#GMW-Blog: Aktuelle Rechtsentwicklungen

Ein Jahr nach der Altice-Entscheidung des EuG – Bedeutung für die M&A-Praxis

22. September 2022

Am 22. September 2021 bestätigte das Gericht der Europäischen Union (EuG) in seiner Altice-Entscheidung die bislang höchste Bußgeldentscheidung der Europäischen Kommission im Zusammenhang mit dem kartellrechtlichen Vollzugsverbot (T-425/18). Die Europäische Kommission hatte in ihrer Entscheidung in der Unterzeichnung des Anteilskaufvertrags mit bestimmten Genehmigungsvorbehalten zugunsten der Käufergesellschaft (sog. Pre-Closing Covenants) einen Verstoß gegen das kartellrechtliche Vollzugsverbot und die Anmeldepflicht gesehen und ein Rekord-Bußgeld in Höhe von EUR 124,5 Mio. verhängt (M.7993), welches das EuG nach Abschluss des Gerichtsverfahrens nur leicht nach unten korrigierte. Die gegen die Entscheidung des EuG gerichtete Rechtsbeschwerde ist gegenwärtig beim EuGH anhängig (C-746/21 P).

Die Altice-Entscheidung des EuG ist ein wichtiger Schritt bei der Ausformung der kartellrechtlichen Pflichten im Rahmen der M&A-Vertragsgestaltung und daher auch ein Jahr nach dem Urteil von anhaltender Bedeutung. Vor dem Hintergrund der Bußgeldrelevanz von etwaigen Verstößen gegen das Vollzugsverbots - wie zuletzt in der Sache Canon durch das EuG bestätigt (T-609/19) -  sowie der zu erwartenden Entscheidung des EuGH in der Sache Altice lohnt sich daher ein erneuter Blick auf die kartellrechtliche Beurteilung der in der M&A-Praxis verbreiteten Pre-Closing Covenants.

I. Hintergrund und Verfahrensablauf

Das niederländische Kabel- und Telekommunikationsunternehmen Altice beabsichtigte, durch einen im Dezember 2014 geschlossenen Anteilskaufvertrag die alleinige Kontrolle über den portugiesischen Konkurrenten PT Portugal zu erwerben. Dieser Erwerb war nach der Fusionskontrollverordnung (FKVO) anmeldepflichtig. Im Anteilskaufvertrag wurden für den Zeitraum zwischen der Unterzeichnung des Vertrags (Signing) und dessen Vollzug (Closing) zugunsten von Altice gewisse Geschäftsentscheidungen der Zielgesellschaft unter Genehmigungsvorbehalt gestellt. Die Pre-Closing Covenants bezogen sich unter anderem auf Veränderungen der Führungsebene, Änderungen der Preispolitik und Konditionen gegenüber Kunden sowie den Abschluss, die Modifikation oder die Beendigung bestimmter Verträge.

Nach Unterzeichnung des Anteilskaufvertrags und formeller Anmeldung der Transaktion bei der Europäischen Kommission wurde der Erwerb von der Europäischen Kommission nach Abgabe von Veräußerungszusagen durch die Parteien in der Sache freigegeben, womit das Vollzugsverbot entfiel. Gleichwohl leitete die Europäische Kommission eine Untersuchung wegen eines möglichen Verstoßes insbesondere gegen das Vollzugsverbot ein. Die Europäische Kommission bewertete die Unterzeichnung des Anteilskaufvertrags aufgrund der Pre-Closing Covenants als Verstoß gegen das Vollzugsverbot (Art. 7 FKVO) sowie gegen die Anmeldepflicht (Art. 4 FKVO) und verhängte gegen Altice schließlich Bußgelder wegen dieser Verstöße in Höhe von jeweils EUR 62,25 Mio. Auch den mit Blick auf die Pre-Closing Covenants erfolgten Informationsaustausch zwischen Altice und PT Portugal nach dem Signing sah die Europäische Kommission als Teil des Verstoßes. Nach Ansicht der Europäischen Kommission war dabei nicht entscheidend, dass die Genehmigungsvorbehalte und die damit verbundene Möglichkeit der Einflussnahme als solche noch nicht zu einem dauerhaften Kontrollwechsel führten.

Gegen diese Bußgeldentscheidung erhob Altice Klage vor dem EuG, das die Kommissionsentscheidung jedoch weitgehend bestätigte und lediglich das Bußgeld geringfügig reduzierte.

II. Rechtliche Einordnung

Art. 4 Abs. 1 FKVO bestimmt, dass Zusammenschlüsse, die die in Art. 1 Abs. 2 und 3 FKVO defi-nierten Schwellenwerte überschreiten, vor ihrem Vollzug bei der Europäischen Kommission anzu-melden sind. Das für den Fall einer Anmeldepflicht greifende Vollzugsverbot ist in Art. 7 Abs. 1 FKVO normiert. Hiernach darf ein Zusammenschluss bis zur Freigabe durch die Europäische Kommission nicht vollzogen werden. Die an der Transaktion beteiligten Unternehmen sollen bis zur Freigabe weiter als unabhängige Unternehmen agieren. Im Fall eines Verstoßes gegen Art. 4 FKVO oder Art. 7 FKVO ist die Kommission gemäß Art. 14 Abs. 2 FKVO berechtigt, Geldbußen in Höhe von bis zu 10 % des letztjährigen Konzerngesamtumsatzes zu verhängen.

Vollzugsverbote gehören zum fusionskontrollrechtlichen Standard und existieren in einer Vielzahl von Jurisdiktion innerhalb und außerhalb der europäischen Union.

III. Pre-Closing Covenants als Verstoß gegen das Vollzugsverbot

1. Allgemeine Einführung

Pre-Closing Covenants werden in aller Regel in Anteilskaufverträge aufgenommen, um dem grundsätzlich legitimen Interesse des Käufers an der Erhaltung des Zielgeschäfts zwischen Signing und Closing Rechnung zu tragen. Der Zustand des Zielgeschäfts im Zeitpunkt des Closings soll möglichst demjenigen im Zeitpunkt des Signings entsprechen. Dazu werden die Freiräume des Verkäufers mit Blick auf die Führung des Zielgeschäfts für den relevanten Zeitraum durch die Auferlegung von Verhaltenspflichten wie bspw. Genehmigungsvorbehalte oder Konsultationsrechte begrenzt und damit der Wert des Zielgeschäfts gesichert. 

Die Einflussnahme des Käufers auf das Zielgeschäft bzw. die Beschränkung der Handlungsmöglichkeiten des Verkäufers steht in einem Spannungsverhältnis zum Vollzugsverbot und ggf. zur Anmeldepflicht. Die im Vollzug der Transaktion liegende Kontrollveränderung darf erst nach Freigabe durch die Europäische Kommission erfolgen. Zulässig sind bis dahin allein Maßnahmen, die den Vollzug vorbereiten, ohne ihn (teilweise) vorwegzunehmen. Bei der Bewertung von Pre-Closing Covenants ist demnach entscheidend, ob in ihnen im Einzelfall lediglich eine zulässige Vorbereitungsmaßnahme oder bereits der Vollzug der Transaktion zu sehen ist, d.h. ob sie ganz oder teilweise, tatsächlich oder rechtlich zu einer Veränderung der Kontrolle des Zielunternehmens beitragen (Vgl. EuGH, Urt. v. 31. Mai 2018 – ECLI:EU:C:2018:371, Rn. 59 "E&Y").

2. Entscheidungsgründe

In der Altice-Entscheidung hat sich das EuG mit der Frage auseinandergesetzt, in welchem Umfang dem Veräußerer und der Zielgesellschaft Beschränkungen zwischen Signing und Closing auferlegt werden können und dabei die schwierig zu ziehende Grenze zwischen einer zulässigen Vorbereitungshandlung und dem vorzeitigen Vollzug weiter konkretisiert, wenngleich weite Graubereiche verbleiben.

Das EuG erkennt grundsätzlich das Bedürfnis für Pre-Closing Covenants an, soweit sich diese auf das zum Erhalt des Unternehmenswerts bzw. der Integrität des Zielgeschäfts notwendige Maß beschränken. Dem Erwerber dürfe hingegen nicht die Möglichkeit eines bestimmenden Einflusses auf das Zielgeschäft eröffnet werden, weil dieser – also der Erwerb von Kontrolle im kartellrechtlichen Sinne – erst nach der Freigabe erfolgen dürfe. Nicht entscheidend ist dabei nach Auffassung des EuG, dass einzelne Einflussnahmemöglichkeiten für sich gesehen noch nicht zu einem dauerhaften Kontrollwechsel und damit vollständigem Vollzug führen.

Insgesamt hat das EuG im Rahmen der Altice-Entscheidung drei Kategorien von Genehmigungsvorbehalten beanstandet:

  • Dies betrifft zunächst die Ernennung und Abberufung von Führungskräften, weil die Mitbestimmung bei der Ernennung und Abberufung von Führungskräften nach Auffassung des EuG bereits einen bestimmenden Einfluss auf die Geschäftspolitik der Zielgesellschaft ermöglicht und damit zu einem vorzeitigen Vollzug führt.
  • Auch Vetorechte mit Blick auf die Gestaltung der Preispolitik und der Geschäftsbedingungen mit Kunden sind nach Auffassung des EuG zu weitgehend, zumindest soweit der Anwendungsbereich nicht klar begrenzt wird und somit sehr weite Möglichkeiten zur Einflussnahme bestehen. Im konkreten Fall hätte jede Preisänderung und die Änderung von jeglichen Standardverträgen einem Genehmigungsvorbehalt unterlegen. Das EuG sieht hierin die Möglichkeit, bestimmenden Einfluss auszuüben.
  • Zudem sieht das EuG den im Anteilskaufvertrag enthaltenen Katalog mit zustimmungspflichtigen Geschäften (z.B. Abschluss von Verträgen, Erwerb von Vermögensgegenständen) kritisch. Durch zu weit gefasste Genehmigungsvorbehalte mit Blick auf die Geschäftstätigkeit wird nach Ansicht des EuG bereits ein bestimmender Einfluss auf die Geschäftspolitik eröffnet, der nicht mehr von einem legitimen Interesse gedeckt ist. Kriterien zur Bestimmung von angemessenen Schwellenwerten führt das EuG nicht an.

Der Verstoß gegen das Vollzugsverbot nach Art. 7 Abs. 1 FKVO setzt dabei nach Auffassung des EuG nicht voraus, dass der Käufer von Rechten aus dem Anteilskaufvertrag auch Gebrauch macht (wenngleich Altice dies vorliegend getan hatte). Schon bei Unterzeichnung des Pre-Closing Covenants enthaltenden Anteilskaufvertrags sei der Verstoß verwirklicht, weil schon die Möglichkeit der Ausübung des bestimmenden Einflusses Kontrolle begründe und damit erst nach Freigabe eingeräumt werden dürfe. 

Zudem stuft das EuG den Austausch von wettbewerbsrechtlich sensiblen Informationen, bspw. über zukünftige Strategien und kommerzielle Ziele von PT Portugal, nach dem Signing als Bestandteil des Verstoßes gegen das Vollzugsverbot bzw. die Anmeldeplicht ein. Der Austausch nach Signing, der nicht mehr dem Interesse des Käufers an der Werterhaltung diene, sei Teil der und belege die unzulässige Einflussnahme auf das Zielgeschäft. Weil das vollzugsrelevante Verhalten im konkreten Fall schon im Zeitpunkt des Signings und damit vor der förmlichen Anmeldung erfolgte, sieht das EuG zudem einen Verstoß gegen Art. 4 FKVO. Insoweit geht das EuG davon aus, dass die Ve

Zudem stuft das EuG den Austausch von wettbewerbsrechtlich sensiblen Informationen, bspw. über zukünftige Strategien und kommerzielle Ziele von PT Portugal, nach dem Signing als Bestandteil des Verstoßes gegen das Vollzugsverbot bzw. die Anmeldeplicht ein. Der Austausch von Informationen nach Signing, der nicht mehr dem Interesse des Käufers an der Wertermittlung diene, sei Teil der und belege die unzulässige Einflussnahme auf das Zielgeschäft. Ob auch ein alleiniger Informationsaustausch nach Signing einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot begründen kann, lässt das EuG offen. 

Weil das vollzugsrelevante Verhalten im konkreten Fall schon im Zeitpunkt des Signings und damit vor der förmlichen Anmeldung erfolgte, sieht das EuG wie die Europäische Kommission zudem einen Verstoß gegen Art. 4 FKVO. Insoweit geht das EuG davon aus, dass die Verhängung von zwei Bußgeldern für dasselbe Verhalten nicht gegen das Verbot der Doppelbestrafung oder den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gemäß Art. 49 Abs. 3 GrCh verstößt. Die Vorschriften der Art. 4 Abs. 1, Art. 14 Abs. 2 lit. a FKVO und Art. 7 Abs. 1, Art. 14 Abs. 2 lit. b FKVO verfolgten autonome Ziele. Zudem gewährleistet nach Ansicht des EuG die Möglichkeit, zwei Bußgelder zu verhängen, eine Differenzierung zwischen verschiedenen Verhaltensweisen und damit eine effektive Fusionskontrolle.

IV. Auswirkungen auf die Praxis

Die Altice-Entscheidung des EuG (und ihre weite Auslegung von unzulässigen Vollzugshandlungen) hat dazu beigetragen, den Parteien und ihren Beratern das Vollzugsverbot auch im Kontext von Pre-Closing Covenants verstärkt ins Bewusstsein zu rufen, zumal entsprechende Regelungen zum Standard vieler Transaktion gehören. Bei der vertraglichen Gestaltung von Pre-Closing Covenants sind daher neben der Sicherstellung ihrer zivilrechtlichen Wirksamkeit auch die Bußgeldrisiken zu berücksichtigen.

Da bereits die Unterzeichnung des Anteilskaufvertrags zu einem Verstoß gegen das kartellrechtliche Vollzugsverbot führen kann, ist es geboten, sich bereits in der Frühphase einer Transaktion mit der Thematik auseinander zu setzen und nicht unbedacht zu weitreichende Genehmigungsvorbehalte zu fordern bzw. zu gewähren. Bei der Aufnahme von Pre-Closing Covenants in den Anteilskaufvertrag sollte daher insbesondere der Käufer im Einzelfall sorgfältig prüfen, welche Vorbehalte tatsächlich notwendig sind, um seine legitimen Interessen (Werterhalt, Integrität des Zielgeschäfts) zu wahren. Als Faustregel dürfte gelten, dass Pre-Closing Covenants möglichst eng formuliert, klar definiert und keinesfalls in den "ordinary course of business" des Zielgeschäfts eingreifen sollten. 

Da bereits die Unterzeichnung des Anteilskaufvertrags zu einem Verstoß gegen das kartellrechtliche Vollzugsverbot führen kann, ist es geboten, sich bereits in der Frühphase einer Transaktion mit der Thematik auseinander zu setzen und nicht unbedacht zu weitreichende Genehmigungsvorbehalte zu fordern bzw. zu gewähren. Bei der Aufnahme von Pre-Closing Covenants in den Anteilskaufvertrag sollte daher insbesondere der Käufer im Einzelfall sorgfältig prüfen, welche Vorbehalte tatsächlich notwendig sind, um seine legitimen Interessen (Werterhalt, Integrität des Zielgeschäfts) zu wahren. Als Faustregel dürfte gelten, dass Pre-Closing Covenants möglichst eng formuliert, klar definiert und keinesfalls in den "ordinary course of business" des Zielgeschäfts eingreifen sollten. 

Noch zulässig dürften z.B. Vetorechte sein, die sich auf den Abschluss von Geschäften beziehen, welche den Geschäftsbestand unmittelbar berühren und auch ausweislich ihres Volumens (Schwellenwerte) außerhalb des "ordinary course of business" liegen, bspw. die Veräußerung von wesentlichen Vermögensgegenständen. Etwaige Schwellenwerte sollten an sachlichen, nachvollziehbaren Kriterien orientiert sein und müssen so gewählt sein, dass sie angesichts des üblichen Geschäfts- und Investitionsvolumens des Zielgeschäfts nicht als Eingriff in den ordentlichen Geschäftsbetrieb erscheinen. Hier bedarf es einer Einzelfallbetrachtung. Arbeitnehmerbezogene Zustimmungsvorbehalte könnten etwa derart ausgestaltet werden, dass sie sich auf die Weiterbeschäftigung von – sofern vorhanden – für die Zielgesellschaft wesentlichen Schlüsselmitarbeitern beschränken. Kritisch zu sehen sind hingegen grundsätzlich Zustimmungsvorbehalte hinsichtlich des Geschäftsplans, des Jahresbudgets, der Besetzung der Geschäftsleitung und des ordentlichen Geschäftsbetriebs.

Diese Grundsätze gelten nicht nur für die EU-Fusionskontrolle, sondern auch bei Transaktionen, die außerhalb der EU oder in einzelnen Mitgliedstaaten angemeldet werden müssen. In den allermeisten Jurisdiktionen dürfen anmeldepflichtige Vorhaben vor der Freigabe nicht vollzogen werden. Es ist daher wahrscheinlich, dass auch nationale Wettbewerbsbehörden in Zukunft verstärkt die vertragsrechtlichen Grundlagen einer Transaktion in den Blick nehmen. Naheliegend ist dies insbesondere dann, wenn die vertragliche Dokumentation im Rahmen der Fusionskontrolle mit eingereicht werden muss.

Schließlich ruft die Entscheidung des EuG die Brisanz des Informationsaustauschs zwischen an einer Transaktion beteiligten Wettbewerbern in Erinnerung. Ein ungefilterter Informationsaustausch begründet leicht ein erhebliches kartellrechtliches Haftungsrisiko, nicht nur im Kontext von Art. 101 AEUV. Die sorgfältige Organisation der Informationsflüsse auch jenseits der Due Diligence-Phase sollte daher ein wesentlicher Eckpfeiler des Transaktionsmanagements sein.

Der Blogbeitrag steht hier für Sie zum Download bereit: Ein Jahr nach der Altice-Entscheidung des Gerichts der Europäischen Union – Auswirkungen auf die M&A-Praxis

Kontakt

 

Dr. Max Schulz

Associate | Competition | Rechtsanwalt seit 2018

Kontakt
Telefon: +49 211 20052-360
Telefax: +49 211 20052-100
E-Mail: m.schulz(at)glademichelwirtz.com