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"Patentkriege 2.0" – Verletzungsklage von Nokia gegen Daimler vor dem EuGH

11. Dezember 2020

Es bleibt spannend in der Auseinandersetzung zwischen Daimler und Nokia: Am 26. November 2020 legte die 4c Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf dem Europäischen Gerichtshof grundlegende Fragen zur Lizenzierung von standardessentiellen Patenten vor (4c O 17/19). Auslöser des Vorlagebeschlusses ist ein Patentverletzungsstreit zwischen der Nokia Technologies OY und der Daimler AG. Im Rahmen dieser Auseinandersetzung nimmt Patentinhaber Nokia die Daimler AG wegen Verletzung eines ihrer Patente auf Unterlassung in Anspruch. Das betroffene Patent ist essentiell für den LTE-Standard (4G) und wird benötigt, um Daten in einem Telekommunikationssystem zu senden. Diese Systeme verwenden mehrere Zulieferer von Daimler für ihre LTE-fähigen Module, die nach ihrer Fertigstellung in den Fahrzeugen von Daimler verbaut werden. Kann Nokia Daimler die Nutzung der Technologie verbieten? 

RECHTLICHE EINORDNUNG DES VORLAGEBESCHLUSSES

Im Wesentlichen geht es in dem Patentverletzungsstreit zwischen Nokia und Daimler darum, wie ein fairer und diskriminierungsfreier Zugang zu sog. standardessentiellen Patenten ("SEP") ermöglicht werden kann. Bei einem SEP handelt es sich um eine durch ein Patent geschützte technische Lösung, die zur Grundlage einer Norm oder eines Standards gemacht wurde. In der Regel erhält der Inhaber eines SEPs eine marktbeherrschende Stellung, weil die Hersteller von Bauteilen aufgrund der Norm oder des Standards auf die Nutzung des Patents angewiesen sind und die vom Patent erfasste technische Lehre nicht substituiert werden kann. In diesem Fall liegt ein eigenständiger Lizenzmarkt vor, auf dem der Inhaber des SEP bis zum Patentablauf eine marktbeherrschende Stellung einnimmt. In den meisten Fällen wird sich der SEP-Inhaber zuvor gegenüber einer Standardorganisation wie ETSI oder IEEE dazu verpflichtet haben, interessierten Nutzern eine Lizenz zu fairen, angemessenen und nichtdiskriminierenden Bedingungen ("FRAND") zu erteilen. Erhebt der SEP-Inhaber nun Klage auf Unterlassung, Rückruf und/ oder Vernichtung, kann sich der Nutzer mit dem auf Art. 102 AEUV/§ 19 GWB gestützten kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwand verteidigen.

Der Europäische Gerichtshof ("EuGH") hat in seinem vielbeachteten Huawei-Urteil vom 16. Juli 2015 (C-170/13) festgelegt, unter welchen Voraussetzungen der kartellrechtliche Zwangslizenzeinwand durchgreift. Laut EuGH müssen sich beide Parteien ernsthaft um den Abschluss eines Lizenzvertrages unter FRAND-Bedingungen bemühen. Konkret treffen die Streitparteien die folgenden Verpflichtungen: 

  • Zunächst muss der SEP-Inhaber den Patentnutzer auf die vorgeworfene SEP-Verletzung hinweisen. 
  • Daraufhin muss der Verletzer seinen grundsätzlichen Willen zum Abschluss eines Lizenzvertrages zu FRAND-Bedingungen erklären (sog. Lizenzbereitschaft). 
  • Anschließend macht der SEP-Inhaber ein schriftliches FRAND-Lizenzangebot, auf das der Verletzter nach Treu und Glauben in angemessener Zeit reagieren muss. Lehnt er dieses Angebot ab, muss er selbst innerhalb einer kurzen Frist ein FRAND-Gegenangebot machen. 

Im Grundsatz gilt: Verstößt der SEP-Inhaber gegen seine Obliegenheiten, handelt er missbräuchlich und kann sein Patent nicht durchsetzen; die Klage wird abgewiesen. Hält sich der Verletzer nicht an den Fahrplan, kann er sich nicht mit dem Zwangslizenzeinwand verteidigen und wird verurteilt. Der Bundesgerichtshof ("BGH") hat in seinem Urteil vom 5. Mai 2020 in der Sache Sisvel/Haier (KZR 36/17), einige dieser Verhandlungsschritte erstmalig höchstrichterlich konkretisiert. So sei es beispielsweise für die Lizenzbereitschaft des Verletzers nicht ausreichend, wenn dieser sich erst ein Jahr nach Erhalt des Verletzungshinweises unverbindlich und ohne hinreichend erkennbaren Willen zum Abschluss eines Lizenzvertrages unter FRAND-Bedingungen äußert. Wie weitere Details dieses Verhandlungsprozesses zu bestimmen sind, ist jedoch noch immer nicht abschließend geklärt. 

Inhalt der Vorlageentscheidung

Einige dieser offenen Fragen stellen sich auch im Rahmen des eingangs beschriebenen Verfahrens zwischen Nokia und Daimler. Die 4c Zivilkammer des LG Düsseldorf geht zunächst davon aus, dass Nokia gegen Daimler einen Unterlassungsanspruch wegen Patentverletzung zustehen kann. Das Gericht wirft dann allerdings die Frage auf, ob die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs durch Nokia gegenüber Daimler als Missbrauch ihrer "auf dem Lizenzvergabemarkt unstreitig gegebenen marktbeherrschenden Stellung" anzusehen sei. Für einen Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung könne insbesondere sprechen, dass Nokia nicht vorrangig die um eine Lizenz nachsuchenden Zulieferer von Daimler lizensiert hat, sondern sich direkt an den Automobilhersteller Daimler wendete. Nokia hält dem entgegen, dass sie als SEP-Inhaberin frei entscheiden könne, auf welcher Stufe einer komplexen Produktions- und Zulieferkette sie Lizenzen zu FRAND-Bedingungen erteile.

Das LG Düsseldorf möchte daher von den Luxemburger Richtern wissen, ob der Inhaber eines standardessentiellen Patents seine marktbeherrschende Stellung missbraucht, wenn er gegen den Vertreiber des Endprodukts eine Unterlassungsklage wegen Patentverletzung erhebt, ohne zuvor dem Lizenzierungswunsch seiner, das Patent benutzenden Zulieferer nachgekommen zu sein. Darüber hinaus bittet das LG Düsseldorf den EuGH um eine Konkretisierung der weiteren Huawei-Kriterien.

Bewertung und Fazit

Bisher wurden primär die Hersteller von Smartphones, Tablets und anderen Geräten der Unterhaltungselektronik in den sog. "Patentkriegen" von SEP-Inhabern der Mobilfunkbranche verklagt. Durch die zunehmende Verwendung von Telekommunikationstechnik in anderen Bereichen wie beispielsweise Smart Cars, haben sich diese "Kriegsschauplätze" heute allerdings verlagert. Dies zeigt unter anderem das Verfahren zwischen Nokia und Daimler. Hier wird deutlich, dass nun auch Unternehmen der Automobilindustrie das Ziel von patentrechtlichen Klagen sind. Wie aus dem Vorlagebeschluss hervorgeht, werden mit Vorliebe nicht die Zulieferer der verbauten Mobilfunkmodule verklagt, sondern die Automobilhersteller selbst. Allein zwischen Nokia und Daimler waren in der vergangenen Zeit insgesamt zehn Klagen vor den Landgerichten in Düsseldorf, Mannheim und München anhängig. Die "Patentkriege 2.0" haben damit die Automobilindustrie erreicht.

Bereits Ende 2018 reichten verschiedene Automobilhersteller und Zulieferer gegen die Lizenzierungspraxis von Nokia Beschwerde bei der Europäischen Kommission ein. Die Beschwerdeführer werfen Nokia vor, dass der Konzern seine marktbeherrschende Stellung in Bezug auf SEPs missbrauche. Nachdem eine Mediation zwischen den streitenden Parteien gescheitert war, soll nun auch die Kommission untersuchen, wie für Telekommunikationsstandards essentielle Patente in der Automobilindustrie zu lizenzieren sind. Im Rahmen dieser Untersuchungen hat die Kommission allen Beteiligten Mitte diesen Jahres Requests for Information ("RFIs") zugesendet und sie um Stellungnahmen gebeten. Die Untersuchungen laufen derzeitig noch.

Vor dem Hintergrund dieser aktuellen Entwicklungen ist die Vorlageentscheidung der Düsseldorfer Richter zu begrüßen. Der EuGH hat nun die Möglichkeit, grundlegende Fragen zur Lizenzierung von SEPs europaweit zu beantwortet. Dadurch wird SEP-Inhabern und potenziellen Verletzern mehr Rechtssicherheit bei der Ausgestaltung der Verhandlungsschritte bei ihren Lizenzverträgen unter FRAND-Bedingungen gegeben. Darüber hinaus kann eine Entscheidung des EuGH dazu beitragen, einem patentrechtlichen Klagemissbrauch durch SEP-Inhaber vorzubeugen.

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Dr. Markus Wirtz

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