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Von Scare Screens und Dark Patterns: Das Umgehungsverbot des Art. 13 Abs. 4 DMA

Seit dem 7. März 2024 sind die von der Europäischen Kommission benannten Torwächter – Alphabet, Apple, Microsoft, Meta, Amazon und Bytedance – verpflichtet, im Einklang mit dem Digital Markets Act zu handeln (Verordnung (EU) 2022/1925 über bestreitbare und faire Märkte im digitalen Sektor (nachfolgend "DMA")). Praktisch relevant sind dabei insbesondere die Art. 5 bis 7 DMA. Obwohl die dort niedergelegten Ge- und Verbote Unschärfen aufweisen, sind sie im Vergleich zu den kartellrechtlichen Generalklauseln, insbesondere Art. 102 AEUV, ausgesprochen konkret. Hierin liegt die Stärke und Schwäche des DMA zugleich. Die Auflistung von konkreten Verboten und Geboten geknüpft an die verbindliche Benennung als Torwächter erlaubt eine vergleichsweise einfache Subsumtion. Umgekehrt birgt der regulatorische Ansatz des DMA die Gefahr der Umgehung. Dies gilt in besonderem Maße in der Digitalökonomie, in der sich ein und dasselbe wettbewerblich schädliche Ergebnis auf vielen unterschiedlichen Wegen und teilweise auf sehr subtile Weise erreichen lässt. Schon jetzt lassen sich Verhaltensweisen von Torwächter identifizieren, die zwar ihrer äußeren Gestalt nach im Einklang mit dem DMA stehen mögen, seinen Zielen aber erkennbar widersprechen. In der Folge dürfte einer Vorschrift des DMA maßgebliche Bedeutung zukommen, die bisher nur selten in den Mittelpunkt gerückt wurde: Das Umgehungsverbot nach Art. 13 Abs. 4 DMA. 

I. Einführung

Herzstück des DMA sind die Art. 5 bis 7. Die dort niedergelegten Ge- und Verbote müssen von den durch die Europäische Kommission verbindlich benannten Torwächtern beachtet werden. Als Torwächter werden Unternehmen benannt, die sog. zentrale Plattformdienste wie Suchmaschinen, Betriebssysteme oder bestimmte Kommunikationsdienste (Art. 2 Nr. 2 DMA) bereitstellen, die gewerblichen Nutzern als wichtiges Zugangstor zu ihren Endnutzern dienen und mithilfe derer Torwächter erheblichen Einfluss auf den Binnenmarkt nehmen können (Art. 3 Abs. 1 DMA). 

Die Ge- und Verbote der Art. 5 bis 7 DMA sind als "per se-Regeln" konzipiert. Tatbestandliche Verhaltensweisen sind verboten. Anders als im Kartellrecht bedarf es keiner komplexen Marktabgrenzung, Marktanteilsbestimmung, Abwägung der involvierten Interessen oder eines Nachweises (wahrscheinlicher) Auswirkungen im Einzelfall. Das Regelungskonzept des DMA ist die Antwort des EU-Gesetzgebers auf die Besonderheiten digitaler Märkte, deren Bestreitbarkeit und Fairness (vgl. Art. 1 Abs. 1 DMA) das traditionelle kartellrechtliche Regelwerk jedenfalls allein nicht gewährleisten kann.

Der regulatorische Ansatz des DMA hat Vor- und Nachteile. Die konkret niedergelegten Ge- und Verbote sind einfach in der Handhabung. Jenseits von Sachverhaltsungewissheiten (vgl. Art. 8 Abs. 1 DMA) und naturgemäß auftauchenden Auslegungsfragen erlaubt der DMA eine geradlinige und zügige Einordnung der Praktiken von Torwächtern ohne individuellen Schädlichkeitsnachweis. Diesen hat der Gesetzgeber vorweggenommen.

Dieser Vorteil wird mit Nachteilen in der Flexibilität erkauft. Selbst bei einer aus dem Kartellrecht übernommenen und am effet utile orientierten funktional weiten Auslegung lassen sich nur solche Verhaltensweisen erfassen, die die in Art. 5 bis 7 DMA niedergelegten Tatbestandsmerkmale auch erfüllen. Anders als bei Art. 102 AEUV ist eine Orientierung allein an den Auswirkungen eines Verhaltens nicht möglich. Dieser Nachteil wirkt gerade in der Digitalökonomie potenziell schwer. 

Um ein Leerlaufen des DMA zu verhindern, hat der Gesetzgeber verschiedene Mechanismen zur Flexibilisierung des DMA vorgesehen. Zum einen ist Art. 12 DMA zu nennen, der es der Kommission erlaubt, die Artikel 5 bis 7 zu ergänzen. Art. 12 DMA ist jedoch auf bestimmte, in Art. 12 Abs. 2 DMA abschließend aufgezählte Maßnahmen begrenzt und kann nur im Anschluss an eine Marktuntersuchung nach Art. 19 DMA ausgeübt werden. Anders ist dies bei Art. 13 DMA, der Handlungen, mittels derer Torwächter ihre Pflichten nach Art. 5 bis 7 DMA zu umgehen versuchen, untersagt. Nach Art. 13 Abs 4 DMA darf ein Torwächter 

"kein Verhalten an den Tag legen, das die wirksame Einhaltung der Verpflichtungen aus den Artikeln 5, 6 und 7 untergräbt, unabhängig davon, ob das Verhalten vertraglicher, kommerzieller, technischer oder sonstiger Art ist oder in der Verwendung von Verhaltenslenkungsmethoden oder Schnittstellengestaltung besteht."

II. Scare Screens und Dark Patterns

Art. 13 Abs. 4 DMA erfasst solche Verhaltensweisen, die sich von einem Verstoß gegen die Art. 5 bis 7 DMA formell unterscheiden mögen, aber gleichwohl mit deren Sinn und Zweck und mithin mit den Zielen des DMA unvereinbar sind. Die Vorschrift ist auf alle Praktiken eines Torwächters anwendbar, ungeachtet der Form der jeweiligen Praktik solange diese dem "Praktiktypus" der jeweiligen DMA-Plicht entspricht. So heißt es in Erwägungsgrund 70:

"Angesichts der beträchtlichen wirtschaftlichen Macht von Torwächtern ist es wichtig, dass die Verpflichtungen wirksam angewendet und nicht umgangen werden. Zu diesem Zweck sollten die in Rede stehenden Vorschriften auf alle Praktiken eines Torwächters angewendet werden, ungeachtet der Form dieser Praktiken und unabhängig davon, ob sie vertraglicher, geschäftlicher, technischer oder anderer Art sind, solange die Praktik dem Praktiktypus entspricht, der von einer der in dieser Verordnung festgelegten Verpflichtungen erfasst ist. […]".

Vor diesem Hintergrund ist der Begriff des "untergrabenden Verhaltens" weit zu verstehen und erfasst sämtliche Verhaltensweisen und Maßnahmen eines Torwächters, die zwar ihrer äußeren Gestalt nach im Einklang mit den Art. 5 bis 7 DMA stehen, in der Sache aber dazu führen, dass die mit einem Verbot oder Gebot des DMA beabsichtigten Ziele nicht erreicht werden.

Beispielhaft ist die Nutzung sog. Scare Screens zu nennen, mithilfe derer Nutzer durch Warnhinweise, etwa betreffend die mögliche Gefährdung der Sicherheit des Smartphones durch die Nutzung eines alternativen Anbieters, dazu verleitet werden, von durch den DMA eröffneten Wahlmöglichkeiten keinen Gebrauch zu machen. Allgemein spricht man insoweit auch von sog. Dark Patterns. Mit dem Begriff Dark Patterns ist die Ausgestaltung von Nutzerschnittstellen in einer Art und Weise gemeint, die den Nutzer – ohne sein Wissen – in eine bestimmte Richtung bzw. zu einer bestimmten Entscheidung leitet. Hierunter fallen neben Scare Screens eine Vielzahl von Verhaltensweisen, wie z.B. Nagging, d.h. die kontinuierliche (subtile) Aufforderung, ein bestimmtes Verhalten vorzunehmen, oder Preselection, d.h. die Vorauswahl einer Wahlmöglichkeit, die im Interesse des Unternehmens ist. In der Verhaltensökonomie (Behavioural Economics) wird die durch solche Praktiken mögliche Einflussnahme auf menschliches Verhalten seit langem beschrieben.

Auch der Gesetzgeber sieht entsprechende Maßnahmen kritisch, Erwägungsgrund 70:

"Torwächter sollten kein Verhalten an den Tag legen, das die Wirksamkeit der in dieser Verordnung festgelegten Verbote und Verpflichtungen untergraben würde. Zu solchem Verhalten gehören die vom Torwächter verwendete Gestaltung, die Darstellung der Wahlmöglichkeiten des Endnutzers in einer nicht neutralen Weise oder die Nutzung der Struktur, der Funktion oder der Art und Weise der Bedienung einer Benutzerschnittstelle oder eines Teils davon, um die Nutzerautonomie, die Entscheidungsfindung oder die Wahlmöglichkeit zu beeinträchtigen oder einzuschränken."

Wenngleich Art. 13 Abs. 4 DMA die Art. 5 bis 7 DMA wirkungsvoll gegen Umgehung schützen soll und daher funktional weit auszulegen ist, handelt es sich bei Art. 13 Abs. 4 DMA nicht um eine allgemeine Generalklausel. Nicht jedes Verhalten, das sich negativ auf die Bestreitbarkeit und Fairness digitaler Märkte auswirkt, ist nach Art. 13 Abs. 4 DMA verboten. Vielmehr kann das Umgehungsverbot sinnvollerweise immer nur in Verbindung mit einer expliziten Torwächterpflicht der Art. 5 bis 7 DMA zur Anwendung kommen. Verboten ist mithin nur solches Verhalten, das mit Blick auf ein konkretes Ge- oder Verbot aus den Art. 5 bis 7 DMA "untergrabend" wirkt, also die spezifischen Vorgaben und Ziele unterläuft. 

III. Beispiele

Verfolgt man die aktuellen Compliance Bemühungen der Torwächter und die Umsetzung der Verhaltenspflichten finden sich schnell Fälle, die in den Anwendungsbereich des Art. 13 Abs. 4 DMA fallen dürften. 

Ein Anwendungsbeispiel ist die offensive und übertrieben deutliche Kommunikation von Sicherheitsrisiken. Dies betrifft z.B. die durch Art. 6 Abs. 7 DMA u.a. geschaffene Möglichkeit, dass von Dritten angebotene Bezahldienste diskriminierungsfrei auf alle Hardware- und Software-Funktionen eines Endgeräts zugreifen dürfen. Praktisch relevant ist hier insbesondere der Zugriff auf die iOS NFC-Schnittstelle, der bisher nicht möglich war (dazu auch das kartellrechtliche Verfahren der Europäischen Kommission unter dem Aktenzeichen COMP/AT.40452). Apple erlaubt nun zwar den Zugriff, warnt aber u.a. öffentlich deutlich vor den Sicherheitsrisiken, die die Nutzung alternativer Bezahldienste für das Endgerät insgesamt mit sich bringen würde und die Apple nicht kontrollieren könne. Hierdurch dürften Apple Nutzer von der Verwendung alternativer Dienste abgehalten und die mit Art. 6 Abs. 7 DMA beabsichtigten Wirkungen unterlaufen werden.

Umgehungsversuche sind auch bei den im DMA niedergelegten Kopplungsverboten naheliegend (Art. 5 Abs. 7 und 8 DMA). Durch die Gestaltung von Anmeldeprozessen, die Menüführung oder eingebundene Hinweise auf Konsequenzen der Entscheidung für einen Drittanbieter lässt sich das Verhalten von Nutzern und deren Auswahl von Services leicht beeinflussen. Die hierdurch erzielbaren Ergebnisse stehen einer technischen Kopplung nicht nach, sodass entsprechende Maßnahmen entweder direkt unter die Verbote subsumiert werden können oder von Art. 13 Abs. 4 DMA erfasst werden.

Absehbar sind untergrabende Maßnahmen schließlich in Situationen, in denen Torwächter dazu verpflichtet sind, ihren Nutzern Auswahlmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen (etwa nach Art. 5 Abs. 2 DMA bzgl. der Zusammenführung von Daten oder bei den nach Art. 6 Abs. 3 DMA einzurichtenden Choice Screens bzgl. der Auswahl des Webbrowsers). Auch hier sind Nutzer leicht zu beeinflussen. Dies betrifft neben den bereits angesprochenen Hinweisen auf Sicherheitsrisiken auch die Informationen, die Nutzern über verschiedene Auswahlmöglichkeiten angezeigt werden (etwa die Bevorzugung bekannter Anbieter durch die Anzeige nur weniger Produktinformationen).

IV. Ausblick

Die Anwendung und Auslegung von Art. 13 Abs. 4 DMA wird mit darüber entscheiden, ob der DMA ein Erfolg wird oder nicht. Der regulatorische Ansatz des DMA kann sein Ziel, für bestreitbare und faire Märkte zu sorgen, nur dann erreichen, wenn Umgehungsmaßnahmen wirksam unterbunden werden. In der Praxis wird die Schwierigkeit darin liegen, zwischen 

  • Verhaltensweisen, die bei funktionaler Auslegung noch unmittelbar vom Tatbestand der Verbote nach Art. 5 bis 7 DMA erfasst sind,
  • Verhaltensweisen, die der Umgehung der Verbote dienen, aber von Art. 13 Abs. 4 DMA erfasst sind, und 
  • Verhaltensweisen, die zwar für den Wettbewerb schädlich sein mögen, vom Gesetzgeber aber bisher schlicht nicht adressiert wurden, zu unterscheiden.

Angesichts der kontrovers geführten Debatten um die Compliance-Maßnahmen einzelner Torwächter, nicht zuletzt im Rahmen der von der Europäischen Kommission im März 2024 abgehaltenen Compliance-Workshops, dürften die Europäische Kommission und die Gerichte schon zeitnah Gelegenheit haben, das Umgehungsverbot des DMA einem ersten Stresstest zu unterziehen.

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