Update Verbandssanktionenrecht – Veröffentlichung des Referentenentwurfs
7. Mai 2020
Am 22. April 2020 hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz ("BMJV") den Referentenentwurf für ein Verbandssanktionengesetz ("VerSanG") veröffentlicht.
Mit dem Gesetzesvorhaben wird auf der Basis des Koalitionsvertrags das Ziel verfolgt, durch Schaffung eines neuen Gesetzes – des VerSanG – die Sanktionierung von Verbänden wegen aus der Organisation heraus begangener, verbandsbezogener Straftaten auf eine eigenständige gesetzliche Grundlage zu stellen, die Verfolgung dem Legalitätsprinzip zu unterstellen und ein eigenständiges Sanktionsinstrumentarium zu etablieren, um eine gegenüber dem heutigen Status Quo weitergehende Ahndung der Verbände zu ermöglichen. Zugleich sollen Compliance-Maßnahmen gefördert und wirksame Anreize geschaffen werden, damit Verbände mittels verbandsinterner Untersuchungen wesentlich zur Aufklärung von verbandsbezogenen Straftaten beitragen.
Nachstehend möchten wir ergänzend zu unseren am 26. Februar 2020 bei LinkedIn veröffentlichten Beitrag, in dem wir uns mit den Regelungsvorschlägen des BMJV bereits näher auseinandergesetzt haben, einen kurzen Überblick zum aktuellen Stand des Gesetzesvorhabens geben.
Beibehaltung des grundsätzlichen Regelungsansatzes
Festzustellen ist zunächst, dass das BMJV in dem nun veröffentlichten Referentenentwurf ("Referentenentwurf 2020") die in der bereits viel diskutierten, inoffiziellen Entwurfsfassung vom 15. August 2019 ("Inoffizieller Referentenentwurf 2019") eingeschlagene Linie grundsätzlich beibehält. Gleichzeitig zeigt der Referentenentwurf 2020 aber auch, dass beim BMJV Hinweise und Bedenken aus der Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft und Praxis nicht vollkommen ungehört verhallt sind. Allerdings sind die vorgenommenen Änderungen, jedenfalls aus der Sicht von Unternehmen, eher punktueller Natur.
Punktuelle Modifikationen
Der Referentenentwurf 2020 weist insbesondere in den folgenden Punkten Änderungen bzw. Anpassungen gegenüber dem Inoffiziellen Referentenentwurf 2019 auf:
1. Keine Anwendbarkeit auf nichtwirtschaftliche Verbände
Zunächst sollen die Regelungen des VerSanG nunmehr ausschließlich auf wirtschaftliche Verbände bezogen werden. Für andere Verbände soll es bei der bisherigen Regelung des § 30 OWiG und damit der Geltung des Opportunitätsprinzips bleiben. Die erforderliche Abgrenzung soll sich nach den Grundsätzen richten, die für die Abgrenzung zwischen ideellen und wirtschaftlichen Vereinen gelten. Es entstünden damit unterschiedliche Zuständigkeiten: Für nichtwirtschaftliche Verbände soll es auch bei Vorliegen einer verbandsbezogenen Straftat bei dem bereits heute geltenden Regelungsregime bleiben, d.h. in Betracht käme der Erlass eines ordnungswidrigkeitenrechtlichen Bußgeldbescheides durch die Staatsanwaltschaft bzw. die Verfolgungsbehörde. Erst bei Einspruchseinlegung wäre eine gerichtliche Zuständigkeit begründet. Bei wirtschaftlichen Verbänden, also Unternehmen, wäre dagegen im Anwendungsbereich des VerSanG von der Staatsanwaltschaft bzw. der Verfolgungsbehörde öffentliche Anklage vor dem zuständigen Gericht (Schöffengericht; Strafkammer) zu erheben, welches dann nach Maßgabe des VerSanG und den Verfahrensregeln der StPO und des GVG über die Verhängung sowie Art und Höhe einer Verbandssanktion entscheiden würde.
2. Punktuelle Konkretisierung von Anforderungen an das Compliance-Management (nur) in der Gesetzesbegründung
Bezüglich der Ausgestaltung des Compliance-Managements lässt der Referentenentwurf 2020 weiter offen, was von Unternehmen konkret zu tun ist, um bei Mitarbeiterkriminalität eine Verbandsverantwortlichkeit nach dem VerSanG möglichst auszuschließen. Allerdings wird nunmehr in der Gesetzesbegründung zu § 3 VerSanG über den im Inoffiziellen Referentenentwurf 2019 verfolgten Ansatz hinaus deutlich, dass nicht nur bei kleinen, sondern auch bei mittleren Unternehmen mit geringem Risiko von Rechtsverletzungen wenige einfache Vorkehrungsmaßnahmen ausreichend sein können und dass bei solchen Unternehmen der "Zukauf" eines Compliance-Programms oder von Zertifizierungen insoweit "regelmäßig nicht erforderlich" sei. Auch findet sich in der Gesetzesbegründung zu § 3 VerSanG nun die – banale, aber gleichwohl wichtige – Aussage, dass ein "lückenloser" Schutz gegen Straftaten nicht zu gewährleisten sein wird.
3. Streichung der Verbandsauflösung als Sanktionsinstrument
Im Hinblick auf die Sanktionierungsinstrumente ist im Referentenentwurf 2020 nunmehr, was erwartet worden war, von der Möglichkeit zur Auflösung von Verbänden als Ultima Ratio abgesehen worden. Die Instrumente der Verbandssanktionierung im engeren Sinne sollen sich damit auf die Verbandsgeldsanktion und die Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt beschränken. Die Verbandsgeldsanktion soll für Unternehmen mit einem durchschnittlichen (Konzern-)Jahresumsatz von mehr als EUR 100 Mio. weiter umsatzabhängig bemessen werden und bis zu 10 % des durchschnittlichen Jahresumsatzes der letzten drei Geschäftsjahre, die der Verurteilung vorausgehen, betragen können.
4. Punktuelle Konkretisierung der Voraussetzungen und Rechtsfolgen "guter" verbandsinterner Untersuchungen
Der Referentenentwurf 2020 formuliert in § 17 Abs. 1 VerSanG weiter strenge Anforderungen an verbandsinterne Untersuchungen, die erfüllt sein müssen, damit ein Verband in den Genuss einer "vertypten" Sanktionsmilderung gemäß § 18 VerSanG kommen kann, u.a. das Erfordernis einer Trennung zwischen verbandsinterner Untersuchung und Verteidigung. Im Referentenentwurf 2020 nicht mehr vorgesehen ist indes das Erfordernis, dass "die verbandsinterne Untersuchung in Übereinstimmung mit den geltenden Gesetzen durchgeführt" wird. Diese im Inoffiziellen Referentenentwurf 2019 noch vorgesehene Voraussetzung wurde nahezu allgemein mit Sorge betrachtet, da hiernach insbesondere auch geringfügige Gesetzesverletzungen, etwa im Bereich des Datenschutzrechts, geeignet gewesen wären, einer "vertypten" Milderung entgegenzustehen. Das BMJV hat dieses Erfordernis daher im Referentenentwurf 2020 gestrichen. Es hat jedoch gleichzeitig in der Begründung zu § 17 Abs. 1 VerSanG klargestellt, dass es für eine sanktionsmildernde Berücksichtigung von verbandsinternen Untersuchungen "selbstverständlich" sei, dass diese in Übereinstimmung mit den geltenden Gesetzen durchgeführt werde. Sofern bei Durchführung einer verbandsinternen Untersuchung die gesetzlichen Anforderungen erfüllt werden, "soll" nach § 17 Abs. 1 VerSanG das Gericht eine Verbandssanktion mildern. Bei solchen "guten" verbandsinternen Untersuchungen wäre das Gericht also – anders noch als beim Inoffiziellen Referentenentwurf 2019, der insoweit lediglich eine "Kann"-Vorschrift vorsah – in dem Ermessen, ob die Sanktion nach Maßgabe der §§ 17, 18 VerSanG gemildert wird, gebunden. Andererseits gibt die Regelung den Gerichten genügend Raum, um bei verbandsinternen Untersuchungen, die zwar den Vorgabenkatalog des § 17 Abs. 1 VerSanG einhalten, aber im Übrigen geltende Rechtsprinzipien verletzten, eine Privilegierung nach Maßgabe der §§ 17, 18 VerSanG zu versagen. Ausdrücklich ausgeschlossen soll eine Milderung nach § 17 Abs. 3 S. 2 VerSanG nunmehr sein, wenn Ergebnisse der verbandsinternen Untersuchung erst nach Eröffnung des Hauptverfahrens offenbart werden.
5. Aufweichung der "gesetzgeberischen Tons"
Die Bezeichnung des Artikelgesetzes, in welches das VerSanG eingebettet ist, soll nunmehr "Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft" lauten, womit anstatt der Sanktionswirkung wohl der Präventionsgedanke des Gesetzes stärker zum Ausdruck gebracht werden soll. Zunächst war als Bezeichnung "Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität" angedacht, was jedoch Kritik hervorgerufen hatte. Zudem ist in Bezug auf die Anknüpfungstat terminologisch nicht mehr von der "Verbandsstraftat", sondern lediglich noch von der "Verbandstat" die Rede. Die Bezeichnung des Stammgesetzes als "Verbandssanktionengesetz" soll dagegen bestehen bleiben.
III. Weiterer Gang des Gesetzgebungsvorhabens
Die vom BMJV noch vorgenommenen Anpassungen ändern nichts daran, dass weiter ein strenges Verbandssanktionenrecht zur politischen Diskussion steht. Einer Umsetzung des Gesetzesvorhabens stehen nach Auffassung des BMJV die absehbar noch weiter bevorstehenden wirtschaftlich schweren Zeiten nicht entgegen. Das BMJV hat von ausgewählten Verbänden bis Mitte Juni 2020 eine Stellungnahme erbeten und signalisiert, dass auf ministerielles Interesse insbesondere Stellungnahmen
- zur vorgesehenen Begrenzung des Anwendungsbereichs auf wirtschaftliche Verbände,
- zur im Rahmen des § 17 VerSanG vorgesehenen zwingenden Trennung von verbandsinternen Untersuchungen und Verteidigung
- zum Instrument der öffentlichen Bekanntmachung bestimmter Verbandsanktionierungen (sog. Naming & Shaming)
stoßen werden.
Es steht zu erwarten, dass nach Ablauf der Stellungnahmefrist zügig die Abstimmung innerhalb der Bundesregierung gesucht werden wird, damit sodann möglichst zeitnah auch der formale Gesetzgebungsprozess angestoßen werden kann.
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