Update Verbandssanktionenrecht – Der Regierungsentwurf des Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft vom 16. Juni 2020
3. Juli 2020
Am 16. Juni 2020 hat die Bundesregierung den vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) erarbeiteten "Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft" nahezu unverändert gegenüber dem Referentenentwurf aus April 2020 (RefE) als Regierungsentwurf beschlossen. Dies zeigt den Willen der Großen Koalition, Unternehmen deutlich strenger zu sanktionieren als dies bislang auf Basis des Ordnungswidrigkeitenrechts möglich ist.
Der Beschluss der Bundesregierung wurde trotz vielfältiger Kritik u.a. führender Wirtschaftsverbände und aus der Anwaltschaft nur wenige Tage nach Ablauf der gewährten Stellungnahmefrist zum RefE gefasst. Die offizielle Losung und damit die Messlatte für den Erfolg des Gesetzes trägt dieses schon im Namen: "Stärkung der Integrität in der Wirtschaft". Ob es zur Erreichung dieses Ziels eines neuen Gesetzes bedarf und ob der Regierungsentwurf hierfür ein Schritt in die richtige Richtung ist, wird überaus unterschiedlich beurteilt. Unter anderem wohl deshalb hat das BMJV neben dem Regierungsentwurf einen 17-seitigen Q&A-Katalog auf seiner Homepage veröffentlicht, der den Regelungsansatz erläutert.
Der Regierungsentwurf enthält gegenüber dem RefE nur wenige Änderungen, die im Zusammenhang mit verbandsinternen Untersuchungen stehen und die teils eher klarstellender Natur sind, in einem Punkt aber auch eine deutliche Verschärfung vorsehen. Zunächst wurde in § 17 Abs. 1, der die Voraussetzungen für Milderungen der Verbandssanktion bei verbandsinternen Untersuchungen regelt, klargestellt, dass sich die Anforderungen nach Nr. 5 allein auf "Befragungen in der verbandsinternen Untersuchung" beziehen und gegenüber allen "Befragten" einzuhalten sind. Zuvor war § 17 Abs. 1 Nr. 5 lit. a) lediglich auf "Mitarbeiter" bezogen, während in § 17 Abs. 1 Nr. 5 lit. b) und c) bereits von "Befragten" die Rede war. Bei weitem erheblicher ist, dass nunmehr in § 17 Abs. 1 Nr. 1 erstmals vorgesehen ist, dass der Verband, um eine Aussicht auf Milderung der Verbandssanktion zu haben, neben einem wesentlichen Beitrag zur Aufklärung der Verbandstat auch einen wesentlichen Beitrag zur Aufklärung der (eigenen) Verbandsverantwortlichkeit leisten muss (hierzu unter II.6).
Nachstehend geben wir einen Überblick über zentrale Aspekte des Regierungsentwurfs und beleuchten zudem besondere Wechselwirkungen mit dem Kartellrecht.
I. Kern des Gesetzesvorhabens
Kern des Gesetzesvorhabens ist das "Gesetz zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten" (Verbandssanktionengesetz – VerSanG). Das VerSanG soll die gegenüber Unternehmen derzeit bestehenden ordnungswidrigkeitenrechtlichen Sanktionsandrohungen bei unternehmensbezogenen Straftaten von Leitungs- und Nichtleitungspersonen deutlich verschärfen. Daneben sollen Anreize verstärkt werden, Compliance-Management-Systeme so wirksam wie möglich aufzusetzen, aufkeimenden Verdachtsmomenten durch verbandsinterne Untersuchungen nachzugehen und durch Zusammenarbeit mit den Verfolgungsbehörden an der Aufklärung von strafrechtlich relevanten Compliance-Verstößen mitzuwirken.
II. Eckpunkte des Regierungsentwurfs zum VerSanG
1. Regelungs- und Anwendungsbereich
Gegenstand des VerSanG in der Fassung des Regierungsentwurfs (VerSanG-RegE) ist nach dessen § 1 die "Sanktionierung von Verbänden, deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, wegen Straftaten, durch die Pflichten, die den Verband treffen, verletzt worden sind oder durch die der Verband bereichert worden ist oder werden sollte".
Adressat des Gesetzesvorhabens sind alle Unternehmen und sonstigen wirtschaftlichen Verbände mit eigener Rechtspersönlichkeit, unabhängig davon, ob sie als juristische Personen des privaten oder öffentlichen Rechts oder als rechtsfähige Personengesellschaften organisiert sind (nachstehend zusammen auch Unternehmen genannt).
Für nichtwirtschaftliche Verbände, insbesondere eingetragene Idealvereine, soll es dagegen auch bei Vorliegen einer verbandsbezogenen Straftat bei dem geltenden ordnungswidrigkeitenrechtlichen Regelungsregime bleiben.
2. Scharfe Sanktionsandrohungen
Der Regierungsentwurf sieht im Fall der Verantwortlichkeit von Unternehmen für Verbandstaten – bloße Aufsichtspflichtverletzungen eingeschlossen (hierzu näher unter II.3) - zwei Sanktionsarten vor, nämlich
- die Verbandsgeldsanktion (§ 8 Nr. 1) sowie
- die Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt (§ 8 Nr. 2).
Die im BMJV zunächst angestellte Überlegung, als "Ultima ratio" auch die Möglichkeit der Verbandsauflösung vorzusehen, war nach erheblicher Kritik bereits im RefE nicht enthalten und hat auch nicht Eingang in den Regierungsentwurf gefunden.
Die Verbandsgeldsanktion soll für solche Unternehmen, die einen weltweiten Gruppenumsatz von mehr als durchschnittlich EUR 100 Mio. in den letzten drei Geschäftsjahren vor Verurteilung erzielt haben, umsatzbezogen ausgestaltet sein und bei vorsätzlicher Verbandstat bis zu 10% des weltweiten durchschnittlichen Jahresgruppenumsatzes betragen. Für kleinere Unternehmen wird sich die Verbandsgeldsanktion bei vorsätzlicher Verbandstat auf bis zu EUR 10 Mio. belaufen. Im Fall einer fahrlässigen Verbandstat würde das Höchstmaß der Sanktion jeweils halbiert. Grundlage für die Bemessung der Verbandsgeldsanktion sollen u.a. die Bedeutung der Verbandstat, die Schwere und das Ausmaß von festgestellten Aufsichtspflichtverletzungen und die wirtschaftlichen Verhältnisse des Verbandes sein.
Alternativ kommt als zweite Sanktionsart die Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt in Betracht, wenn die Verhängung einer Verbandsgeldsanktion nach einer Gesamtwürdigung aller Umstände nicht erforderlich erscheint, um den Verband künftig zu rechtskonformem Verhalten anzuhalten. Dies stellt sich zunächst als mildere Sanktion dar, weil zwar eine Verbandsgeldsanktion bestimmt wird, deren Verhängung aber vorbehalten bleibt. Die Sanktion kann allerdings mit Auflagen oder Weisungen, auch hinsichtlich der Ausgestaltung des Compliance-Management-Systems, verbunden werden, was zum Teil als "verkapptes Monitoring" aufgefasst wird. So soll der Verband namentlich angewiesen werden können, bestimmte (zumutbare) Vorkehrungen zur Vermeidung von Verbandsstraftaten zu treffen und diese Vorkehrungen einer "sachkundigen Stelle", die mit Zustimmung des Gerichts auszuwählen ist, nachzuweisen. Dies kann beträchtliche Auswirkungen auf den Verband haben und hohen Aufwand verursachen.
Als Nebenfolge einer Sanktionierung können darüber hinaus Taterträge gem. §§ 73 ff. StGB eingezogen werden. Weiter ist vorgesehen, dass bei einer großen Zahl von Geschädigten die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung des Verbandes gerichtlich angeordnet werden kann. Rechtskräftige Entscheidungen über die Verhängung von Verbandssanktionen oder die Festsetzung einer Geldbuße nach § 30 OWiG von mehr als EUR 300 sollen zudem zukünftig in ein neu zu schaffendes Verbandssanktionenregister aufgenommen werden. Dieses soll indes nicht öffentlich einsehbar sein.
Bei Gesamtrechtsnachfolge oder partieller Gesamtrechtsnachfolge durch Aufspaltung können, wie bereits im Ordnungswidrigkeitenrecht (§ 30 Abs. 2a Satz 1 OWiG) und im Kartellrecht (§ 81 Abs. 3a-e GWB) der Fall, Verbandssanktionen auch gegen den oder die Rechtsnachfolger verhängt werden.
3. Strenge Verbandsverantwortlickheit
Zwingende Voraussetzung für eine Verbandssanktionierung ist nach § 3 Abs. 1 die Verantwortlichkeit des Verbands für eine sog. Verbandstat (bzw. eine gleichgestellte Auslandstat, s.u.) natürlicher Personen. Die Verbandsverantwortlichkeit kann dabei durch eine Verbandstat
- von Leitungspersonen, d.h. Vorstände, Geschäftsführer, vertretungsberechtigte Gesellschafter, Generalbevollmächtigte, Mitglieder des Aufsichtsrats oder von anderen Kontrollgremien oder sonstigen Personen in Leitungs- oder Kontrollpositionen, oder
- von Nichtleitungspersonen, die in Wahrnehmung der Angelegenheiten des Verbandes gehandelt haben,
begründet werden.
Begeht eine Leitungsperson eine Verbandstat, soll der Verband ohne Exkulpationsmöglichkeit verantwortlich i.S.d. VerSanG-RegE sein. Der Verband könnte dann allenfalls eine "Exzesstat", d.h. eine gänzlich aus verbandsfremden Motiven heraus begangene Tat und damit das Fehlen einer Verbandstat, einwenden.
Begeht dagegen eine Nichtleitungsperson in Wahrnehmung der Angelegenheiten des Verbandes eine Verbandstat, soll die Verbandsverantwortlichkeit dann begründet sein, wenn Leitungspersonen – rein objektiv betrachtet – die Verbandstat durch "angemessene Vorkehrungen zur Vermeidung von Verbandsstraftaten wie insbesondere Organisation, Auswahl, Anleitung und Aufsicht" hätten verhindern oder wesentlich erschweren können. Mit anderen Worten: Der Zurechnungszusammenhang zum Verband kann durchbrochen werden, wenn im Zeitpunkt der Begehung der Verbandstat insoweit angemessene Vorkehrungen zur Vermeidung von Verbandsstraftaten implementiert waren (Compliance-Management-System).
Damit ist die Verantwortlichkeit des Verbandes nach § 3 Abs. 1 VerSanG-RegE zwar grundsätzlich in Anlehnung an §§ 30, 130 OWiG geregelt, jedoch letztlich noch strenger ausgestaltet, weil Aufsichtspflichtverletzungen die Verantwortlichkeit des Verbandes gem. § 3 Abs. 1 Nr. 2 selbst dann begründen, wenn weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit vorlag.
Die tauglichen Anknüpfungstaten von Leitungs- und Nichtleitungspersonen werden im VerSang-RegE nicht abschließend aufgelistet und sind auch nicht etwa durch Regelbeispiele konkretisiert. Anknüpfungstat kann nach dem VerSanG-RegE vielmehr jede Straftat sein, durch die – wie es abstrakt heißt – "Pflichten, die den Verband treffen, verletzt worden sind oder durch die der Verband bereichert worden ist oder werden sollte" (sog. Verbandstat; vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 3). Als Anknüpfungstat in Betracht kommen damit verschiedenste Delikte wie z.B. Betrugs- oder Bestechungstaten, Umweltdelikte oder Steuerstraftaten, aber etwa auch Urkundenfälschung.
Einer Verbandstat gleichgestellt werden gem. § 2 Abs. 2 unter bestimmten Voraussetzungen auch Taten von Leitungs- und Nichtleitungspersonen, auf die das deutsche Strafrecht mangels Inlandsbezug der Tat nicht anzuwenden ist. Vor dem Hintergrund, dass die Festsetzung von Geldbußen gegen Unternehmen wegen im Ausland begangener Taten nach derzeitiger Rechtslage regelmäßig nur dann möglich ist, wenn der Verband in der betroffenen Jurisdiktion Leitungspersonen mit deutscher Staatsangehörigkeit eingesetzt hat, stellt auch die Regelung des § 2 Abs. 2, die eine Beteiligung deutscher Staatsbürger nicht voraussetzt, eine nennenswerte Verschärfung dar.
Das Feld möglicher Anknüpfungstaten ist damit denkbar weit, solange nur bei Tatbegehung der erforderliche Verbandsbezug vorliegt.
4. Legalitätsprinzip; Anreizsystem
In verfahrensrechtlicher Hinsicht sollen im Anwendungsbereich des VerSanG strafprozessuale Regelungen zur Anwendung kommen. Dies bedeutet zunächst, dass für die Ermittlungstätigkeit der Verfolgungsbehörden das Legalitätsprinzip gilt. Anders als im Ordnungswidrigkeitenrecht, in dem die Verfolgung von Verstößen in das Ermessen der Behörden gestellt ist (Opportunitätsprinzip), wären die Verfolgungsbehörden im Anwendungsbereich des VerSanG mithin verpflichtet, bei hinreichenden Anhaltspunkten Ermittlungen aufzunehmen. Verfahren würden nach Anklage und Eröffnung zudem in eine öffentliche Hauptverhandlung vor Gericht (Schöffengericht; Strafkammer) münden, es sei denn, das Verfahren kann ausnahmeweise per Sanktionsbescheid beendet werden.
Korrespondierend zur Einführung des Legalitätsprinzips sind in den §§ 35 ff. VerSanG-RegE –was nur konsequent ist – eine Reihe praxisrelevanter Einstellungsmöglichkeiten vorgesehen, u.a. bei Geringfügigkeit, unter Auflagen und Weisungen, wenn der Verband durch die Verbandstat bereits mit schweren Folgen betroffen ist, bei zu erwartender Sanktionierung im Ausland, bei Insolvenz oder – vorübergehend – bei Durchführung verbandsinterner Untersuchungen.
Im besten Fall können auch die Optimierung von Compliance-Maßnahmen vor, während oder nach Begehung einer Verbandstat oder wesentliche Aufklärungsbeiträge des Verbands zu einer Verfahrenseinstellung führen. Zudem besteht die Möglichkeit der Honorierung solcher Maßnahmen beim Sanktionshöchstrahmen bzw. im Rahmen der konkreten Sanktionszumessung.
Durch dieses im VerSanG-RegE vorgesehene Anreizsystem wird einem wichtigen Anliegen der Praxis dem Grunde nach entsprochen. Allerdings stoßen insbesondere die hohen Anforderungen an nach dem VerSanG-RegE besonders honorierungswürdige "gute" verbandsinterne Untersuchungen weiter auf nachhaltige Kritik (hierzu unter II.6).
5. Keine konkreten Vorgaben für Compliance-Management-System
Mit Blick auf das – jedenfalls in seinen Grundzügen von der Geschäftsleitung vorzugebende – Compliance-Management-System bleibt auch im VerSanG-RegE weiter offen, was Unternehmen konkret leisten müssen, um durch ein angemessenes Compliance-Management-System jedenfalls bei Mitarbeiterkriminalität eine Verbandsverantwortlichkeit auszuschließen.
Zwar werden in der einschlägigen Norm (§ 3 Abs. 1 Nr. 2) zur Beschreibung tauglicher Vorkehrungen die Begriffe "Organisation", "Auswahl", "Anleitung" und "Aufsicht" genannt. Konkrete Maßstäbe, was genau hierunter zu verstehen und welche Vorkehrungen angemessen sein sollen, finden sich allerdings weder im Gesetzestext noch in der Gesetzesbegründung. Immerhin wird in der Gesetzesbegründung deutlich, dass nicht nur bei kleinen, sondern auch bei mittleren Unternehmen mit geringem Risiko von Rechtsverletzungen wenige einfache Vorkehrungsmaßnahmen ausreichend sein können. Insoweit sei auch der "Zukauf" eines Compliance-Programms oder von Zertifizierungen regelmäßig nicht erforderlich. Auch findet sich die zutreffende und wichtige Aussage, dass von Unternehmen ein lückenloser Schutz gegen Straftaten nicht zu gewährleisten sein wird.
Compliance-Management-Systeme werden damit künftig – wie bereits heute anerkannt – bei der "Organisation", "Auswahl", "Anleitung" und "Aufsicht" ansetzen müssen, aber weiter risikoadjustiert und einzelfallbezogen in Bezug auf das jeweilige Unternehmen aufgesetzt werden können und müssen.
6. Hohe Anforderungen an "gute" verbandsinterne Untersuchungen
Nach §§ 17 Abs. 1, 18 soll – wie auch bereits nach dem RefE – der Verband eine "vertypte" Reduzierung des Sanktionshöchstmaßes um 50% erhalten, wenn er bei bzw. in Zusammenhang mit der Durchführung einer verbandsinternen Untersuchung die Anforderungen des § 17 (freiwillig) einhält. Zudem ist in diesem Fall eine öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung ausgeschlossen. Werden allgemeine Rechtsvorschriften, etwa aus dem Bereich des Datenschutz- oder Arbeitsrechts verletzt, gibt die "Soll-Regelung" des § 17 Abs. 1 den Gerichten allerdings noch immer weiten Raum, die Privilegierung zu versagen.
An "gute" verbandsinterne Untersuchungen i.S. des § 17 werden äußerst hohe Anforderungen gestellt, die jedenfalls in der Summe kritisch zu sehen sind. Dies sind:
- Personelle Trennung von verbandsinterner Untersuchung und Verteidigung (vgl. § 17 Abs. 1 Nr. 2), wodurch u.a. nach der Intention des BMJV die Beschlagnahme von Untersuchungsunterlagen zusätzlich rechtlich abgesichert werden soll.
- Ununterbrochene und uneingeschränkte Zusammenarbeit mit den Verfolgungsbehörden (vgl. § 17 Abs. 1 Nr. 3) und die Herausgabe des Ergebnisses der verbandsinternen Untersuchung einschließlich aller für die verbandsinterne Untersuchung wesentlichen Dokumente, auf denen das Ergebnis beruht, sowie des Abschlussberichts, und zwar spätestens bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens (vgl. § 17 Abs. 1 Nr. 4; Abs. 3 Satz 2).
- Beachtung von Grundsätzen des fairen Verfahrens im Rahmen von Befragungen, wozu explizit auch die Einräumung von Auskunftsverweigerungsrechten in Mitarbeiter- und sonstigen Interviews gehört (vgl. § 17 Abs. 1 Nr. 5).
- Wesentlicher Aufklärungsbeitrag hinsichtlich der Verbandstat sowie – und dies ist nun erstmals im Regierungsentwurf als zusätzliche Voraussetzung enthalten – hinsichtlich der (eigenen) Verbandsverantwortlichkeit (vgl. § 17 Abs. 1 Nr. 1).
Der Umstand, dass der Verband nunmehr neben einem wesentlichen Beitrag zur Aufklärung der Verbandstat auch einen wesentlichen Beitrag zur Aufklärung der (eigenen) Verbandsverantwortlichkeit soll leisten müssen, ist eine wesentliche Verschärfung gegenüber den Vorgaben des RefE, die durchaus bemerkenswert ist. Diese Änderung gegenüber dem RefE legt nahe, dass sich die Untersuchung bei entsprechenden Anhaltspunkten zwingend auch darauf beziehen muss, ob auf Leitungsebene relevante Aufsichtspflichten verletzt wurden. Damit liegt der Gesetzesentwurf auf der von vornherein eingeschlagenen harten Linie. Augenscheinlich ist es das Ziel, die Verteidigungsmöglichkeit von Unternehmen in Fällen von Wirtschaftskriminalität faktisch (nahezu) auszuhöhlen.
III. AUSBLICK: ERFAHRUNGEN UND WECHSELWIRKUNGEN MIT DEM KARTELL-RECHT
1. Einführung
Viele der mit dem VerSanG-RegE geplanten und zum Teil gerade von Strafrechtlern und Unternehmensvertretern heftig kritisierten Regelungen sind Kartellrechtlern bereits gut bekannt. So drohen bei Kartellrechtsverstößen seit Langem Bußgelder in Höhe von 10% des Konzernumsatzes. Auch ist es gelebte Praxis, dass Unternehmen im Rahmen von Bonusprogrammen mit den Kartellbehörden kooperieren und selbstbelastende Beweismittel preisgeben, um eine Bußgeldreduktionen zu erlangen. Insoweit liegt also das rechtspolitisch fragwürdige und mit § 17 VerSanG-RegE einhergehende Outsourcing der staatlichen Ermittlungsarbeit auf einer Linie mit dem Ansatz der Kartellbehörden.
Umgekehrt zeigt die Erfahrung mit dem Kartellrecht, dass der Regierungsentwurf mit Blick auf die Bestimmtheit und Vorhersehbarkeit der Verfolgung Fragen aufwirft. So ist noch nicht absehbar, wann und in welchen Fällen Verdachtsmomente aufgegriffen werden, zumal die Anwendung von § 130 OWiG in der heutigen Praxis der Verfolgungsbehörden wohl eine allenfalls untergeordnete Rolle spielt. Auch die konkrete Anwendung des neuen Bußgeldrahmens scheint alles andere als bestimmt und vorhersehbar. Während das Bundeskartellamt der Bußgeldbemessung ein vorhersehbares System zugrunde legt, zeigt sich schon bei kartellrechtlichen Einspruchsverfahren vor dem OLG Düsseldorf, welches die Zumessungspraxis des Bundeskartellamts nicht beachtet, angesichts z.T. immenser Verböserungen (vgl. das Rossmann-Urteil), wie groß die Rechtsunsicherheit insoweit ist. Mit Blick auf die künftig zahlreich zuständigen Staatsanwaltschaften und Gerichte wird diese nochmals vergrößert.
2. Zuständigkeiten in Kartellsachen
Diese Unterschiede zwischen VerSanG-RegE und Kartellrecht führen auch zur Frage der Abgrenzung dieser Rechtsinstitute. So fallen grundsätzlich auch Kartellvergehen unter die Definition von § 2 Abs. 1 Nr. 3 VerSanG-RegE. Der Regierungsentwurf soll jedoch die besondere Sachkunde der Kartellbehörden nicht untergraben und sieht laut Gesetzesbegründung eine "faktisch[e] Bereichsausnahme" vor. So soll das VerSanG-RegE gemeinsam mit Änderungen von § 82 GWB und § 21 OWiG eine dreigeteilte Zuständigkeit normieren:
- Individualbeschuldigte kartellrechtlicher Straftaten (v.a. § 298 StGB) werden nach wie vor durch die Staatsanwaltschaft strafrechtlich verfolgt.
- Die Staatsanwaltschaft ist zudem gem. § 23 VerSanG-RegE zur Verfolgung von juristischen Personen und Personenvereinigungen wegen Kartellstraftaten berufen.
- Die Festsetzung von Geldbußen gegen natürliche und juristische Personen oder Personenvereinigungen wegen Ordnungswidrigkeiten gem. § 81 GWB, auch wenn sie wie der Submissionsbetrug zugleich Straftatbestände verwirklichen, liegt nach § 82 GWB in den Händen der Kartellbehörden.
Die damit z.T. formell bestehende Doppelzuständigkeit bei der Verfolgung von juristischen Personen und Personenvereinigungen wird durch § 42 VerSanG-RegE geregelt. Hiernach teilt die Kartellbehörde den Verfolgungsbehörden mit, ob sie in einem Fall, der auch eine Verbandsverantwortlichkeit begründen könnte, ein Ordnungswidrigkeitenverfahren führen oder dieses einstellen wird. Aufgrund dieser Mitteilung muss die Verfolgungsbehörde von einer eigenen Verfolgung des Verbandes absehen. Umgekehrt muss die Verfolgungsbehörde vor eigenen Ermittlungen die zuständige Kartellbehörde um Mitteilung bitten, ob diese ein Verfahren führen oder einstellen möchte. Die Verfahrenshoheit liegt damit klar bei den Kartellbehörden. Diese können ein Verfahren selbst dann noch an sich ziehen, wenn bereits Anklage erhoben worden sein sollte.
Unklarheiten verbleiben, wenn die Kartellbehörde ein Verfahren noch nicht an sich gezogen oder eingeleitet hat. Ob eine Nichtausübung der Befugnis – bspw. aus Opportunitätsgründen – als eine Einstellung und Verfahrenshindernis für die Verfolgungsbehörde zu deuten ist, darf zumindest angezweifelt werden. In diesem Fall wäre folglich die Staatsanwaltschaft weiterhin zuständig und durch das Legalitätsprinzip zur Verfolgung des Verbands sogar verpflichtet. Eine vollständige "Bereichsausnahme" für das Kartellrecht scheint dem Regierungsentwurf damit nicht gänzlich geglückt, wobei fraglich ist, ob dies praxisrelevant werden wird.
3. Lessons (to be) learned?
Wenngleich damit den Kartellbehörden die Verfahrenshoheit obliegt und sie auch künftig nach ihren eigenen Regeln und unabhängig vom VerSanG-RegE verfahren können, ist fraglich, ob die Neuregelungen Einfluss auf Bußgeldverfahren beim Bundeskartellamt haben werden. So berücksichtigt das Bundeskartellamt z.B. vor und während einer Tat bereits bestehende Compliance-Maßnahmen bei der Bußgeldzumessung grundsätzlich nicht, wenngleich dies starke Anreize zum Wettbewerbsschutz setzen würde und auch vom BGH bereits aufgegriffen wurde (BGH, Urteil vom 9. Mai 2017, 1 StR 265/17). Insoweit muss sich das Bundeskartellamt der Frage stellen, ob die im VerSanG-RegE anerkannte, bußgeldmindernde Funktion von Compliance nun (endlich) auch in Kartellordnungswidrigkeitenverfahren Berücksichtigung finden wird.
Darüber hinaus erscheint fraglich, ob das Bundeskartellamt ggf. auch Lehren aus §§ 17 und 18 VerSanG-RegE ziehen und z.B. zusätzliche Anforderungen für interne Untersuchungen in der Bonusbekanntmachung vorsehen wird. Anzeichen hierfür bestehen nicht, zumal Anreize für Kronzeugenzeugenanträge bei steigender Komplexität wohl verringert würden und beide Institute mitunter verschiedene Zwecke verfolgen. Schließlich erscheint auch fragwürdig, ob ein Nebeneinander von Wettbewerbsregister beim Bundeskartellamt und Verbandssaktionenregister praktisch sinnvoll und effizient sein kann.
IV. Fazit
Auch und gerade wenn man anerkennt, dass die Große Koalition mit dem Gesetzesvorhaben ein rechtspolitisches Signal setzen möchte, ist zu wünschen, dass bei einem "Verbandssanktionenrecht" bereits der erste Schuss sitzt. Dies ist in Anbetracht der zahlreichen gegenläufigen Interessen, die hier in Ausgleich zu bringen sind, kein leichtes Unterfangen. Es zeigt sich, um nur ein Beispiel zu nennen, bereits an dem durch § 3 Abs. 1 definierten Maßstab für die Verantwortlichkeit von Verbänden bei strafrechtlich relevanten Compliance-Verstößen, der äußerst streng – viele sagen zu streng – ausgefallen ist. Kritisch zu sehen ist insbesondere, dass im praktisch am häufigsten relevanten Fall einer Aufsichtspflichtverletzung die Verantwortlichkeit des Verbandes nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 unabhängig davon begründet sein kann, ob Leitungspersonen ein Verschulden (Vorsatz bzw. Fahrlässigkeit) zur Last zu legen ist.
Durch den Regierungsbeschluss ist es dennoch wahrscheinlich, dass das Gesetzesvorhaben in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden wird. Die nun anstehenden Beratungen in Bundestag und Bundesrat geben aber noch einmal die Möglichkeit, bei einigen Stellschrauben die unterschiedlichen Interessenlagen feiner auszutarieren. Insbesondere dürfte ein gemeinsames Interesse von Unternehmen und Politik daran bestehen, dass Mitarbeiter gegenüber ihrem Arbeitgeber wahrheitsgemäße Angaben machen und sich nicht auf ein ihnen von ihrem Arbeitgeber zur Erfüllung der Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 eingeräumtes Auskunftsverweigerungsrecht zurückziehen können. Denn nur aufgrund von wahrheitsgemäßen Auskünften kann das betroffene Unternehmen hinreichend auch an der Aufklärung mitwirken. Die berechtigten Interessen der Mitarbeiter könnten in einem Modell, das auch für "gute" verbandsinterne Untersuchungen ohne Aussageverweigerungsrechte auskommt, dadurch gewahrt werden, dass sie mit dem Recht ausgestattet würden, einer Weitergabe von Protokollen an die Verfolgungsbehörden zu widersprechen (sog. Widerspruchslösung).
Im Fall der Umsetzung werden die Kosten für Unternehmen im Bereich Compliance weiter steigen, auch wenn das Gesetz explizit keine neuen Vorgaben an ein angemessenes Compliance-Management statuiert. Steigende Kosten sowie das Fehlen handhabbarer Vorgaben für das Compliance-Management sind dabei zwei weitere zentrale Kritikpunkte an dem Gesetzesvorhaben in der vorliegenden Form.
Bei Verabschiedung wird es ab Verkündung des Gesetzes eine Frist bis zum Inkrafttreten von zwei Jahren (bzw. vier Jahren für das Verbandssanktionenregister) geben. Der zweijährige Übergangszeitraum sollte dann in jedem Fall genutzt werden, um
- die Leitungs- und nachgeordneten Führungsebenen zu sensibilisieren,
- die Wirksamkeit und Angemessenheit des Compliance-Management-Systems (erneut) zu hinterfragen und sicherzustellen, dass die Risikobereiche, für die das VerSanG-RegE die 10%ige Bußgelddrohung einführt, angemessen adressiert werden, sowie
- die internen Prozesse und Leitfäden für den Umgang mit Verdachtsfällen, zur Durchführung von verbandsinternen Untersuchungen sowie - angesichts erweiterter Haftungsrisiken für Unternehmen - für M&A-Prozesse zu überprüfen.
Bereits jetzt empfiehlt es sich, aktuelle Entwicklungen im Bereich des Compliance Managements, interner Untersuchungen sowie M&A-Due Diligence genau zu verfolgen. Denn eins scheint klar: Die gesetzlichen Sanktionsandrohungen für aus Unternehmen heraus begangenes strafbares Fehlverhalten werden in Zukunft deutlich steigen und bei großen Unternehmen auch abseits spezieller Rechtsgebiete wie etwa dem Kartellrecht an Konzernumsätze anknüpfen.
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