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Der gesetzliche Anspruch von Geschäftsleitern auf eine Mandatspause kommt – #stayonboard-Initiative wird zum Gesetz

28. Juni 2021

Am 11. Juni 2021 hat der Deutsche Bundestag das Gesetz zur Ergänzung und Änderung der Regelungen für gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in Führungspositionen in der Privatwirtschaft und dem öffentlichen Dienst (FüPoG II) (BT-Drs. 19/26689, 19/27633 und 19/30514) beschlossen. Ein Bestandteil des FüPoG II stellt dabei die gesetzliche Verankerung der Möglichkeit einer "Auszeit" und "Mandatspause" für Geschäftsleitungsmitglieder dar. Durch die gesetzliche Neuregelung haben die Geschäftsleitungsmitglieder von Unternehmen nunmehr unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit und in Fällen des Mutterschutzes sogar einen gesetzlichen Anspruch darauf, ihr Mandat temporär ruhen zu lassen.

Die Gesetzesänderung geht maßgeblich auf die Initiative #stayonboard zurück, in der sich im vergangenen Jahr namenhafte Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Rechtswissenschaft zusammengeschlossen hatten. Den Ausgangspunkt für die Gründung dieser Initiative bildete die gesellschaftliche Debatte über die Frage, ob es noch zeitgemäß sei, dass Vorstandsmitglieder ihr Amt auch für den Fall einer nur vorübergehenden Nichtausübung, wie etwa einer Schwangerschaft oder Elternzeit, niederlegen müssen, um keinem Haftungsrisiko für Entscheidungen ausgesetzt zu sein, die während ihrer Abwesenheit getroffen und umgesetzt werden. Der "Auslöser" dieser Debatte war der – seinerzeit rechtlich erforderliche – Rücktritt der Gründerin und Chief Creative Officer Delia Lachance von ihrem Amt als Vorstandsmitglied der Westwing Group AG, um in Mutterschutz gehen und Elternzeit in Anspruch nehmen zu können. Über die gesellschaftsrechtlichen Implikationen der Initiative #stayonboard hatten wir seinerzeit bereits berichtet.

In diesem Beitrag soll nun die gesetzliche Neuregelung, durch die Geschäftsleitungsmitglieder die Möglichkeit bzw. einen Anspruch ein temporäres Ruhenlassen ihres Mandats erhalten, näher beleuchtet werden, wobei ein besonderes Augenmerk auf die Voraussetzungen sowie die rechtliche Ausgestaltung der Mandatspause gelegt wird. Zum besseren Verständnis der gesetzlichen Neuregelung wird zunächst noch einmal kurz die Problematik der bislang geltenden Rechtslage skizziert.

I. PROBLEMATIK DER BISHERIGEN GESETZLICHEN AUSGANGSLAGE

Bislang sehen das Aktiengesetz (AktG), das SE-Ausführungsgesetz (SEAG) und auch das GmbH-Gesetz (GmbHG) keine Möglichkeit vor, dass Geschäftsleitungsmitglieder ihr Amt bzw. Mandant haftungsbefreiend temporär unterbrechen oder ruhen lassen können.

Ein Geschäftsleiter hat gemäß § 93 Abs. 1 S. 1 AktG, § 39 SEAG i.V.m. § 93 Abs. 1 S. 1 AktG bzw. § 43 Abs. 1 und 2 GmbHG während der Dauer seiner Bestellung fortwährend die Pflicht, bei seiner Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. Es besteht keine Möglichkeit, diese Pflicht auf andere Mitglieder der Geschäftsleitung mit haftungsbefreiender Wirkung zu übertragen. Selbst, wenn ein Mitglied der Geschäftsleitung sein Amt vorübergehend nicht wahrnimmt und sein Ressort von einem anderen Geschäftsleiter übernommen wird, besteht für das "pausierende" Mitglied gleichwohl weiterhin eine Überwachungspflicht im Hinblick auf die anderen Mitglieder der Geschäftsleitung. Im Falle eine Verletzung dieser Pflicht haftet das "pausierende" Mitglied der Geschäftsleitung gegenüber der Gesellschaft für daraus resultierende Schäden.

Will ein Geschäftsleitungsmitglied der zivilrechtlichen Haftung sowie ggf. auch einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit, z.B. wegen Verletzung der Insolvenzantragspflicht, entgehen, so muss es daher de lege lata sein Amt zwingend niederlegen.

Überdies können sich Geschäftsleitungsmitglieder auch nicht auf die Vorschriften des Mutterschutzgesetzes, die Elternzeit oder Pflegezeit berufen, um eventuell auf diesem Wege in den Genuss einer haftungsbefreienden Pause von ihrem Geschäftsleiteramt zu kommen, da die entsprechenden Regelungen ausschließlich auf Arbeitnehmer/innen Anwendung finden.

II. DER GESETZLICHE ANSPRUCH AUF EIN TEMPORÄRES RUHENLASSEN DES MANDATS

Durch das FüPoG II wird den Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft, den Vorstän-den oder geschäftsführenden Direktoren einer SE sowie den Geschäftsführern einer GmbH die Möglichkeit eröffnet, Anspruch auf eine temporäre, familiär oder persönlich bedingte Auszeit von ihrer Tätigkeit zu nehmen.

1. Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft

Der Anspruch von Mitgliedern des Vorstands einer Aktiengesellschaft auf ein temporäres Ruhenlassen des Mandats wird in § 84 Abs. 3 AktG n.F. geregelt, der – wie von #stayonboard seinerzeit vorgeschlagen – um einen Absatz 3 ergänzt wurde.

Nach § 84 Abs. 3 Satz 1 AktG n.F. haben die Vorstandsmitglieder einer Aktiengesell-schaft das Recht, den Aufsichtsrat um einen Widerruf ihrer Bestellung zu ersuchen, wenn sie aus Gründen des Mutterschutzes, der Elternzeit, der Pflege eines Familienangehörigen oder einer eigenen Erkrankung den ihnen als Vorstandsmitglied obliegenden Pflichten vorübergehend nicht nachkommen können. Ausgenommen von dieser Regelung sind le-diglich Alleinvorstände einer Aktiengesellschaft. Ihnen steht ein solcher Anspruch nicht zu. Diese Einschränkung ist auch zwingend, da die Aktiengesellschaft ansonsten "füh-rungslos" wäre. Die praktische Bedeutung dieser Regelung dürfte indes begrenzt sein, da die meisten Vorstände von Aktiengesellschaften mit mehr als einer Person besetzt sein dürften. Unbeachtlich ist es indes, wenn ein Mitglied eines zweiköpfigen Vorstandes einer Aktiengesellschaft mit einem Grundkapital von mehr als EUR 3 Mio. von der Möglichkeit der Mandatspause Gebrauch macht und sodann entgegen § 76 Abs. 2 Satz 2 AktG nur noch ein einziger Vorstand amtiert (vgl. § 83 Abs. 3 Satz 6 AktG n.F.).

Schwangere Vorstandsmitglieder haben gem. § 84 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AktG n.F. einen verbindlichen Anspruch auf den Widerruf ihrer Bestellung durch den Aufsichtsrat für die Dauer der in § 3 Abs. 1 und 2 des Mutterschutzgesetzes festgelegten Schutzfristen, d.h. für einen Zeitraum von sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Geburt des Kindes. Ein Widerspruchsrecht steht dem Aufsichtsrat insoweit ausdrücklich nicht zu. Nach Ablauf der vorgenannten Schutzfristen hat das Vorstandsmitglied gegenüber dem Aufsichtsrat einen Anspruch auf Wiederbestellung.

Nach § 84 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 AktG n.F. haben Vorstandsmitglieder zudem die Möglich-keit, den Aufsichtsrat für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten um einen Widerruf ihrer Bestellung zu ersuchen, wenn sie Elternzeit nehmen möchten, einen Familienange-hörigen pflegen oder selbst erkrankt sind. Die Vorstandsmitglieder haben in diesen Fällen jedoch – anders als beim Mutterschutz – keinen rechtsverbindlichen Anspruch auf einen Widerruf ihrer Bestellung. Der Aufsichtsrat hat nämlich die Möglichkeit, dem Verlangen zu widersprechen, wenn und soweit diesem ein wichtiger Grund aus der Sphäre der Ge-sellschaft entgegensteht. Zu denken ist hier insbesondere an Fallkonstellationen, in de-nen das Verlangen zur Unzeit geltend gemacht wird, z.B. wenn in dem betroffenen Ress-ort eine Vielzahl wichtiger Entscheidungen ansteht.

In den Fällen der Elternzeit, der Pflege eines Familienangehörigen oder im Falle einer eigenen Erkrankung haben Vorstandsmitglieder nach § 84 Abs. 3 Satz 3 AktG n.F. zudem die Möglichkeit, ihre Bestellung für die Dauer eines Zeitraums von bis zu zwölf Monaten widerrufen zu lassen. Auch in diesem Fall steht dem Aufsichtsrat allerdings ein Wider-spruchsrecht zu, dessen inhaltliche Anforderungen jedoch deutlich geringer sind als bei einer dreimonatigen Auszeit. Insoweit muss nämlich kein wichtiger Grund vorliegen. Die Entscheidung über den Widerspruch steht vielmehr im freien Ermessen des Aufsichtsrats.

In rechtstechnischer Hinsicht ist die vorübergehende Auszeit bzw. das Ruhenlassen des Mandats als Widerruf der Bestellung, verbunden mit der Zusicherung einer Wiederbestellung nach dem Ende der Auszeit, ausgestaltet. Der Widerruf der Bestellung als Vorstandsmitglied ist erforderlich, damit die Vorstandsmitglieder für die Dauer ihrer Mandatspause nicht den eingangs beschriebenen Haftungsrisiken für Entscheidungen ausgesetzt sind, die in ihrer Abwesenheit getroffen werden. Der Anspruch auf Wiederbestellung kann dadurch erfüllt werden, dass das Geschäftsleitungsmitglied entweder nach Ablauf des Zeitraums des § 84 Abs. 2 u. 3 AktG n.F. oder bereits zeitgleich mit dem Widerruf aufschiebend befristet auf den Ablauf des Zeitraums erneut bestellt wird.

Macht ein Vorstandsmitglied von der Möglichkeit zum vorübergehenden Ruhenlassen des Mandats Gebrauch, hat dies keinen Einfluss auf die Amtszeit des Vorstandsmitglieds, d.h. es erfolgt keine Anrechnung der Mandatspause auf die Amtszeit, sodass das ver-traglich vereinbarte Ende der Amtszeit bestehen bleibt (§ 83 Abs. 3 Satz 4 AktG n.F.).

Keine Regelungen trifft die gesetzliche Neuregelung bzgl. der Frage, ob und in welchem Umfang die Vergütung des Vorstandsmitglieds während der Auszeit bzw. während des Widerrufs der Bestellung durch die Gesellschaft fortzuzahlen ist. Dies hängt von den in-dividuellen Vereinbarungen zwischen der Gesellschaft und dem Vorstandsmitglied ab. Es ist davon auszugehen, dass Anstellungsverträge künftig entsprechende Regelungen ent-halten werden.

2. Vorstandsmitglieder und geschäftsführende Direktoren einer SE und GmbH-Geschäftsführer

Die vorstehend für die Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft skizzierten Regelungen geltend entsprechend für die Geschäftsleitungsorgane weiterer Gesellschaftsformen.

Für die Vorstandsmitglieder einer dualistischen bzw. die geschäftsführenden Direktoren einer monistischen SE folgt dies aus § 20 SEAG i.V.m. § 83 Abs. 3 AktG n.F. bzw. § 40 Abs. 6 SEAG n.F. Die Möglichkeit des vorübergehenden Ruhenlassens des Ge-schäftsführeramtes ist in § 38 Abs. 3 GmbHG n.F. normiert.

Die Möglichkeit bzw. der Anspruch auf ein Ruhenlassen des Mandats sind bei der SE und der GmbH dabei an dieselben Voraussetzungen geknüpft wie bei der Aktiengesellschaft. Die Mandatspause ist auch hier als Widerruf der Bestellung, verbunden mit einem Anspruch auf Wiederbestellung, ausgestaltet.

Inkrafttreten wird die gesetzliche Neuregelung am Tag nach der Verkündung des FüPoG II im Bundesgesetzblatt. Die Neuregelung unterfällt keinen Übergangsregelungen. Da der Bundesrat gegen das FüPoG II keinen Einspruch erhoben hat, wird das Gesetz unmittelbar im Bundesgesetzblatt veröffentlicht werden und in Kraft treten.

III. FAZIT UND AUSBLICK

Die gesetzlichen Neuregelungen, die Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft, Vorstandsmitgliedern oder geschäftsführenden Direktoren einer SE und Geschäftsführern einer GmbH ein Anspruch auf ein Ruhenlassen ihres Mandats in Fällen des Mutterschutzes, der Elternzeit, der Pflege eines Angehörigen oder des Auskurierens einer Erkrankung ermöglichen, sind zu begrüßen.

Insoweit stellte sich nämlich berechtigterweise die Frage, warum es Geschäftsleitern – anders als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern – etwa nicht möglich sein soll, in Elternzeit zu gehen oder eine Erkrankung in Ruhe auszukurieren, ohne dabei entweder einem Haftungsrisiko für die in dieser Zeit von den weiteren Mitgliedern der Leitungsorgane getroffenen Entscheidungen und umgesetzten Maßnahmen ausgesetzt zu sein oder alternativ ihr Mandat niederzulegen. Durch die gesetzliche Neuregelung wurden nunmehr auch auf der Leitungsebene von Unternehmen die notwendigen Rahmenbedingungen für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie geschaffen.

Durch die Ausgestaltung der Mandatspause als Widerruf der Bestellung ist dabei auch sichergestellt, dass die pausierenden Geschäftsleiter keinen Haftungsrisiken für solche Entscheidungen ausgesetzt sind, die von der Gesellschaft während ihrer Abwesenheit getroffen werden. Anders verhält es sich jedoch dann, wenn die Gesellschaft und das Geschäftsleitungsmitglied – was nach der Gesetzesbegründung ausdrücklich erlaubt sein soll – vertragliche Vereinbarungen treffen, die dem Geschäftsleitungsmitglied während der Auszeit z.B. Zugang zu Informationen, die Einsichtnahme in E-Mails oder den Zugang zu den Geschäftsräumen gewähren. Die daraus resultierenden Haftungsrisiken sollten von den Beteiligten bei dem Abschluss entsprechender Vereinbarungen im Einzelfall sorgfältig geprüft werden. Da sich die meisten Entscheidungsprozesse und Maßnahmen in Unternehmen zudem regelmäßig über einen längeren Zeitraum erstrecken, also in zeitlicher Hinsicht teilweise innerhalb und teilweise außerhalb einer Mandatspause liegen können, wird es für die Haftung eines pausierenden Geschäftsleitungsmitglieds darauf ankommen, zu welchem Zeitpunkt die kausale Pflichtverletzung begangen wurde.

Auch wenn Mandatspausen von Geschäftsleitungsmitgliedern für die Unternehmen zweifelsohne mit einem entsprechenden bürokratischen Aufwand verbunden sind, hat das Unternehmensinteresse dennoch eine hinreichende Berücksichtigung gefunden. Schließlich hat der Aufsichtsrat – mit Ausnahme von Fällen des Mutterschutzes – die Möglichkeit, dem Verlangen auf ein Ruhenlassen des Mandats zu widersprechen, wenn diesem entsprechende Gründe des Unternehmenswohls entgegenstehen. Abzuwarten bleibt indes, in welchem Umfang Leitungsorgane zukünftig von der Möglichkeit der Mandatspause Gebrauch machen.

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