuerten Prozesses auf die Stellung des förmlichen Antrags ankommen, während bei einem Verwaltungsverfahren, bei dem der Emittent bzw. seine Geschäftstätigkeit eher Gegenstand der behördlichen Untersuchungen sind, die Mitteilung der Entscheidung der Behörde entscheidend sein soll (vgl. Rn. 71 ff. CP). Dies soll auch dann gelten, wenn bereits zuvor ein Informationsaustausch zwischen Emittenten und Behörde stattgefunden hat, der Emittent also Kenntnis von den Untersuchungen der Behörde hat.
Einzelheiten zur Liste gestreckter Geschehensabläufe
Annex I des Entwurfs der Delegierten VO (Annex IV des CP) enthält sodann auf Basis der vorstehenden Erwägungen die eigentliche Liste zu den gestreckten Geschehensabläufen mit den nachfolgenden sieben themenspezifischen Fallgruppen, die konkrete Beispiele und deren Veröffentlichungszeitpunkte enthalten:
- Business Strategy (mergers, takeover bid etc.),
- Capital Structure (capital increase, share buyback etc.),
- Provision of financial Information (financial reports, forecasts etc.),
- Corporate Governance (change of management etc.),
- Interventions by regulators (application for a licence or authorization etc.),
- Credit Institutions (SREP etc.),
- Legal Proceedings and Sanctions (administrative proceedings etc.).
An dieser Stelle können nur einzelne Punkte zu den Beispielen in der Liste gestreckter Geschehensabläufe hervorgehoben und mit einer ersten Einschätzung versehen werden:
- Bei M&A-Transaktionen im weiteren Sinne (Fallgruppe 1: Business Strategy) soll nach der ESMA für die Veröffentlichung der Sign-off der Geschäftsleitung nach Einigung über die core conditions entscheidend sein. Insofern liegt der künftige Veröffentlichungszeitpunkt – verglichen mit der derzeitigen Rechtslage – später, allerdings regelmäßig wohl noch vor dem Zeitpunkt, zu dem die Parteien die Transaktion aufgrund berechtigter Interessen bekannt geben wollen, so dass das Institut der aktiv zu beschließenden Selbstbefreiung bis zum Zeitpunkt der wirksamen Unterzeichnung der Transaktion nach ggf. erforderlicher Zustimmung des Aufsichtsrats weiter relevant bleiben wird.
- Zu der Erhöhung der Rechtssicherheit dürften auch die Ausführungen der ESMA zu Kapitalmaßnahmen wie Kapitalerhöhungen und Aktienrückkäufen führen (Fallgruppe 2: Capital Structure). Hier soll die Ad-hoc-Publizitätspflicht richtigerweise erst an den entsprechenden Beschluss der Geschäftsleitung und nicht an vorherige Zwischenschritte anknüpfen.
- Von großer Praxisrelevanz ist, dass die ESMA auch die Aufstellung von Geschäftszahlen und Prognosen (Fallgruppe 3: Provision of financial Information) in die Liste aufgenommen hat, was von der Praxis vielfach vorgeschlagen worden war (vgl. dazu das Diskussionspapier des Deutschen Aktieninstituts vom 8. Juli 2024). Es gibt damit kaum noch ad-hoc-pflichtige Sachverhalte, die nicht das Resultat eines gestreckten Geschehensablaufs im Sinne der MAR sind, was zugleich die Bedeutung des Listing Act unterstreicht. Bei Geschäftszahlen stellt die ESMA für die Veröffentlichungspflicht auf den Zeitpunkt ab, zu dem die Geschäftsleitung die Zahlen insgesamt (unbeschadet der Insiderrelevanz einzelner Kennzahlen) formal zur Kenntnis nimmt oder verabschiedet. Das dürfte regelmäßig (deutlich) später sein, als Emittenten derzeit zum Teil vorläufige Zahlen prüfen und ggf. veröffentlichen, aber auch wiederum nicht den Daten der regulären Finanzberichterstattung im Sinne des Finanzkalenders entsprechen. Für Gewinnwarnungen und andere (unterjährige) Prognoseanpassungen soll dies allerdings nicht gelten, diese sind unverzüglich zu veröffentlichen, sobald die entsprechenden Informationen vorliegen (vgl. Rn. 88 CP).
- Bei den behördlichen oder gerichtlichen Verfahren (Fallgruppe 7: Legal Proceedings and sanctions) ist insbesondere interessant, dass die ESMA im Falle von Ermittlungen oder Gerichtsverfahren – wie oben bereits erwähnt – auf den Zeitpunkt der formellen Zustellung der Entscheidung der Behörde oder des Gerichts abstellt, auch wenn sich Emittent und Behörde bereits zuvor in einem Austausch befunden haben. Das ist im Sinne der Rechtsicherheit und mit Blick auf die Führung des laufenden Verfahrens zu begrüßen, dürfte die Emittenten aber nicht davon entbinden, im Rahmen des laufenden Verfahrens zu prüfen, ob der Bildung von Rückstellungen selbständige Insiderrelevanz zukommt (vgl. hierzu die Ad-hoc-Mitteilung der Deutsche Bank vom 26. April 2024).
Wichtig zu betonen ist an dieser Stelle allerdings noch einmal, dass die Ausführungen in der Liste nur den Veröffentlichungszeitpunkt betreffen. Schon aus Gründen der Insider-Compliance (wie Erstellung von Insiderlisten, Vorbereitung von Notfall Ad-hocs, etc.) sowie mit Blick auf die Beachtung der gesetzlichen Insiderverbote werden die Emittenten ihre Prozesse unverändert so aufsetzen müssen, dass auch der (ggf. deutlich frühere) Zeitpunkt des Entstehens der Insiderinformation "auf dem Schirm" ist.
Keine Irreführung der Öffentlichkeit
Neben den Ausführungen zu den gestreckten Geschehensabläufen nimmt die ESMA im CP auch zu den Voraussetzungen der Selbstbefreiung Stellung. Hier hatte sie die Europäische Kommission damit beauftragt, Vorschläge zur Konkretisierung des Tatbestandsmerkmals "keine Irreführung der Öffentlichkeit" zu machen, weil dieses Merkmal durch den EU Listing Act durch folgende Passage ersetzt wurde:
"die Insiderinformationen, deren Offenlegung der Emittent […] aufzuschieben beabsichtigt, stehen nicht im Widerspruch zur letzten öffentlichen Bekanntmachung oder einer anderen Art der Kommunikation des Emittenten […] zu derselben Angelegenheit, auf die sich die Insiderinformationen beziehen;"
Nach Art. 17 Abs. 12 lit. b) MAR wird der Europäischen Kommission wiederum die Befugnis übertragen, im Wege eines delegierten Rechtsakts eine nicht abschließende Liste mit Sachverhalten zu erlassen, die diese Voraussetzung der Selbstbefreiung konkretisieren. Aus diesem Grund hat die ESMA auch dieses Thema in dem CP aufgenommen und einen Vorschlag für die Liste unterbreitet (siehe im Einzelnen Annex II der Delegierten VO).
Die dort genannten Sachverhalte betreffen insbesondere Veröffentlichungen des Emittenten zu prognostizierten Finanzergebnissen, Umweltauswirkungen von Produkten, wesentliche Änderungen in der Kapitalstruktur oder Unternehmensstrategie oder auch bezogen auf zuvor bekannt gegebene Transaktionen. Die relevanten Kommunikationskanäle sind in Art. 4 der Delegierten VO nicht abschließend aufgeführt und enthalten u.a. Presse-Mitteilungen, Social Media-Beiträge, Roadshows und Pre-Close-Calls.
Für die Praxis bedeutet dieses Verständnis der ESMA, dass ein Aufschub der Veröffentlichung immer dann nicht in Betracht kommt, wenn die fragliche Insiderinformation eine wesentliche Änderung im Vergleich zur letzten öffentlichen Mitteilung (oder zu den letzten Mitteilungen, wenn eine eindeutige Aussage nicht ausschließlich auf der Grundlage der letzten Bekanntmachung getroffen werden kann) in Bezug auf den der Insiderinformation zugrundeliegenden Sachverhalt darstellt (so explizit Rn. 124 CP). Die Bedingung gemäß Art. 17 Abs. 4 lit. b) MAR (in der Fassung der Delegierten VO) wäre dann nicht erfüllt, so dass der Anwendungsbereich der Selbstbefreiung deutlich eingeschränkt wird. Da umgekehrt die Notwendigkeit einer Selbstbefreiung bei gestreckten Geschehensabläufen nach dem neuen Regime in vielen Konstellationen entfällt (vgl. insofern den Hinweis der ESMA auf diese Korrelation in Rn. 114 CP), mag diese Einschränkung für die Praxis im Ergebnis hinnehmbar sein.
GLADE MICHEL WIRTZ steht für einen Austausch zu diesen Themen jederzeit gern zur Verfügung.
Sie können den Beitrag hier herunterladen.
Kontakt
Dr. Andreas Merkner
Partner
Kontakt
Telefon: +49 211 20052-280
Fax: +49 211 20052-100
Email: a.merkner(at)glademichelwirtz.com
Dr. Marco Sustmann
Partner
Kontakt
Telefon: +49 211 20052-270
Fax: +49 211 20052-100
Email: m.sustmann(at)glademichelwirtz.com
Dr. Alexander Retsch
Partner
Kontakt
Telefon: +49 211 20052-140
Fax: +49 211 20052-100
Email: a.retsch(at)glademichelwirtz.com