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"Out means Out": Die Behandlung britischer Kapitalgesellschaften nach Vollzug des Brexit

21. März 2022

"Out means out" gilt im Kontext des sog. "Brexit" auch für das Gesellschaftskollisionsrecht. Dies entschied jüngst das Oberlandesgericht München ("OLG München") mit Urteil vom 5. August 2021 - 29 U 2411/21 Kart (EuZW 2021, 955). Es handelt sich dabei – soweit ersichtlich – um das erste obergerichtliche Urteil, das sich mit der in der Literatur seit Längerem kontrovers diskutierten Frage auseinandersetzt, ob in Großbritannien gegründete Kapitalgesellschaften mit Verwaltungssitz in Deutschland nach Ablauf des Brexit-Übergangszeitraums am 31. Dezember 2020 in Deutschland (weiterhin) als rechtsfähig anzuerkennen sind. Dies gibt Anlass dazu, die Entscheidung und ihre praktischen Konsequenzen näher zu beleuchten.

Der Beitrag erläutert dazu zunächst die Hintergründe der Entscheidung, stellt sodann die wesentlichen Erwägungen des Senats dar und weist abschließend auf relevante praktische Konsequenzen des Urteils für Unternehmen und ihre Berater hin. Randnummern in Klammern beziehen sich auf das Urteil.

Kontext

Eine Kernfrage des internationalen Gesellschaftsrechts lautet, nach welchem Recht sich die Rechtsverhältnisse einer Gesellschaft (das Gesellschaftsstatut) bei grenzüberschreitenden Sachverhalten beurteilen. Eine allgemeine kollisionsrechtliche Regel existiert hierfür nicht. In Deutschland gilt daher im Ausgangspunkt kraft Gewohnheitsrechts die sog. "Sitztheorie". Danach ist das Recht desjenigen Staates maßgeblich, in dem die Gesellschaft ihren tatsächlichen Verwaltungssitz hat. Nach der sog. "Sandrock'schen Formel" ist dies der Ort, an dem die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung effektiv in laufende Geschäftsführungsakte umgesetzt werden. Praktische Konsequenz der Sitztheorie ist, dass ausländische Gesellschaften – wegen des numerus claususder Gesellschaftsformen - entweder als rechtliches nullum (sog. "strenge Sitztheorie") oder aber – je nach konkreter Ausgestaltung - als Gesellschaft nach deutschen Recht qualifizieren (sog. "milde Sitztheorie"). Nach der milden Sitztheorie wird eine ausländische Kapitalgesellschaft daher regelmäßig als Gesellschaft bürgerlichen Rechts ("GbR"), offene Handelsgesellschaft ("oHG") oder als einzelkaufmännisches Unternehmen behandelt.

Der Europäische Gerichtshof ("EuGH") hat die Sitztheorie in seiner berühmten Entscheidungstrias "Centros" (EuGH, Urt. v. 9. März 1999 - Rs. C-212–97 = NJW 1999, 2027), "Überseering" (EuGH Urt. v. 5. November 2002 – C-208/00 = ZIP 2002, 2037) und "Inspire Art" (EuGH Urt. v. 30. September 2003 – C-167/01 = NJW 2003, 3331) als mit Art. 49, 54 AEUV unvereinbar erklärt. Die Mitgliedsstaaten treffe vielmehr die Pflicht, die sog. "Gründungstheorie" anzuwenden. Danach bemisst sich das Gesellschaftsstatut nach dem Recht des Staates, in dem die jeweilige Gesellschaft gegründet wurde. Im Anschluss an die Rechtsprechung des EuGH wendet auch der Bundesgerichtshof ("BGH") die Gründungstheorie für EU-Auslandsgesellschaften an. Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten zwischen Mitgliedsstaaten wird die Sitztheorie in Deutschland daher durch die Gründungstheorie "überlagert". 

Auch für Auslandgesellschaften aus Drittstaaten gilt grundsätzlich die Sitztheorie. Die gegenseitige Anerkennung wird im Verhältnis zu Drittstaaten jedoch häufig bilateral durch internationale Abkommen geregelt, weshalb die Sitztheorie auch insoweit häufig überlagert wird (so etwa Art. XXV Abs. 5 Satz 2 des Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrages zwischen der BRD und den USA vom 29. Oktober 1954: "Gesellschaften, die gemäß den Gesetzen und sonstigen Vorschriften des einen Vertragsteils in dessen Gebiet errichtet sind, gelten als Gesellschaften dieses Vertragsteils; ihr rechtlicher Status wird in dem Gebiet des anderen Vertragsteils anerkannt").

Schwierigkeiten bereitet die Sitztheorie, wenn eine nach dem Recht ihres jeweiligen Gründungsstaats gegründete Gesellschaft ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in einen anderen Staat verlegt, d.h. Gründungsstaat und Staat des tatsächlichen Verwaltungssitzes auseinanderfallen. In diesen Fällen findet nach der Sitztheorie für das Gesellschaftsstatut dasjenige Recht Anwendung, das am tatsächlichen Verwaltungssitz dieser Gesellschaft gilt. Dies kann dazu führen, dass eine im Ausland wirksam gegründete Gesellschaft am Ort ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes nicht als rechtsfähig anerkannt wird, bspw. weil – nach dem am tatsächlichen Verwaltungssitz geltenden Recht - die Voraussetzungen für die wirksame Gesellschaftsgründung nicht erfüllt sind.

Vor diesem Hintergrund stellte sich nach dem Ablauf des Brexit-Überganszeitraums am 31. Dezember 2020 und dem damit final vollzogenen Austritt Großbritanniens aus der EU die Frage, wie Gerichte die Rechts- und Parteifähigkeit britischer Kapitalgesellschaften beurteilen würden. In der Literatur wird diese Frage kontrovers diskutiert, wobei die wohl herrschende Meinung davon ausgeht, dass britische Kapitalgesellschaften mit Ablauf des Übergangszeitraums nicht (mehr) rechtsfähig sind, wenn sie ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in Deutschland haben. 

Das OLG München hatte nun Gelegenheit, sich zu dieser Frage zu äußern. Nachfolgend stellen wir die Entscheidung und die wesentlichen Erwägungen des Senats dar.

Wesentliche Gesichtspunkte der Entscheidung

Die Antragstellerin, eine nach britischem Recht gegründete private limited company by shares ("Limited") mit Niederlassung in Berlin und nur einer Gesellschafterin, beantragte in der ersten Instanz den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegenüber einer Konkurrentin sowie deren Geschäftsführer, gestützt auf einen kartellrechtlichen Unterlassungsanspruch wegen einer Preisbindung für Kosmetikprodukte. Das Landgericht wies den Antrag durch Urteil zurück (LG München I, Endurteil v. 23. April 2021 – 37 O 3787/21 = GRUR-RS 2021, 24177). Gegen diese Entscheidung legte die Antragstellerin Berufung bei dem OLG München ein. 

Der Senat setzt sich in seiner Entscheidung allein mit der Frage der Parteifähigkeit der Antragstellerin auseinander (§ 50 ZPO). Aufgrund der nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU gewohnheitsrechtlich anzuwendenden milden Sitztheorie sei die Antragstellerin nach dem Recht desjenigen Staates zu behandeln, in dem ihr tatsächlicher Verwaltungssitz liege. Sofern dieser in Deutschland liege, würden sich Rechts- und Parteifähigkeit der Antragstellerin nach deutschem Gesellschaftsrecht bestimmen. Im einstweiligen Verfügungsverfahren hätte die Antragstellerin im Rahmen des § 50 ZPO daher glaubhaft machen müssen, dass ihr tatsächlicher Verwaltungssitz in Großbritannien (und damit nicht in Deutschland) liege. Dies sei ihr nach Auffassung des Senats nicht gelungen. Insbesondere würden abstrakte Aussagen in Unterlagen der Gesellschaft keine Auskunft über den tatsächlichen Ort geben, an dem die Geschäftsführung die Gesellschaft verwaltet; auch aus der Anwendbarkeit eines bestimmten Steuer- oder Gewerberechts auf die Antragstellerin lasse sich nicht zwingend darauf schließen, dass sich der tatsächliche Verwaltungssitz auch tatsächlich an jenem Ort der Steuer- oder Gewerbepflichtigkeit befinde. 

Mangels Glaubhaftmachung eines tatsächlichen Verwaltungssitzes in Großbritannien finde nach Auffassung des Senats daher deutsches Recht Anwendung. Danach qualifiziere die Antragstellerin als einzelkaufmännisches Unternehmen, weil sie nur eine Gesellschafterin hatte. Der Verfügungsantrag sei daher von einer nicht mehr existenten juristischen Person gestellt worden und daher unzulässig. 

Der Senat ging in seiner Begründung insbesondere auch auf die in der Literatur umstrittene Frage ein, ob aus dem Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und Großbritannien vom 24. Dezember 2020 ein anderes Ergebnis abgeleitet werden könne. Der Senat verneint dies unter Bezugnahme auf entsprechende Stimmen in der Literatur, da aus dem Handels- und Kooperationsabkommen ausdrücklich keine mit der Niederlassungsfreiheit gleichzusetzende Rechtsposition gewährt werden solle. In dem Abkommen sei nämlich gerade vereinbart, "dass für die Union mit der Verpflichtung zur Inländerbehandlung nicht die Anforderung verbunden ist, die Behandlung auf (…) juristische Personen des Vereinigten Königreichs auszudehnen, die in einem Mitgliedstaat aufgrund des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (…) folgenden Personen gewährt wird: (…) (ii) nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats (…) gegründeten (…) juristischen Personen, die (…) ihre Hauptverwaltung (…) in der Union haben" (Rn. 22).

Bewertung

Die Entscheidung des Senats überzeugt hinsichtlich der gesellschaftskollisionsrechtlichen Qualifizierung der Antragstellerin als (nunmehr) einzelkaufmännisches Unternehmen. Mangels Kollisionsnorm ist für die durch Art. 49, 54 AEUV gebotene Anwendung der Gründungstheorie im Verhältnis Deutschland - Großbritannien kein Raum mehr. Mit Ablauf des Brexit-Übergangszeitraums am 31. Dezember 2020 ist Großbritannien vielmehr als einfacher Drittstaat zu behandeln, für den die Sitztheorie gilt. Der Senat folgt dabei der Rechtsprechung des BGH, der bereits im Februar 2021 entschieden hatte, dass die Niederlassungsfreiheit nach erfolgtem Brexit nicht mehr auf die Anmeldung einer Zweigniederlassung einer englischen Limited anwendbar sei (BGH, Beschl. v. 16. Februar 2021 – II ZB 25/17 = NZG 2021, 702). Rechtstatsächlich dürfte der Austritt Großbritanniens aus der EU vor diesem Hintergrund dazu führen, dass das Modell "Limited mit Verwaltungssitz in Deutschland" als günstiges Vehikel für unternehmerische Tätigkeit auslaufen wird. Dies gilt umso mehr, als schon seit November 2008 mit der UG (haftungsbeschränkt) eine Alternative zur Verfügung steht und die Anzahl britischer Limited mit Verwaltungssitz in Deutschland seit Jahren rückläufig ist.

Die Konsequenz, die der Senat aus der Anwendung der milden Sitztheorie zieht (Unzulässigkeit des Verfügungsantrags mangels Existenz der Antragstellerin), überzeugt hingegen nicht ohne weiteres. Es ist aus den Entscheidungsgründen nicht ersichtlich, weshalb der Antrag nicht auch als Antrag des einzelkaufmännischen Unternehmens hätte ausgelegt werden können - verbunden mit einem entsprechenden Hinweis auf die notwendige Rubrumsberichtigung durch ebendieses (s. dazu Heckschen, GWR 2022, 1,2; Behme, ZIP 2021, 2557, 2595, 2565). Dass eine andere Handhabung der milden Sitztheorie möglich (und ggf. sogar geboten) ist, zeigt beispielsweise eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin aus dem Februar 2021 (VG Berlin, Beschl. v. 11. Februar 2021 – VG 1 L 105/21 = BeckRS 2021, 1722), in der die Kammer die Frage der Beteiligungsfähigkeit der dortigen Antragstellerin (einer britischen Limited) offenließ, da diese nach der sog. milden Sitztheorie jedenfalls als oHG qualifiziere und als solche beteiligungsfähig sei.

Praktische Konsequenzen

Obgleich das Schicksal britischer Kapitalgesellschaften nach Vollzug des Brexit nunmehr zumindest vorläufig geklärt sein dürfte, wirft die Entscheidung des OLG München eine Vielzahl von Folgefragen auf, die im Einzelfall von Unternehmen und ihren Berater sorgfältig geprüft werden müssen. Nachfolgend werden die wesentlichen praktischen Konsequenzen der Entscheidung dargestellt.

Für (ehemalige) Limited-Gesellschafter besteht angesichts der Entscheidung des Senats nun insbesondere das Risiko einer unbeschränkten persönlichen Haftung. Bis zur endgültigen Klärung durch den BGH sind britische Kapitalgesellschaften mit tatsächlichem Verwaltungssitz in Deutschland ab dem 31. Dezember 2020 nicht mehr als solche in Deutschland rechtsfähig und werden entweder als Personengesellschaft (regelmäßig GbR oder oHG) oder – bei Limited mit nur einem Gesellschafter - als einzelkaufmännisches Unternehmen behandelt. Die Limited existiert als solche nicht mehr. 

Eine Möglichkeit dieser Rechtsfolge zu entgehen, bestand bis zum 31. Dezember 2020 darin, die betroffene Gesellschaft auf eine Gesellschaft nach deutschem Recht mit Haftungsbeschränkung, vorzugsweise eine GmbH oder eine UG (haftungsbeschränkt), zu verschmelzen (§ 122m UmwG). Dies setzte jedoch voraus, dass der Verschmelzungsplan vor dem 31. Dezember 2020 notariell beurkundet wurde. Diese Möglichkeit scheidet inzwischen aus. 

Für betroffene Gesellschaften kommen deshalb nun vor allem Maßnahmen zur Wiederherstellung der beschränkten Gesellschafterhaftung in Betracht, sofern das operative Geschäft fortgeführt werden soll. Denkbar ist eine Übertragung der Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten im Wege des Asset Deal auf eine UG (haftungsbeschränkt) oder eine GmbH mit anschließender Auflösung und Beendigung der britischen Kapitalgesellschaft, wozu allerdings die Zustimmung aller Vertragspartner erforderlich ist. Eine weitere Möglichkeit zur Vermeidung der persönlichen Haftung besteht darin, die Vermögensgegenstände der britischen Kapitalgesellschaft im Wege der Sachgründung in eine neu zu errichtende GmbH einzubringen. Dies ist bei einer UG (haftungsbeschränkt) gemäß § 5a Abs. 2 Satz 2 GmbHG hingegen nicht möglich. Ein besonderes Augenmerk ist in diesen Konstellationen auf eine mögliche Haftung für Altverbindlichkeiten der ehemaligen Gesellschafter zu legen, was stets eine Einzelfallbetrachtung erfordert.

Sofern wirtschaftlich gewünscht, kann schließlich auch der Sitz der ehemaligen Limited (zurück) nach Großbritannien verlegt werden, wobei hier insbesondere die steuerlichen Folgen in den Blick zu nehmen wären. 

Wegen der Vielgestaltigkeit der praktisch denkbaren Konsequenzen empfiehlt sich für betroffene Unternehmen in jedem Fall, frühzeitig Rechtsrat einzuholen, um mögliche Haftungsrisiken zu vermeiden. GLADE MICHEL WIRTZ steht für einen Austausch zu diesen Themen jederzeit gern zur Verfügung.

Der Blogbeitrag steht hier für Sie zum Download bereit: "Out means Out": Die Behandlung britischer Kapital-gesellschaften nach Vollzug des Brexit

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