Ausgewählte Aspekte der Stellungnahme der ESMA zum geplanten Listing Act der Europäischen Kommission
22. Februar 2022
- Mit ihrem "Listing Act" verfolgt die EU-Kommission das Ziel, kleinen und mittelgroßen Unternehmen den Zugang zum Kapitalmarkt zu erleichtern. Nunmehr hat sich die ESMA im Rahmen des Konsultationsverfahrens zu einzelnen Fragen und Vorschlägen im Zusammenhang mit dem Listing Act geäußert – insbesondere zu markmissbrauchsrechtlichen Themen.
- Die ESMA bekräftigt erneut, dass sie keinen großen Bedarf sieht, den Begriff der Insiderinformation anzupassen. Insbesondere lehnt sie die Einführung einer "Insiderinformation light" ab. Aus ihrer Sicht können auch kurzfristige Preisausschläge die Kursrelevanz begründen.
- Auch bei weiteren Themen wie Managers' Transactions und Insiderlisten sieht die ESMA progressive Änderungsvorschläge kritisch.
Hintergrund
Die Europäische Kommission führt derzeit eine Konsultation zur Identifikation des bestehenden Anpassungsbedarfs an bereits bestehenden Rechtsakten bezüglich börsennotierter Gesellschaften (insbesondere ProspektVO, Marktmissbrauchsverordnung, MiFID II, Transparenz-RL und Listing Directive) durch. Hintergrund ist, dass insbesondere kleinen und mittelgroßen Unternehmen der Zugang zum Kapitalmarkt nachhaltig erleichtert werden soll (sog. "Listing Act").
Mit der Konsultation soll bei den Stakeholdern in Erfahrung gebracht werden, welche Anforderungen an die Börsennotierung den größten Aufwand verursachen und wie es möglich wäre, diesen ohne Beeinträchtigung der Marktintegrität zu verringern. Dabei sollen u.a. auch die Definition der Insiderinformation und die Anforderungen an die Selbstbefreiung auf den Prüfstand gestellt werden. Die ESMA hat in dem Konsultationsverfahren Mitte Februar 2022 zu dem geplanten Listing Act Stellung genommen (ESMA32-384-5357). Die Konsultationsfrist endet am 25. Februar 2022.
Dieser Blog-Beitrag fasst relevante Aussagen der ESMA zur MAR zusammen und beleuchtet diese insbesondere unter dem Blickwinkel der Emittenten. Im Anschluss wird darüber hinaus ein kurzer Ausblick gegeben.
Art. 7 MAR - Begriff der Insiderinformation
Im Rahmen der Konsultation hat sich die ESMA erneut mit der Frage beschäftigt, ob hinsichtlich des Begriffs der Insiderinformation Anpassungsbedarf besteht (vgl. dazu bereits die Äußerung zur Insiderinformation in dem ESMA-Report zum MAR-Review, S. 56). Immer wieder gibt es Stimmen, wonach die derzeitige Definition des Begriffs der Insiderinformation zu weitgehend sei; insbesondere sei es für Emittenten – so z.B. bei gestreckten Geschehensabläufen – nicht ohne Weiteres möglich, eine Insiderinformation als solche zu identifizieren. Zudem berge die jetzige Definition das Risiko, dass sich Marktteilnehmer auf eine Information stützen, die noch nicht den für eine Anlageentscheidung notwendigen Reifegrad erreicht habe:
"According to stakeholders, the current definition of inside information may raise problems, notably (i) for the issuer, the problem of identification of when the information becomes "inside information" and (ii) for the market, the risk of relying on published information which is not yet mature enough to make investment decisions."
Stellungnahme der ESMA im Konsultationsverfahren zum Listing Act (ESMA32-384-5357) S. 39.
Nichtsdestotrotz kommt die ESMA erneut zu dem Schluss, dass gegenwärtig hinsichtlich des Begriffs der Insiderinformation kein Anpassungsbedarf bestehe und bestätigt damit ihre bereits in ihrem MAR Review dargestellte Auffassung:
"ESMA, however, considers that the current definition of inside information "strikes a good balance between being sufficiently comprehensive to cater for a variety of market abuse behaviours, and sufficiently prescriptive to enable market participants, in most cases, to identify when information becomes inside information" and recommended to leave the definition unchanged."
Stellungnahme der ESMA im Konsultationsverfahren zum Listing Act (ESMA32-384-5357) S. 39.
Zugleich erklärt sie aber – wie schon im MAR Review vorgeschlagen – dass Leitlinien zu der Definition der Insiderinformation herausgeben werden könnten:
"ESMA however acknowledged that clarifications were sought by stakeholders both on the general interpretation of certain paragraphs of Article 7 of MAR (for instance, as regards intermediate steps, or the level of certainty needed to consider the information as precise), and on concrete scenarios. Therefore, ESMA stands ready to issue guidance on the definition of inside information under MAR."
Stellungnahme der ESMA im Konsultationsverfahren zum Listing Act (ESMA32-384-5357) S. 39.
Darüber hinaus weist die ESMA darauf hin, dass sie eine Anpassung der Definition des erheblichen Kursbeeinflussungspotentials als wenig zielführend erachtet. Dabei geht sie auch auf die Problematik kurzfristiger Preisausschläge versus langfristige Fundamentalwertbetroffenheit ein.
"The Commission asks whether the respondents support some proposed changes or clarifications to the current definition of "inside information" under MAR, among others, whether the definition of inside information with a significant price effect should be refined to clarify that "significant price effect" means "information a rational investor would be likely to consider relevant for the long-term fundamental value of the issuer and use as part of the basis of his or her investment decisions".
ESMA would like to stress the risks connected with such proposal.
While the proposal seems to have been designed with the public disclosure obligation in mind, one should not forget that insider dealing can also occur through use of information with a short-term price impact. Therefore, given the unique definition of inside information, the proposal would end up limiting insider dealing to information with long term effects on the price. To give an example, dividend announcements usually have a significant effect on the price of the issuer's financial instruments, without necessarily having an influence on the long-term fundamental value of the issuer."
Stellungnahme der ESMA im Konsultationsverfahren zum Listing Act (ESMA32-384-5357) S. 40.
Art. 17 Abs. 4 MAR - Aufschub der Veröffentlichung einer Insiderinformation
Emittenten können gemäß Art. 17 Abs. 4 MAR die Veröffentlichung einer Insiderinformation ausnahmsweise aufschieben, wenn (i) ein berechtigtes Aufschubinteresse und (ii) keine Irreführung der Öffentlichkeit vorliegt sowie (iii) die Vertraulichkeit der Information gewährleistet ist.
Diesbezüglich führt die ESMA aus, dass jegliche Klarstellung in Bezug auf den Aufschub der Veröffentlichung stets auch den Begriff der Insiderinformation als solche beträfe. Dennoch gestand sie bereits in ihrem Abschlussbericht zum MAR-Review zu, dass es Auslegungsprobleme bzw. Anwendungsschwierigkeiten (u.a. hinsichtlich des Merkmals der Irreführung der Öffentlichkeit) geben könne. Sie habe daher eine Überarbeitung ihrer Guidelines in Angriff genommen:
"Article 17(4) of MAR allows, under specified conditions, to delay the disclosure of inside information. The regime of delayed disclosure of inside information is intimately interconnected with the definition of inside information. Any clarifications provided on delayed disclosures would thus have de facto an impact on when the information has to be considered as inside information.
Some stakeholders underline that there are currently interpretative challenges around the conditions to delay disclosure, especially in relation to when the delay is not likely to mislead the public. ESMA in its final report acknowledged the existence of interpretative challenges, but did not consider it necessary to amend the conditions for the application of the delay finding them reasonable and aligned with the overall market abuse regime. However ESMA engaged into revising its guidelines on delay in the disclosure of inside information."
Stellungnahme der ESMA im Konsultationsverfahren zum Listing Act (ESMA32-384-5357) S. 41.
Art. 19 MAR - Managers' Transactions
Führungskräfte von Emittenten sind grundsätzlich verpflichtet, Transaktionen mit Finanzinstrumenten des Emittenten zu melden (Art. 19 Abs. 1 MAR). Die gleiche Verpflichtung trifft Personen, die mit den Führungskräften eng verbunden sind (wie zum Beispiel Ehegatten). Darüber hinaus treffen die Führungskräfte (nicht hingegen deren eng verbundene Personen) in bestimmten Zeitfenstern des Kalenderjahres (regelmäßig vor der Finanzberichterstattung) gemäß Art. 19 Abs. 11 MAR Handelsverbote (sog. Closed Periods).
Auch diesbezüglich hat sich die ESMA im Rahmen der Konsultation geäußert. Sie teilte mit, dass zwar nach der Konsultation ein Großteil der Teilnehmer der Auffassung gewesen sei, dass der derzeitige Schwellenwert von EUR 5.000 zu niedrig bemessen sei. Dennoch empfiehlt sie eine Anhebung dieses Schwellenwerts nicht. Damit widerspricht sie dem Großteil der Teilnehmer der Konsultation; auch in den Abschlussberichten der Technical Expert Stakeholder Group ("TESG") und des Capital Markets Union High-Level Forum ("CMU HLF") wurde vorgeschlagen, den Schwellenwert für Managers' Transactions zu erhöhen. Einige Aufsichtsbehörden in Ländern wie Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und Dänemark haben den Schwellenwert ohnehin bereits – wie in der MAR optional vorgesehen – auf EUR 20.000 angehoben.
Die TESG vertritt zudem die Auffassung, dass eine Liste der im Sinne des Art. 19 Abs. 1 MAR in enger Beziehung zu Führungskräften stehenden Personen obsolet sei, weil diese in keinem Verhältnis zu den möglichen Vorteilen stehe:
"Finally, the TESG holds that the requirement to keep a list of closely associated persons should be repealed, as it entails costs that are disproportionate to the benefits offered."
Final report of the Technical Expert Stakeholder Group (TESG) on SMEs, Mai 2021, S. 31.
Nach Auffassung der ESMA sei es sinnvoll, zunächst weitere Informationen darüber zu sammeln, inwieweit die gegenwärtigen Anforderungen die Emittenten belasten:
"In order for the Commission to strike the right balance between the burden associated with these requirements and the specific need for an efficient supervision of the integrity of the financial markets it is useful to gather quantitative data on how much those requirements weight on issuers."
Stellungnahme der ESMA im Konsultationsverfahren zum Listing Act (ESMA32-384-5357) S. 42.
Art. 18 MAR - Insiderlisten
Emittenten und deren Dienstleister sind nach Art. 18 Abs. 1 MAR verpflichtet, Personen mit Zugang zu Insiderinformationen in einer Insiderliste zu erfassen. Insiderlisten stellen aus Sicht der ESMA ein elementares Instrument zur Verhinderung und Aufklärung von Verstößen gegen die MAR dar.
Im Hinblick auf die Pflicht zur Führung von Insiderlisten hat die ESMA lediglich geringfügige Anpassungen der derzeitigen Regelung vorgeschlagen, da diese für die zuständigen Behörden nach wie vor ein wichtiges Instrument bei Ermittlungen wegen Marktmissbrauchs darstellen würden:
"In light of the fact that national competent authorities consider the insider lists to be a key tool in market abuse investigations, in its final report on the review of the Market Abuse Regulation, ESMA did not suggest extensive alleviations to the insiders list rules, proposing only minor adaptations to the current regime."
Stellungnahme der ESMA im Konsultationsverfahren zum Listing Act (ESMA32-384-5357) S. 46.
Auch insoweit widerspricht die ESMA der TESG, die die Kosten für das Führen der Insiderlisten als zu hoch bewertet und daher empfohlen hat, die Verpflichtung zur Führung einer Insiderliste für Emittenten mit einer Marktkapitalisierung von unter EUR 1 Mrd. aufzuheben sowie den Inhalt der Insiderlisten weiter zu vereinfachen.
Auch gegenüber einer Vereinfachung dahingehend, dass nur die für die Identifizierung "wesentlichsten Informationen" in die Insiderliste aufzunehmen sind, äußert sich die ESMA ablehnend. Sie stellt insbesondere auch fest, dass nicht eindeutig sei, worauf genau sich die Beschränkung auf die wesentlichsten Informationen bezöge:
"The Commission asks whether the insider list regime should be simplified for all issuers, "to ensure that only the most essential information for identification purposes is included".
ESMA notes that it is not clear if the concept of "most essential information" refers to a proposed subcategory of inside information, with only that one to be included in the insider list, or whether the reference is rather to the information about the persons included in the insider list, which should be limited to the most essential ones to identify them."
Stellungnahme der ESMA im Konsultationsverfahren zum Listing Act (ESMA32-384-5357) S. 46 f.
Art. 11 MAR – Market Sounding
Bereits im Jahr 2020 empfahl die ESMA in ihrem Abschlussbericht zum MAR-Review, den derzeitigen Anwendungsbereich der Market Sounding-Regelungen unverändert zu lassen. Stattdessen sollten Möglichkeiten zur Vereinfachung des Verfahrens gesucht werden. An dieser Einschätzung hält die ESMA auch heute noch fest:
"The public consultation carried out by ESMA in 2020 for the MAR review final report confirmed stakeholders' concerns on the complexity of the market sounding regime and their request to reduce the scope of the market sounding regime. Nonetheless, ESMA recommended to keep the current scope of the market sounding regime unchanged and rather look into ways to simplify the market sounding procedures (ESMA final report paragraphs 6.3.3 and ff.)."
Stellungnahme der ESMA im Konsultationsverfahren zum Listing Act (ESMA32-384-5357) S. 47.
Ausblick
Die Konsultationsfrist zum Listing Act der EU-Kommission läuft noch bis zum 25. Februar 2022. Betrachtet man die vorstehend zusammengefassten Äußerungen der ESMA, wäre es überraschend, wenn es zu umfangreichen Änderungen der MAR (Level 1) bzw. der delegierten und Durchführungsrechtsakte (Level 2) kommen wird. Die bereits angekündigten Ergänzungen der Q&As und Leitlinien zu einzelnen Bestimmungen der MAR (Level 3) dürften aber bald erfolgen.
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