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Die Neuausrichtung der Vorsatzanfechtung geht weiter – Bundes­gerichtshof verschärft und konkretisiert erneut die Anfor­derungen an den Nachweis und die Kenntnis des Gläubiger­benachteiligungs­vorsatzes

10. März 2022

Der Bundesgerichtshof hat mit seinem Urteil vom 10. Februar 2022 (Az.: X ZR 148/19), welches Anfang März 2022 veröffentlicht wurde, seine jüngst eingeschlagene Neuausrichtung der Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO fortgesetzt. In seiner Entscheidung hat der IX. Zivilsenat die Anforderungen an den Nachweis des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes des Schuldners und die Kenntnis des Anfechtungsgegners weiter verschärft und konkretisiert. Der Bundesgerichtshof hat klargestellt, dass ein schleppendes Zahlungsverhalten des Schuldners allein nicht auf eine später eingetretene Zahlungseinstellung schließen lasse, wenn sich das schleppende Zahlungsverhalten – unabhängig von der Liquidität des Schuldners – durch die gesamte Geschäftsbeziehung ziehe.

Die Entscheidung erging zwar, wie bereits die Entscheidung vom 6. Mai 2021 (Az.: X ZR 72/20), über die wir ebenfalls berichtet haben, zu der Regelung des § 133 InsO in seiner bis zum 4. April 2017 geltenden Fassung; der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass seine Ausführungen auch für den § 133 InsO in der derzeit geltenden Fassung gelten.

I. HINTERGRUND DER ENTSCHEIDUNG UND RECHTLICHE AUSGANGSLAGE

In dem zu beurteilenden Sachverhalt wurde über das Vermögen einer GmbH im Jahr 2015 das Insolvenzverfahren eröffnet. Die klagende Insolvenzverwalterin hatte insgesamt 36 Einzelzahlungen der Schuldnerin an eine Spedition i.H.v. insgesamt ca. EUR 53.000,00 angefochten, mit denen diese in der Zeit vom 7. April 2014 bis zum 9. September 2015 Transportleistungen der Beklagten vergütet hatte und deren Rückzahlung verlangt (§§ 133 Abs. 1, 143 Abs. 1 Satz 1 InsO). Zur Begründung trug die Klägerin vor, dass die GmbH bereits seit Anfang 2013 zahlungsunfähig gewesen sei. Zum damaligen Zeitpunkt hatten sowohl eine Krankenversicherung wegen rückständiger Sozialversicherungsbeiträge als auch das zuständige Finanzamt wegen ausstehender Steuerzahlungen jeweils Insolvenzanträge gestellt; gegenüber dem Finanzamt hatte die Schuldnerin zudem erklärt, zahlungsunfähig zu sein. Da ein Dritter die ausstehenden Sozialversicherungsbeiträge und Steuerschulden i.H.v. insgesamt rund EUR 73.000,00 beglich, wurden die Insolvenzanträge für erledigt erklärt, sodass es nicht zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens kam. Die Beklagte war nicht über die beiden Insolvenzanträge informiert. Ihr war ausschließlich das seit Beginn der Geschäftsbeziehung Anfang 2012 durch eine dauerhafte und im Wesentlichen gleichbleibend schleppende Begleichung ihrer entstandenen Forderungen geprägte Zahlungsverhalten der Schuldnerin bekannt. Die Schuldnerin zahlte die offenen Rechnungen stets erst nach einer oder mehreren Mahnungen oder der Androhung von rechtlichen Schritten. Letztere mussten jedoch nie eingeleitet werden und es kam auch in keinem Zeitpunkt zu einem Anwachsen der Verbindlichkeiten der Schuldnerin gegenüber der Beklagten.

Die klagende Insolvenzverwalterin behauptete, die Schuldnerin sei spätestens seit Mitte 2013 nicht mehr in der Lage gewesen, die Forderungen der Beklagten zu erfüllen. Daher seien die angefochtenen Zahlungen mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz geleistet worden, welcher der Beklagten aufgrund der schleppenden Zahlungsweise der Schuldnerin auch bekannt gewesen sei. Sowohl das Landgericht Köln als auch das Oberlandesgericht Köln haben der Klage der Insolvenzverwalterin stattgegeben, da die Schuldnerin zahlungsunfähig gewesen sei und die Anfechtungsgegnerin hiervon aufgrund der schleppenden Zahlungsweise der Schuldnerin entsprechende Kenntnis gehabt habe.

Nach § 133 Abs. 1 InsO ist eine Rechtshandlung bekanntermaßen anfechtbar, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren – bei kongruenten Deckungshandlungen in den letzten vier Jahren – vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Diese Kenntnis des anderen Teils wird dabei gemäß § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO vermutet, wenn dieser wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung gläubigerbenachteiligend ist. 

Sowohl der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners als auch die Kenntnis des Anfechtungsgegners von diesem Vorsatz sind innere, dem Beweis nur eingeschränkt zugängliche, Tatsachen. Diese subjektiven Voraussetzungen können daher in aller Regel nur mittelbar aus objektiven (Hilfs-)Tatsachen hergeleitet werden. Zu diesen äußeren Beweiszeichen zählte – auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – lange Zeit die durch den Anfechtungsgegner erkannte Zahlungsunfähigkeit. Nach der vom Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 6. Mai 2021 (Az.: X ZR 72/20) eingeleiteten Rechtsprechungsänderung können bei einer kongruenten Deckung sowohl der Benachteiligungsvorsatz des Schuldners als auch die Kenntnis des Anfechtungsgegners von dem Gläubigerbenachteiligungsvorsatz nicht mehr allein darauf gestützt werden, dass der Schuldner im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung erkannter maßen zahlungsunfähig ist. Insoweit reicht es nicht mehr aus, wenn der Schuldner weiß, dass er im Zeitpunkt der Rechtshandlung nicht alle seine Gläubiger befriedigen kann. Vielmehr liegen der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz und die Kenntnis des anderen Teils nach der geänderten Rechtsprechung des Bundesgerichthofs nur dann vor, wenn der Schuldner weiß oder jedenfalls billigend in Kauf nimmt, seine übrigen Gläubiger auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht vollständig befriedigen zu können. 

II. ERHÖHTE VORAUSSETZUNGEN AN DIE FESTSTELLUNG DES GLÄUBIGERBENACHTEILIGUNGSVORSATZES UND DIE ERFORDERLICHE KENNTNIS DES ANFECHTUNGSGEGNERS BEI SCHLEPPENDEM ZAHLUNGSVERHALTEN

Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wirkt eine einmal eingetretene Zahlungsunfähigkeit so lange fort, bis der Schuldner seine Zahlungen im Allgemeinen wieder aufnimmt. Dies ist jedoch nicht bereits dann der Fall, wenn die Verbindlichkeit, deren Nichtbedienung die Feststellung der Zahlungseinstellung trägt, aufgrund ihrer Erfüllung oder Stundung nicht mehr herangezogen werden kann. Vielmehr ist erforderlich, dass der Schuldner jedenfalls den wesentlichen Teil seiner übrigen Verbindlichkeiten bedient. Die allgemeine Wiederaufnahme der Zahlungen ist dabei von dem Anfechtungsgegner darzulegen und zu beweisen.

In seiner aktuellen Entscheidung rückt der Bundesgerichtshof nunmehr ausdrücklich davon ab, dass der Anfechtungsgegner die allgemeine Wiederaufnahme der Zahlungen durch die Schuldnerin vollumfänglich darzulegen und zu beweisen habe. Vielmehr hält es der Bundesgerichtshof für angezeigt, die Anforderungen an den für die Entkräftung der Fortdauervermutung erforderlichen Vortrag des Anfechtungsgegners durch eine sekundäre Darlegungslast des Insolvenzverwalters zu beschränken. Er begründet seine geänderte Rechtsprechung damit, dass dem Anfechtungsgegner oftmals unmögliches abverlangt werde, wenn er die allgemeine Wiederaufnahme der Zahlungen der Schuldnerin vollumfänglich darzulegen und zu beweisen habe. Schließlich kenne er häufig nur das Zahlungsverhalten des Schuldners gegenüber ihm selbst, während ihm die allgemeine wirtschaftliche Lage des Schuldners und die Tatsache, ob dieser den wesentlichen Teil seiner übrigen Verbindlichkeiten wieder bedient habe, regelmäßig unbekannt sei.

Die sekundäre Darlegungslast des Insolvenzverwalters soll nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs eingreifen, wenn der Anfechtungsgegner einen Umstand beweist oder ein solcher unstreitig ist, der eine Wiederaufnahme der Zahlungen im Allgemeinen als möglich erscheinen lässt. Dies soll bereits dann anzunehmen sein, wenn die Verbindlichkeit, deren Nichtbedienung die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit trägt bzw. getragen hat, nicht mehr herangezogen werden kann und dem Anfechtungsgegner keine weiteren Kenntnisse über das Zahlungsverhalten des Schuldners vorliegen. In diesem Fall soll es dann dem Insolvenzverwalter obliegen, zum Zahlungsverhalten des Schuldners im Übrigen, insbesondere zu weiterhin nicht bedienten Verbindlichkeiten des Schuldners in demjenigen Zeitraum vorzutragen, in dem die Wiederaufnahme der Zahlungen erfolgt sein soll.

Diesen Anforderungen hat der Vortrag der Klägerin in dem zu beurteilenden Sachverhalt nicht genügt. Sie hatte die Zahlungsunfähigkeit und Zahlungseinstellung nämlich lediglich auf die seinerzeit offenen Sozialversicherungsbeiträge und Steuerforderungen sowie die daraufhin gestellten Insolvenzanträge gestützt. Da eben diese Verbindlichkeiten jedoch durch einen Dritten beglichen wurden, hätte die Klägerin ausdrücklich auch zu den weiterhin nicht bedienten Verbindlichkeiten der Schuldnerin gegenüber anderen Gläubigern vortragen müssen. Nur dann wäre die Beklagte in die Lage versetzt worden, die Vermutung der Fortdauer der Zahlungsunfähigkeit zu entkräften.

Im Weiteren führt der Bundesgerichtshof aus, dass sich eine Zahlungseinstellung der Schuldnerin auch nicht auf andere Umstände stützen lasse. Sofern es an einer entsprechenden Erklärung des Schuldners fehle, könne die Zahlungseinstellung zwar auch auf andere Umstände gestützt werden. Diese müssten jedoch das einer Erklärung entsprechende Gewicht erreichen. Dies sei bei Zahlungsverzögerungen allein, auch wenn sie wiederholt auftreten, regelmäßig nicht der Fall. Vielmehr müssten Umstände hinzutreten, die mit einer hinreichenden Gewissheit dafürsprechen würden, dass die Zahlungsverzögerung auch auf einer fehlenden Liquidität des Schuldners beruht. Diese Umstände müssten jeweils im konkreten Einzelfall ein Gewicht erreichen, dass der Erklärung des Schuldners entspricht, aus einem Mangel an liquiden Mitteln nicht zahlen zu können.

Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs käme der schleppenden Zahlungsweise und den verspäteten Zahlungen der Schuldnerin ein solches Gewicht und ein solcher Erklärungsgehalt ausdrücklich nicht zu. Der schleppenden Zahlungsweise ließe sich nämlich nicht mit der nach § 286 ZPO erforderlichen hinreichenden Gewissheit entnehmen, dass die Schuldnerin ihre Zahlungen tatsächlich eingestellt habe. Zum einen wiesen die Mahnungen der Anfechtungsgegnerin neben den überfälligen Forderungen auch solche Forderungen aus, die noch nicht fällig waren. Zum anderen habe die Schuldnerin gegenüber der Anfechtungsgegnerin schon seit Beginn der Geschäftsbeziehung Anfang 2012 ein schleppendes Zahlungsverhalten an den Tag gelegt. Da sich dieses Zahlungsverhalten in der Folge nicht wesentlich verändert habe, verliere es seine Bedeutung, um eine später eingetretene Zahlungseinstellung annehmen zu können. Lege der Schuldner jedoch unabhängig von seiner Liquiditätssituation ein schleppendes Zahlungsverhalten an den Tag, könne aus diesem nicht (mehr) auf eine später eingetretene Zahlungseinstellung geschlossen werden.

III. VERSCHÄRFUNG DER ANFORDERUNGEN AN DIE KENNTNIS VON DER DROHENDEN ZAHLUNGSUNFÄHIGKEIT

Ergänzend führt der Bundesgerichtshof sodann aus, dass ein Anfechtungsgegner, dem lediglich das Zahlungsverhalten des Schuldners ihm gegenüber bekannt sei, in der Regel keine Kenntnis von der drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners habe. Dies begründet der Bundesgerichtshof damit, dass es dem Anfechtungsgegner in der Regel an denjenigen Kenntnissen fehle, die zur Beurteilung der drohenden Zahlungsunfähigkeit erforderlich seien. Schließlich sei für die Beurteilung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit eine in die Zukunft gerichtete Prognose erforderlich, bei der die Liquidität sowie die innerhalb des Prognosezeitraums fällig werdenden Forderungen des Schuldners den fälligen sowie den innerhalb des Prognosezeitraums fällig werdenden Verbindlichkeiten gegenüberzustellen zu seien. Von eben diesen Parametern habe ein Anfechtungsgegner, dem lediglich die Zahlungsweise des Schuldners ihm gegenüber bekannt sei, regelmäßig jedoch keine Kenntnis und könne daher auch keine Kenntnis von der drohenden Zahlungsunfähigkeit haben.

IV. FAZIT/STELLUNGNAHME

Der Bundesgerichtshof setzt mit seiner jüngsten Entscheidung seine im vergangenen Jahr begonnene Neuausrichtung der Rechtsprechung zur Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO fort. Dies folgt bereits daraus, dass der Bundesgerichtshof in seiner jüngsten Entscheidung ausdrücklich auf seine Entscheidung vom 6. Mai 2021 (Az.: X ZR 72/20) Bezug nimmt und anknüpfend hieran die Voraussetzungen für den Nachweis des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes des Schuldners und die Kenntnis des Anfechtungsgegners hiervon weiter konkretisiert und verschärft. 

Ein pauschaler Verweis auf eine schleppende Zahlungsweise und Zahlungsmoral des Schuldners wird zukünftig nicht mehr ausreichen, um den Eintritt oder das Fortbestehen einer eingetretenen Zahlungseinstellung im Rahmen der Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO darzulegen und zu beweisen. Die jüngste Entscheidung des Bundesgerichtshofs dürfte daher die Position von Gläubigern, die sich einer Vorsatzanfechtung ausgesetzt sehen, weiter stärken. Schließlich wurden sowohl die Anforderungen an den Nachweis des Benachteiligungsvorsatzes auf Seiten des Schuldners als auch von dessen Kenntnis auf Seiten des Anfechtungsgegners ein weiteres Mal verschärft. Spiegelbildlich dazu wurden die Anforderungen an den Vortrag des Anfechtungsgegners für den Wegfall einer eingetretenen Zahlungseinstellung deutlich reduziert. Dieser muss lediglich einen Umstand beweisen, der eine Wiederaufnahme der Zahlungen im Allgemeinen als möglich erscheinen lässt, wobei es bereits ausreicht, wenn er vorträgt, dass eine Verbindlichkeit, auf deren Nichterfüllung die Zahlungseinstellung gestützt wurde, nicht mehr besteht. Gelingt dem Anfechtungsgegner dieser Nachweis, obliegt es dem Insolvenzverwalter vorzutragen, dass in dem Zeitpunkt der angenommenen Zahlungseinstellung andere nicht bediente Verbindlichkeiten des Schuldners bestanden.

Gleichwohl wird einem Insolvenzverwalter der Nachweis des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes und die Kenntnis des Anfechtungsgegners auch zukünftig gelingen können, wenn er in der Lage ist, der ihm etwaig obliegenden sekundären Darlegungslast hinsichtlich der offenen Verbindlichkeiten der Schuldnerin nachzukommen. Hierfür wird es in aller Regel einer entsprechend aufbereiteten Buchhaltung der Schuldnerin brauchen, aus der die einzelnen Verbindlichkeiten der Schuldnerin zu den jeweiligen Stichtagen ersichtlich sind. Soweit die Buchhaltung der Schuldnerin diesen Anforderungen nicht genügt, wird der Insolvenzverwalter diese – sofern möglich – vor einem Anfechtungsprozess entsprechend aufbereiten müssen.

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