#GMW-BLOG: AKTUELLE RECHTS­­ENTWICK­LUNGEN

Mandats­pausen von Vor­stands- und Auf­sichts­rats­mitgliedern – Gesell­schafts­rechtliche Imp­lika­tion der #stayonboard-Initiative

21. August 2020

Am 3. März 2020 informierte das börsennotierte e-Commerce-Unternehmen Westwing Group AG darüber, dass die Gründerin und Chief Creative Officer Delia Lachance von ihrem Amt als Vorstandsmitglied zum 1. März 2020 zurückgetreten sei, da sie für einen Zeitraum von sechs Monaten Mutterschutz und anschließend Elternzeit in Anspruch nehmen wolle und hierfür – wie erforderlich – ihr Vorstandsamt niedergelegt habe.

In der Folge entbrannte sowohl in der breiten Öffentlichkeit als auch der juristischen Fachöffentlichkeit eine Debatte darüber, ob es noch zeitgemäß sei, dass Vorstandsmitglieder ihr Vorstandsamt auch für den Fall einer nur vorübergehenden Nichtausübung, wie etwa bei einer Schwangerschaft, Elternzeit, längerfristigen Krankheit oder der Pflege naher Angehöriger, niederlegen müssen, um nicht auch für solche Maßnahmen und Entscheidungen zu haften, die während der eigenen Abwesenheit getroffen und umgesetzt werden.

Die Diskussion mündete nicht zuletzt in die Gründung der Initiative #stayonboard, in der sich namhafte Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Rechtswissenschaft zusammengeschlossen haben, um eine Gesetzesänderung anzustreben, die Geschäftsleitern die Möglichkeit einräumt, ihr Mandat/Amt für die Dauer von bis zu sechs Monaten ruhen zu lassen, ohne ein entsprechendes Haftungsrisiko fürchten zu müssen.

In diesem Beitrag soll die gesellschaftsrechtliche Implikation der #stayonboard-Initiative dargestellt und der Lösungsvorschlag der Initiative beleuchtet werden.

DERZEITIGE RECHTLICHE AUSGANGSLAGE | STATUS QUO

1. Geschäftsleiter

Sowohl das Aktiengesetz (AktG) als auch das GmbH-Gesetz (GmbHG) sehen bislang keine Möglichkeit vor, ein Geschäftsleiteramt haftungsbefreiend zu unterbrechen oder ruhen zu lassen. 

Ein Geschäftsleiter hat gemäß § 93 Abs. 1 S. 1 AktG/§ 43 Abs. 1 und 2 GmbHG fortwährend die Pflicht, bei seiner Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. Es besteht für Geschäftsleiter keine Möglichkeit, diese Pflicht auf andere Mitglieder der Geschäftsleitung mit haftungsbefreiender Wirkung zu übertragen. Nimmt ein Mitglied der Geschäftsleitung sein Amt, z.B. aufgrund einer Schwangerschaft oder einer Krankheit, nicht wahr und übernimmt ein anderes Vorstandsmitglied sein Ressort, so trifft das "pausierende" Mitglied gleichwohl weiterhin eine Überwachungspflicht im Hinblick auf die anderen Mitglieder der Geschäftsleitung. Im Falle eine Verletzung dieser Pflicht haftet das "pausierende" Mitglied der Geschäftsleitung der Gesellschaft gegenüber für Schäden aus § 93 Abs. 2 S. 1 AktG bzw. § 43 Abs. 2 GmbHG. Eine vollständige und haftungsbefreiende Delegation dieser Pflicht auf die anderen Mitglieder der Geschäftsleitung ist nicht möglich.

Will ein Vorstandsmitglied einer zivilrechtlichen Haftung aus § 93 Abs. 2 S. 1 AktG sowie ggf. auch einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit, z.B. wegen Verletzung der Insolvenzantragspflicht, entgehen, so muss es daher de lege lata sein Amt zwingend niederlegen. Entsprechendes gilt gem. § 43 Abs. 2 GmbHG für den Geschäftsführer einer GmbH.

Überdies können sich sowohl die Mitglieder des Vorstandes einer Aktiengesellschaft als auch die Geschäftsführer einer GmbH nicht auf die Vorschriften des Mutterschutzgesetzes, die Vorschriften über die Elternzeit oder Pflegezeit berufen, um eventuell auf diesem Wege in den Genuss einer haftungsbefreienden Pause von ihrem Geschäftsleiteramt zu kommen. Denn diese gesetzlichen Regelungen finden ausschließlich auf Arbeitnehmer/innen Anwendung. Geschäftsleiter/innen sind jedoch gerade keine Arbeitnehmer/innen, da sie schließlich keinerlei Weisungen im Hinblick auf die Ausübung ihrer Tätigkeit unterliegen.

2. Mitglieder des Aufsichtsrats

Gleiches gilt auch für Aufsichtsratsmitglieder einer Aktiengesellschaft. Auch für diese sieht das Aktiengesetz keine Möglichkeit einer haftungsbefreienden Mandatspause bzw. ein Ruhenlassen des Mandats vor. Denn auch sie können die ihnen gemäß § 111 Abs. 1 AktG obliegende Pflicht zur Überwachung der Geschäftsführung nicht delegieren. Dies folgt aus § 111 Abs. 6 AktG, wonach die Mitglieder des Aufsichtsrats zur persönlichen Wahrnehmung ihres Amtes verpflichtet sind. Üben sie daher während einer "Pause" ihr Amt und damit ihre Überwachungspflicht nicht aus, obwohl sie weiterhin als Mitglied des Aufsichtsrats bestellt sind, setzen sie sich dem Risiko einer Haftung nach § 116 AktG aus. Auch ein Aufsichtsratsmitglied kommt daher nach der derzeitigen Rechtslage nur dann in den Genuss einer Haftungsfreiheit, wenn es sein Mandat niederlegt.

Lösungsvorschläge der Initiative #stayonboard

Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage hat die Initiative #stayonboard ein Eckpunktepapier veröffentlicht, in dem sie sich für eine Novellierung des geltenden Aktienrechts einsetzt. Durch diese Novellierung soll für den/die Mandatsträger/innen die Möglichkeit geschaffen werden, sein/ihr Mandant für einen bestimmten Zeitraum ruhend zu stellen, ohne dabei eine Haftung zu fürchten. Entsprechende Regelungen sollen auch für die anderen Rechtsformen geschaffen werden, wie etwa die GmbH.

1. Vorstandsmitglieder

In Bezug auf Vorstandsmitglieder schlägt #stayonboard vor, dass die Regelung des § 84 AktG dahingehend geändert werden soll, dass Vorstandsmitglieder ein Recht auf ein vorübergehendes Ruhenlassen ihres Mandats erhalten. Dieses Recht soll an konkret festgelegte Umstände, wie z.B. eine längere Krankheit oder Umstände, die Arbeitnehmer/innen zu Mutterschutz, Elternzeit oder Pflegezeit berechtigten würden, gekoppelt sein. Ferner soll eine Höchstdauer für die Mandatspause von z.B. bis zu 6 Monaten festgelegt werden. Im Anschluss an die Mandatspause soll das Mandat automatisch wiederaufleben. Kündigt ein Vorstandsmitglied eine Mandatspause an oder befindet es sich in einer solchen, soll eine Abberufung nicht möglich sein, sofern kein verhaltensbedingter Grund für eine Abberufung aus wichtigem Grund vorliegt.

Damit auch die Interessen des Unternehmens Berücksichtigung finden, sieht das Eckpunktepapier der Initiative vor, dass es nicht nur eine Pflicht des Vorstandsmitglieds zur rechtzeitigen Ankündigung des Ruhenlassens geben soll, sondern auch Ausnahmetatbestände normiert werden, durch die sichergestellt werden soll, dass das Ruhenlassen nicht zur Unzeit verlangt werden kann oder wenn diesem gewichtige Gründe des Unternehmenswohls entgegenstehen.

Das Konzept von #stayonboard sieht darüber hinaus vor, dass sowohl die Tatsache des Ruhens des Mandates als auch dessen Zeitraum in das Handelsregister einzutragen sind. Dadurch soll den berechtigten Interessen der Öffentlichkeit Rechnung getragen und die erforderliche Transparenz hergestellt werden.

2. Aufsichtsratsmitglieder und Leitungsorgane anderer Rechtsformen

Im Hinblick auf Mitglieder der Leitungsorgane anderer Rechtsformen spricht sich die Initiative für vergleichbare Regelungen aus, um auch diesen eine Mandats- bzw. Amtspause zu ermöglichen. 

Hingegen spricht sich die Initiative mit Blick auf die Mitglieder von Aufsichtsräten nicht ausdrücklich für die Möglichkeit einer Mandatspause aus, erachtet eine solche aber auch hier als möglich. Diese differenzierte Betrachtung wird – nachvollziehbar – damit begründet, dass der Zeit- und Arbeitsaufwand der Wahrnehmung eines Aufsichtsratsmandats geringer sei als die eines Leitungsorgans und im Hinblick auf die Aufsichtsräte noch weitere Aspekte, wie etwa die Parität zwischen Arbeitnehmerseite und Eigentümern sowie bestehende Quotenregelungen beachtet werden müssen.

Fazit & Ausblick

Die in dem Eckpunktepapier durch die #stayonboard-Initiative vorgeschlagenen Änderungen des Aktiengesetzes sowie die angeregten Änderungen weiterer gesellschaftsrechtlicher Vorschriften sind grundsätzlich zu begrüßen. Insoweit stellt sich nämlich tatsächlich die berechtigte Frage, warum es nicht auch Geschäftsleitern möglich sein soll, in Elternzeit zu gehen oder eine längere Krankheit in Ruhe auszukurieren, ohne dabei entweder weiterhin einem Haftungsrisiko für die in dieser Zeit getroffenen Entscheidungen und umgesetzten Maßnahmen ausgesetzt zu sein oder stattdessen das Vorstandsmandat oder Geschäftsführeramt vollständig niederlegen zu müssen. Dieser Möglichkeit steht insbesondere auch nicht das Unternehmenswohl entgegen, wenn die Interessen des betroffenen Unternehmens durch eine angemessene Ankündigungsfrist oder Ausschlussgründe, bei deren Vorliegen ein Ruhenlassen des Mandats nicht möglich sein soll, gesetzlich normiert werden. 

Dass dem Unternehmensinteresse ein entsprechender Stellenwert eingeräumt wird bzw. das Ruhenlassen des Mandats bei entgegenstehenden Gründen des Unternehmenswohls nicht in Betracht kommt, ist auch von entscheidender Bedeutung, da Geschäftsleiter dazu verpflichtet sind, zum Wohle des Unternehmens zu handeln und sich bei Antritt ihres Mandats diesem bewusst verpflichtet haben.

Klar ist jedoch auch, dass während einer Mandatspause bzw. des Ruhenlassens durch entsprechende Vorkehrungen und technische Maßnahmen gewährleistet sein muss, dass der/die pausierende Geschäftsleiterin in dieser Zeit auch tatsächlich keinerlei Einfluss auf Entscheidungen der Gesellschaft nehmen und auch keinerlei Einblicke in die Geschäftstätigkeit der Gesellschaft erhält bzw. nehmen kann. Andernfalls wäre eine Haftungsfreistellung nicht gerechtfertigt.

Für die Zeit nach den Sommerferien hat #stayonboard die Veröffentlichung eines eigenen Gesetzentwurfes angekündigt, der sicherlich auf entsprechendes Interesse der Öffentlichkeit stoßen wird. Abzuwarten bleibt, ob auch die Bundesregierung einen entsprechenden gesetzgeberischen Handlungsbedarf erkennt und den "Ball" aufnimmt. Die ersten Reaktionen aus Bundesministerium für Arbeit und Soziales sowie dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz stimmen insoweit jedoch positiv.

GLADE MICHEL WIRTZ wird Sie an dieser Stelle fortlaufend über die weitere Entwicklung sowie den jeweiligen Stand der Diskussion und eines etwaigen Gesetzgebungsprozesses informieren. Gerne stehen wir auch für einen Austausch zu diesem Thema jederzeit zur Verfügung.

Der Beitrag steht hier für Sie zum Download bereit: Mandatspausen von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern – Gesellschaftsrechtliche Implikation der #stayonboard-Initiative

KONTAKT

 

Fabian von Lübken

Associate | Corporate | Rechtsanwalt seit 2019

Kontakt
Telefon: +49 211 20052-310
Telefax: +49 211 20052-100
E-Mail: f.von-luebken(at)glademichelwirtz.com