Das Verhältnis des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes zum Kartellrecht
19. Januar 2023
Während wir uns bereits mehrfach mit dem Thema Nachhaltigkeit im Kartellrecht im befasst haben, soll es in diesem Beitrag um das Verhältnis des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) zum Kartellrecht gehen.
I. Was regelt das LKSG?
Das am 1. Januar 2023 in Kraft getrenene LkSG soll die Beachtung menschenrechtlicher und umweltbezogener Standards entlang globaler Lieferketten gewährleisten. So sollen z.B. Kinder- und Zwangsarbeit sowie Trinkwasserverschmutzung bei der Produktion verhindert werden. Unmittelbar verpflichtet sind Unternehmen, die in Deutschland über einen Haupt- oder einen Zweitsitz verfügen und mehr als 3.000 Mitarbeiter beschäftigen. Ab dem Jahr 2024 gilt das LkSG zusätzlich für Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern. Somit werden im Jahr 2024 mehr als 3.000 Unternehmen verpflichtet sein, in ihren Lieferketten menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten in angemessener Weise zu beachten. Für die Kontrolle und Durchsetzung der Einhaltung der Pflichten ist das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) zuständig. Dieses kann bei ordnungswidrigem Handeln Geldbußen von bis zu zwei Prozent des durchschnittlichen Jahresumsatzes verhängen.
II. Welche konkreten Pflichten entstehen durch das LkSG?
Die den Unternehmen obliegenden, konkreten Sorgfaltspflichten sind in § 3 Abs. 1 S. 2 LkSG in einem Pflichtenkatalog niedergelegt. Von der Vielzahl der verschiedenen Sorgfaltspflichten betreffen vier Pflichten das Verhältnis des Unternehmens zu seinen Zulieferern und teilweise auch zu seinen Wettbewerbern. Dadurch entsteht ein Spannungsfeld mit kartellrechtlichen Pflichten und Ahndungsrisiken. Diese betreffenden LkSG-Pflichten sind in den Nummern 3, 5, 6 und 9 des Katalogs geregelt.
Nach Nummer 3 haben die Unternehmen eine Risikoanalyse durchzuführen, bei der unter anderem menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken bei den unmittelbaren Zulieferern des Unternehmens ermittelt werden müssen. Es ist sicherzustellen, dass die Ergebnisse der Risikoanalyse an die maßgeblichen Entscheidungsträger kommuniziert werden.
Nummer 5 normiert Präventionsmaßnahmen in Bezug auf unmittelbare Zulieferer. Die Unternehmen müssen bei der Auswahl eines Zulieferers menschenrechts- und umweltbezogene Erwartungen einbeziehen, sich den Erwartungen entsprechendes Verhalten vertraglich zusichern lassen sowie Schulungen und Weiterbildungen beim Zulieferer durchführen. Für mittelbare Zulieferer können sich uU entsprechende Handlungspflichten ergeben, § 9 Abs. 3 LkSG.
Nach Nummer 6 ist im Fall einer Pflichtverletzung beim unmittelbaren Zulieferer ein Konzept zur Beendigung oder Minimierung der Pflichtverletzung zu erstellen und umzusetzen. Zu diesem Zweck ist mit dem Zulieferer und gegebenenfalls auch mit anderen Abnehmern des Zulieferers (das können Wettbewerber des Unternehmens beim Einkauf und/oder Absatz sein) zusammenzuarbeiten.
Schließlich müssen Unternehmen gemäß Nummer 9 jährlich einen Bericht über die Erfüllung der Sorgfaltspflichten erstellen und diesen öffentlich und damit für jedermann, somit auch für Wettbewerber, zugänglich machen.
III. Kartellrechtliche Probleme und deren Lösungen
Diese Pflichten betreffen das Verhältnis zwischen einem Unternehmen und seinen Lieferanten. Sie erfordern einen Austausch von Informationen mit dem unmittelbaren Zulieferer und teilweise auch darüber hinaus mit anderen Unternehmen. Einem solchen Informationsaustausch sind kartellrechtliche Grenzen gesetzt. Ein Vorrang des LkSG vor dem Kartellrecht, erst recht dem Unionskartellrecht, besteht nicht. Es ist deshalb eine sachgerechte Balance zwischen den Anforderungen des LkSG und den kartellrechtlichen Grenzen im Sinne praktischer Konkordanz zu finden. Insbesondere dort, wo das LkSG den Unternehmen Handlungsspielräume belässt, müssen diese unter Berücksichtigung des Kartellrechts ausgefüllt werden.
1. Die Risikoanalyse
Das Risikomanagement nach § 4 und die Risikoanalyse nach § 5 LkSG verpflichten Unternehmen, menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken zu erkennen und zu ermitteln. Um eine aussagekräftige Risikoanalyse durchführen zu können, wird ein Unternehmen häufig eine vertiefte Prüfung der Geschäftsverhältnisse seiner unmittelbaren Lieferanten vornehmen müssen. Dabei kann ein Informationsaustausch insbesondere dann kartellrechtlich relevant sein, wenn der Lieferant auch Wettbewerber ist, z.B. bei vertikal integrierten Unternehmen oder in Fällen eines sog. dualen Vertriebs. Zudem ist zu beachten, dass ein Wettbewerb mit dem Lieferanten auch auf Einkaufsseite (bei einem parallelen Einkauf der gleichen Produkte) oder um Arbeitskräfte bestehen kann.
Beim Austausch von Informationen mit einem unmittelbaren Zulieferer ist deshalb darauf zu achten, dass der Informationsaustausch auf das beschränkt wird, was für die Bewertung des Zulieferers nach den Kriterien des LkSG erforderlich ist, sofern keine sonstige Privilegierung greift, zB wegen Art. 2 Abs. 5 Vertikal GVO. Um dies zu gewährleisten, sollte intern ein Standardkatalog erstellt werden, der die Aspekte und Fragen beinhaltet, die für eine angemessene Risikoanalyse der Lieferkette benötigt werden. Sofern teilweise kartellrechtlich sensible Daten ausgetauscht werden müssen, ist es empfehlenswert, die Risikoanalyse durch Externe oder ein Clean Team durchführen zulassen und erst die Ergebnisse der Analyse den maßgeblichen Entscheidungsträgern mitzuteilen (§ 5 Abs. 3 LkSG).
2. Die Präventionsmaßnahmen
Auf Basis der Risikoanalyse sind Präventionsmaßnahmen in Bezug auf alle identifizierten Risiken zu ergreifen (§ 6 LkSG). Bei den Präventionsmaßnahmen ist zwischen Schulung und Kontrolle der Lieferanten sowie der Auswahl der Zulieferer zu unterscheiden.
Bei den Schulungen und Kontrollen der Lieferanten besteht die Gefahr, dass über die notwendigen Informationen hinaus wettbewerblich sensible Informationen erlangt oder ausgetauscht werden. Durch die Implementierung von standardisierten Abläufen für Kontrollen und Schulungen bei Zulieferern lässt sich dieses Risiko verringern. Darüber hinaus können Schulungen und Kontrollmaßnahmen durch externe Dienstleister oder durch Clean Teams durchgeführt werden, die darauf achten, dass die Maßnahmen auf die Einhaltung der menschenrechtsbezogenen und umweltbezogenen Pflichten nach dem LkSG beschränkt sind und nicht auf das Geschäftsverhalten des Zulieferers im Übrigen Einfluss genommen wird.
Die Auswahl des Zulieferers unter Berücksichtigung von umwelt- bzw. menschenrechtsbezogenen Kriterien (§ 6 Abs. 4 Nr. 1 LkSG) ist grundsätzlich kartellrechtlich unproblematisch. Erst wenn das unter das LkSG fallende Unternehmen eine marktbeherrschende oder relativ marktmächtige Stellung hat, sind die Grenzen von Art. 102 AEUV bzw. §§ 19, 20 GWB zu beachten. Hält sich ein Unternehmen bei der Auswahl des Lieferanten nur an die staatlichen Mindeststandards, steht es in keinem Konflikt mit dem Kartellrecht, weil das Einhalten der Standards verpflichtend ist. Geht es bei der Auswahl der Lieferanten über die Mindeststandards des LkSG hinaus, setzen Art. 102 AEUV bzw. §§ 19, 20 GWB die Grenzen dessen, was einem Zulieferer abverlangt werden darf.
Marktbeherrschende oder relativ marktstarke Unternehmen dürfen in der Regel die Erwartungen und Anforderungen, die sie an ihre Zulieferer stellen, frei bestimmen. Missbräuchlich ist ihr Handeln erst, wenn sie bspw. ohne Sachgrund unterschiedliche Anforderungen an unterschiedliche Zulieferer stellen oder Zulieferern nicht die Möglichkeit geben, sich auf die strengeren Maßstäbe einzustellen und diese zu erfüllen. Dies kann bspw. durch das Gewähren von Übergangsfristen ausgeschlossen werden.
3. Das Ergreifen von Abhilfemaßnahmen
§§ 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 i.V.m. 7 Abs. 1 LkSG verpflichten die Unternehmen, bei der Verletzung einer menschenrechtsbezogenen oder umweltbezogenen Pflicht im eigenen Betrieb oder bei ihrem unmittelbaren Zulieferer unverzüglich geeignete Abhilfemaßnahmen zu ergreifen. Kann die Verletzung nicht innerhalb eines absehbaren Zeitraums beendet werden, muss das Unternehmen ein Abhilfekonzept erarbeiten und umsetzen.
Zur Erarbeitung und Umsetzung des Konzeptes ist auch eine Kooperation mit anderen Unternehmen im Rahmen von Brancheninitiativen und Branchenstandards in Betracht zu ziehen, um den Einfluss auf den Verursacher zu vergrößern. Oftmals eröffnet ein solches Verhalten den Anwendungsbereich von Art. 101 Abs. 1 AEUV, § 1 GWB, da die Abnehmer nicht selten in einem Wettbewerbsverhältnis zueinander stehen. Allerdings wird eine Kooperation bzw. ein "Zusammenschluss" von Unternehmen in § 7 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 LkSG ausdrücklich als mögliche Abhilfemaßnahme angeführt. Eine solche Koordinierung kann nach Art. 101 Abs. 3 AEUV, § 2 GWB freigestellt sein. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass der Zusammenschluss ein unerlässliches Mittel zur Erreichung des legitimen Ziels, der Steigerung der Einflussmöglichkeiten auf den Verursacher, um die Einhaltung aller Sorgfaltspflichten zu gewährleisten, darstellt. Folglich dürfen keine milderen, gleich geeigneten Abhilfemaßnahmen bestehen. Eine weitere kartellrechtliche Grenze ist das Boykottverbot des § 21 Abs. 1 GWB, welches die "unbillige" Aufforderung oder tatsächliche Durchsetzung von Liefer- oder Bezugssperren untersagt. In der Regel liegt keine Unbilligkeit vor, wenn der Boykottaufruf gegen ein Unternehmen gerichtet ist, das rechtswidrig handelt. Hier empfiehlt sich aufgrund möglicher bußgeldrechtlicher Konsequenzen aber eine sehr sorgfältige Prüfung. Jedenfalls ist anhand einer Interessenabwägung festzustellen, ob es sich um eine unbillige Beeinträchtigung handelt. Es ist dabei zwischen den Geschäftsinteressen des Zulieferers, der Schwere seiner Pflichtverletzung und dem Abstellungsinteresse der zusammenarbeitenden Unternehmen abzuwägen. Des Weiteren ist darauf zu achten, dass keine wettbewerbsrelevanten Informationen zwischen den Wettbewerbern auf Abnehmerseite ausgetauscht werden. Die Koordinierung mit den anderen Abnehmern des Zulieferers und die Maßnahmen diesem gegenüber müssen sich klar auf die Abstellung der Sorgfaltspflichtverletzung beschränken.
Als letztes Mittel kann im Rahmen dieses Konzepts auch das Aussetzen der Geschäftsbeziehungen erfolgen (§ 7 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 LkSG), und, wenn dies nicht hilft, auch der Abbruch (Abs. 3). Da das Aussetzen und der Abbruch der Geschäftsbeziehung jedoch gesetzlich nicht zwingend vorgeschrieben sind, sondern es sich vielmehr um Handlungsoptionen handelt, sind die Art. 102 AEUV bzw. §§ 19, 20 GWB anwendbar. Dabei bewertet die Rechtsprechung die Beendigung von Geschäftsbeziehungen strenger als die Nichtaufnahme von Geschäftsbeziehungen. Beendet ein marktbeherrschendes Unternehmen eine Geschäftsbeziehung, wird dies grundsätzlich als missbräuchlich angesehen, wenn kein objektiver Rechtfertigungsgrund vorliegt oder die Beendigung der Geschäftsbeziehung unverhältnismäßig ist. Der Verstoß gegen umwelt- oder menschenrechtliche Pflichten nach dem LkSG stellt grundsätzlich einen objektiven Rechtfertigungsgrund dar. Für die Verhältnismäßigkeitsprüfung ist eine Interessenabwägung vorzunehmen. Dabei können die in § 3 Abs. 2 LkSG enthaltenen Verhältnismäßigkeitskriterien für das Aussetzen und zusätzlich die Kriterien in § 7 Abs. 3 für den Abbruch der Geschäftsbeziehung hinzugezogen werden. Diese zielen jedoch nur auf die Beurteilung der Schwere der Pflichtverletzung nach dem LkSG ab und sind daher im Rahmen der kartellrechtlichen Interessenabwägung nicht für eine Rechtfertigung ausreichend. Schließlich muss auch das Interesse des Lieferanten an der Aufrechterhaltung der Geschäftsbeziehung berücksichtigt werden. Somit kommt es letztlich auf die Umstände des Einzelfalls an. Bei besonders schwerer, vorsätzlicher oder wiederholter Pflichtverletzung ist die Beendigung einer Geschäftsbeziehung jedoch im Regelfall auch verhältnismäßig.
4. Die Berichterstattung
Alle dem LkSG unterfallenden Unternehmen müssen jährlich einen Bericht über die Erfüllung ihrer Sorgfaltspflichten im vergangenen Geschäftsjahr erstellen und spätestens vier Monate nach dem Schluss des Geschäftsjahrs auf der eigenen Internetseite für einen Zeitraum von sieben Jahren kostenfrei öffentlich zugänglich machen, § 10 LkSG. Durch diese Pflicht, jährlich einen Bericht zu veröffentlichen, entsteht für das Unternehmen die Gefahr des sogenannten „Signallings“ gegenüber Wettbewerbern. Darunter versteht man den Austausch von wettbewerblich sensiblen Informationen zwischen Unternehmen über öffentliche Kanäle.
Die Grenzen eines unzulässigen Signalling sind bislang nicht hinreichend geklärt. Berichte sollten deshalb so verfasst sein, dass sie keine wettbewerbssensiblen Informationen beinhalten und sich prinzipiell auf die für den Maßstab des § 10 LkSG notwendigen Informationen beschränken. Wettbewerblich sensible Informationen werden in der Regel im Bericht nicht erforderlich sein. Wenn sie in Ausnahmefällen dennoch unvermeidlich sind, müssen sie in geeigneter Weise anonymisiert und/oder nach den üblichen kartellrechtlichen Standards aggregiert werden.
IV. Conclusio
Durch die Vielzahl der Sorgfaltspflichten des LkSG entsteht das Risiko unbeabsichtigter kartellrechtlicher Verstöße en passant. Mangels Entscheidungspraxis wird es anfangs nicht immer einfach sein, eine sachgerechte Balance zwischen dem LkSG und dem Kartellrecht zu finden. Jedoch stellen die neuen Risiken letztlich keine unbekannten Probleme der kartellrechtlichen Compliance dar. So lassen sich z.B. die Risiken eines Informationsaustauschs und eines Marktmissbrauchs mit bereits bekannten Ansätzen lösen.
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