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Die "Qualifikationsmatrix" nach der Neufassung des DCGK – Eine erste Annäherung

26. Juli 2022

Mit der Veröffentlichung im Bundesanzeiger am 27. Juni 2022 ist der Deutsche Corporate Governance Kodex in der Fassung vom 28. April 2022 (DCGK) in Kraft getreten, sodass seine Empfehlungen von den betroffenen Gesellschaften bei Abgabe der nächsten turnusmäßigen Entsprechenserklärung jedenfalls bezogen auf die zukunftsgerichteten Aussagen zu berücksichtigen sind. Die neue Fassung des DCGK enthält aktualisierte Grundsätze und erweiterte Empfehlungen für Vorstände und Aufsichtsräte börsennotierter Unternehmen, wobei mit der jüngsten Reform ein besonderes Gewicht auf die nachhaltige Unternehmensführung gelegt wird (vgl. dazu auch die Pressemitteilung der Regierungskommission DCGK vom 27. Juni 2022). 

Angepasst wurden in diesem Zusammenhang auch die Vorgaben für die Darstellung der Anforderungen an die Aufsichtsratszusammensetzung (Empfehlung C.1 DCGK). Danach soll der Aufsichtsrat – wie bisher – konkrete Ziele für seine Zusammensetzung benennen, ein Kompetenzprofil für das Gesamtgremium erarbeiten und dabei auf Diversität achten. Im Einklang mit der verstärkten Ausrichtung der Neufassung auf nachhaltige Unternehmensführung soll das Kompetenzprofil des Aufsichtsrats dabei nunmehr auch Expertise zu den für das Unternehmen bedeutsamen Nachhaltigkeitsfragen umfassen. Wie bisher sollen die Vorschläge des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung diese Ziele berücksichtigen und gleichzeitig die Ausfüllung des Kompetenzprofils für das Gesamtgremium anstreben. 

Neu und für die Unternehmen von praktischer Bedeutung ist aber vor allem, dass der Stand der Umsetzung in Form einer Qualifikationsmatrix in der Erklärung zur Unternehmensführung offengelegt werden soll (Empfehlung C.1 Satz 4 DCGK). Dieser Begriff war in der Konsultationsfassung des DCGK vom 21. Januar 2022 noch nicht enthalten und hat erst Eingang in die final verabschiedete Fassung des DCGK gefunden. 

Vor diesem Hintergrund wirft der vorliegende Beitrag einen Blick auf die derzeit bestehende Praxis der Unternehmen bei der Beschreibung der Aufsichtsratszusammensetzung und erörtert ausgewählte Einzelfragen im Hinblick auf die Erstellung der vom DCGK nun geforderten Qualifikationsmatrix.

I. ANFORDERUNGEN AN DIE AUFSICHTSRATSZUSAMMENSETZUNG UND DIE DIESBEZÜGLICHE BERICHTERSTATTUNG

Während für Unternehmen aus regulierten Industrien spezialgesetzlich zum Teil weitergehende Anforderungen an die Eignung der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder gestellt werden (vgl. etwa § 25d Abs. 1 Satz 1 KWG und § 24 Abs. 1 VAG), sind die Anforderungen an die Aufsichtsratsmitglieder bzw. an die Aufsichtsratszusammensetzung nach dem allgemeinen Aktienrecht in § 100 AktG vergleichsweise rudimentär geregelt. Insofern bestimmt § 100 Abs. 5 Halbsatz 2 AktG für Unternehmen von öffentlichem Interesse (vgl. § 316a Satz 2 HGB) lediglich, dass die Mitglieder des Gremiums in ihrer Gesamtheit mit dem Sektor, in dem die Gesellschaft tätig ist, vertraut sein müssen. Vor diesem Hintergrund ist es wenig verwunderlich, dass die Thematik der Aufsichtsratszusammensetzung – insbesondere mit Blick auf das Kompetenzprofil – seit einigen Jahren als ein Baustein des Themenkomplexes "Professionalisierung des Aufsichtsrats" in der Diskussion steht und insbesondere auch von Seiten der Investoren weitergehende Anforderungen gestellt werden. In diesem Sachzusammenhang hat der Gesetzgeber jüngst als Reaktion auf den Wirecard-Skandal mit dem Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (FISG) die Regelung zum Finanzexperten in § 100 Abs. 5 AktG dahingehend verschärft, dass mindestens ein Aufsichtsratsmitglied über Sachverstand auf dem Gebiet Rechnungslegung und mindestens ein weiteres Aufsichtsratsmitglied über Sachverstand auf dem Gebiet Abschlussprüfung verfügen muss, also zukünftig im Aufsichtsrat von Unternehmen von öffentlichem Interesse zwei Finanzexperten erforderlich sind.

Auch der DCGK greift die Thematik der fachlichen Qualifikation von Aufsichtsratsmitgliedern auf, indem er § 100 Abs. 5 Halbsatz 2 AktG folgend in Grundsatz 11 statuiert, dass der Aufsichtsrat so zusammenzusetzen ist, dass seine Mitglieder insgesamt über die zur ordnungsgemäßen Wahrnehmung der Aufgaben erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und fachlichen Erfahrungen verfügen. Mit dem neu eingefügten Satz 3 der Empfehlung C.1 erweitert der DCGK die Anforderungen an das Gesamtgremium nun zudem um die Forderung nach Expertise im Bereich Nachhaltigkeit. 

Mit der ebenfalls neu eingeführten Darstellungsform der Qualifikationsmatrix betritt der Kodex schon begrifflich Neuland. In der Sache wird man hierunter zunächst das Erfordernis einer tabellarischen Gegenüberstellung verstehen dürfen, bei der das Vorhandensein der vom Aufsichtsrat als erforderlich erachteten Kompetenzen bei den einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern "ausgehakt" wird. Die Regierungskommission scheint sich hierdurch eine erhöhte Übersichtlichkeit der Darstellung zu versprechen, wenngleich sie – was zu begrüßen ist – auf die Einführung von entsprechenden Mustertabellen, wie dies noch mit Blick auf die Muster zu Vergütungstabellen in der Anlage zur Kodexfassung vom 7. Februar 2017 der Fall war, verzichtet. 

Inhaltlich ist auf den ersten Blick fraglich, ob die Qualifikationsmatrix lediglich den Stand der Umsetzung des Kompetenzprofils – also der Abbildung der durch die Aufsichtsratsmitglieder in ihrer Gesamtheit abzudeckenden fachlichen, praktischen und persönlichen Kompetenzen – umfasst oder ob darüber hinaus auch der Stand der erarbeiteten Ziele für die Aufsichtsratszusammensetzung – der selbst gesetzten (Besetzungs-)Vorgaben des Aufsichtsrats – angegeben werden muss. Die Begründung der Regierungskommission zu den beschlossenen Änderungen vom 28. April 2022 (vgl. dort S. 6) stellt dann aber klar, dass die Empfehlung der Offenlegung in Form einer Qualifikationsmatrix lediglich die Umsetzung des Kompetenzprofils betrifft. Das wird man allerdings nicht so verstehen können, dass hierdurch die Notwendigkeit der Berichterstattung über den Stand der Zielerreichung entfällt. Vielmehr steht es dem Aufsichtsrat insoweit nur frei, weiterhin eine deskriptive Berichterstattung in Textform zu wählen. Umgekehrt spricht selbstverständlich nichts dagegen, (ausgewählte) Ziele auch in der Matrix darzustellen, da auf diese Weise ein schneller gesamthafter Überblick über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats ermöglicht wird.

II. AUSGESTALTUNG DER QUALIFIKATIONSMATRIX

Die neue Anforderung der Qualifikationsmatrix des DCGK gibt Anlass für einen Blick auf den Status Quo der Darstellung der Unternehmen in der Erklärung zur Unternehmensführung. Dabei ist bemerkenswert, dass sich einige Unternehmen bereits im Geschäftsjahr 2021 bei der Darstellung der Zusammensetzung des Aufsichtsrats – freiwillig – einer Qualifikationsmatrix bedient haben. Soweit ersichtlich haben insgesamt acht DAX-40-Unternehmen auf diese Darstellungsart zurückgegriffen. Ein einheitlicher Praxisstandard hat sich insofern allerdings (noch) nicht herausgebildet, was auch darauf zurückzuführen sein dürfte, dass die Unternehmen bezüglich der Art und Ausgestaltung der Darstellung bislang vollkommen frei waren. 

Insbesondere die Frage, welche Kriterien in die Matrix aufgenommen werden, wird bislang unterschiedlich gehandhabt. Einige Unternehmen beschränken die Angaben in der Matrix – insofern wohl den Vorstellungen der Regierungskommission DCGK entsprechend – auf den Stand der Umsetzung des Kompetenzprofils (so etwa die Bayer AG oder die Deutsche Börse AG). Das Kompetenzprofil als solches muss dabei jedenfalls die gesetzlichen Vorgaben und – wenn nicht eine Abweichung hiervon erklärt werden soll – die Empfehlungen des DCGK reflektieren. Aus der Qualifikationsmatrix muss sich daher zukünftig zunächst ergeben, welche Aufsichtsratsmitglieder über Kompetenzen in den Bereichen Rechnungslegung bzw. Abschlussprüfung verfügen. Eine Festlegung, für welches der beiden Gebiete ein Aufsichtsratsmitglied als "Experte" im Sinne des § 100 Abs. 5 AktG qualifiziert, muss aber dann nicht erfolgen, wenn bei zwei oder mehreren Aufsichtsratsmitgliedern eine Expertise in beiden Bereichen vorhanden ist. Nach den Anforderungen des DCGK muss zudem die Expertise im Bereich Nachhaltigkeit aus der Qualifikationsmatrix hervorgehen. Jenseits der gesetzlichen Vorgaben und der Empfehlungen des DCGK wird es von der Geschäftstätigkeit des jeweiligen Unternehmens abhängen, wie das Kompetenzprofil im Einzelnen ausgestaltet wird. Denkbar sind hierbei zum Beispiel Kompetenzen in den Bereichen Digitalisierung, Human Resources oder Naturwissenschaften (vgl. etwa die Kompetenzprofile der Bayer AG oder der Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft AG). 

Darüber hinaus haben andere Unternehmen ihre Matrix von vornherein weiter gefasst und neben dem Ausweis der bei den einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern vorhandenen Kompetenzen auch andere Ziele – wie etwa Diversität, Dauer der Gremienzugehörigkeit, "Overboarding" und Unabhängigkeit – in der Matrix aufgeführt (vgl. beispielsweise Allianz SE oder Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft AG).

Einen Sonderweg stellt das (bisherige) Vorgehen der BMW AG dar (vgl. zuletzt die Erklärung zur Unternehmensführung 2021). Das Unternehmen nutzt keine Qualifikationsmatrix im engeren Sinne, sondern stellt die einzelnen Aufsichtsratsmitglieder im Wege eines Kurzprofils mit Portrait und Angaben zu Mandaten und Dauer der Gremienzugehörigkeit kurz vor. Daneben finden sich in dem Kurzprofil unter der Rubrik "Kompetenzprofil" aber auch Angaben zu den Kompetenzanforderungen, die von den jeweiligen Mitgliedern erfüllt werden. Ein solches Vorgehen kommt dem Anliegen des DCGK in der Sache nahe, gewährleistet aber nicht die gleiche Übersichtlichkeit wie eine Qualifikationsmatrix.

Auch über die vorgenannten Aspekte hinaus lassen sich für die zukünftige Praxis einige interessante Erkenntnisse gewinnen. So werden bei einigen Gesellschaften (vgl. etwa Allianz SE, Deutsche Börse AG oder SAP SE) sowohl Kompetenzanforderungen für das Gesamtgremium als auch individuelle Kompetenzanforderungen statuiert, die jedes einzelne Aufsichtsratsmitglied erfüllen muss (vgl. etwa das Kompetenzprofil der Deutsche Börse AG, das als individuelle Qualifikation von jedem Aufsichtsratsmitglied Verständnis für kaufmännische Fragen und Kenntnis des Finanzdienstleistungssektors fordert, oder der SAP SE, das als persönliche Voraussetzung für jedes Aufsichtsratsmitglied u.a. Integrität und Sozialkompetenz aufzählt). Die Darstellung in der Qualifikationsmatrix beschränkt sich dann jedoch auf die Kompetenzanforderungen für das Gesamtgremium. Das ist folgerichtig, denn die Aufnahme von individuellen, von jedem Aufsichtsratsmitglied zu erfüllenden Anforderungen in die Qualifikationsmatrix würde deren Aussagegehalt lediglich verringern, da diese Anforderungen ja bei jedem einzelnen Aufsichtsratsmitglied "ausgehakt" sein müssten. 

Uneinheitlich ist bislang schließlich die Verortung der Qualifikationsmatrix. Bei dem Großteil der Unternehmen ist diese in die Darstellung der Aufsichtsratszusammensetzung innerhalb der Finanzberichterstattung integriert und bildet lediglich einen Teilbereich der Darstellung, der zusätzlich auch noch eine – im Detailgrad variierende – Beschreibung von Kompetenzprofil und selbst gesetzten Zielen sowie zum Stand der Zielerreichung enthält, die zumeist deskriptiv in Textform dargestellt werden. Die BASF SE und die Zalando SE stellen die ausführliche Qualifikationsmatrix hingegen als separates Dokument auf ihrer Internetseite zur Verfügung. Unter dem neuen Kodex-Regime ist die Qualifikationsmatrix jedenfalls in die Erklärung zur Unternehmensführung selbst aufzunehmen.

III. ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK

Mit der neu eingefügten Empfehlung zur Qualifikationsmatrix will der DCGK die Unternehmen dazu anhalten, den Stand der Umsetzung des vom Aufsichtsrat verabschiedeten Kompetenzprofils in einer übersichtlichen Art und Weise darzustellen. Mit Blick auf die Darstellung des Stands der Zielerreichung steht es den Unternehmen hingegen weiterhin frei, die diesbezügliche Umsetzung in Textform zu beschreiben. Insofern verbleibt den Unternehmen also, auch wenn sie keine Abweichung von der Empfehlung des DCGK erklären, Gestaltungsspielraum. 

Tendenziell dürfte es sich empfehlen, neben dem Ausweis der Kompetenzen der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder auch andere Ziele für die Zusammensetzung des Aufsichtsrats – wie etwa Diversität, Dauer der Gremienzugehörigkeit, "Overboarding" und Unabhängigkeit – in die Matrix aufzunehmen. Denn hierdurch würde ein gesamthafter Überblick erreicht und die Übersichtlichkeit der Darstellung erhöht. Zugleich ergibt sich auf diese Weise – als positiver Nebeneffekt – ggf. Kürzungspotential bei der deskriptiven Beschreibung in Textform. Insofern wird es spannend sein zu sehen, in welche Richtung sich die Darstellung der Unternehmen entwickelt und ob sich hier von selbst ein einheitlicher Standard herausbildet. Festgehalten werden kann jedenfalls, dass sich der Trend zu einer weiteren Ausdifferenzierung der Anforderungen an die Aufsichtsratszusammensetzung und die Berichterstattung hierüber fortsetzt. Insofern bleibt die Professionalisierung des Aufsichtsrats ein (Dauer-)Thema.

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