Das SanInsKG ist da – Temporäre Anpassungen im Sanierungs- und Insolvenzrecht
21. November 2022
Am 9. November 2022 ist das Gesetz zur vorübergehenden Anpassung sanierungs- und insolvenzrechtlicher Vorschriften zur Abmilderung von Krisenfolgen (Sanierungs- und insolvenzrechtliches Krisenfolgenabmilderungsgesetz, kurz: SanInsKG) in Kraft getreten. Das SanInsKG dient der Umsetzung der insolvenzrechtlichen Vorgaben aus dem dritten Entlastungspaket der Bundesregierung, dass diese als Reaktion auf die erheblichen Preissteigerungen auf den Energie- und Rohstoffmärkten in Folge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und den damit verbundenen, erheblichen finanziellen Belastungen für Unternehmen beschlossen hat.
Durch das SanInsKG soll nach dem Willen oder besser der Hoffnung des Gesetzgebers die erwartete Welle von Unternehmensinsolvenzen verhindert werden. Dies soll maßgeblich durch eine zeitlich befristete Verkürzung des Prognosezeitraums im Rahmen der Überschuldungsprüfung nach § 19 InsO erreicht werden. Aber kann dies überhaupt gelingen, wenn es den Unternehmen aufgrund der explodierenden Rohstoff- und Energiepreise schlicht an der notwendigen Liquidität fehlt? Eben diese Fragestellung und weitere Aspekte des SanInsKG werden in diesem Beitrag näher betrachtet.
I. Aus COVInsAG wird das SanInsKG
Zunächst hat der Gesetzgeber mit dem SanInsKG kein neues Gesetz geschaffen. Vielmehr beruht das SanInsKG auf dem im Jahr 2020 in Kraft getretenen COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG), das um einige wenige Regelungen ergänzt und in "Gesetz zur vorübergehenden Anpassung sanierungs- und insolvenzrechtlicher Vorschriften zur Abmilderung von Krisenfolgen" umbenannt wurde.
Das ausdrückliche Ziel des Gesetzgebers und des SanInsKG ist es, im Kern finanziell gesunde Unternehmen, "deren Bestandsfähigkeit unter normalen Umständen, d.h. bei Hinwegdenken der derzeitigen Preisvolatilitäten und Unsicherheiten außer Zweifel stünde" (BT-Drs. 20/4087, S. 8). Zur Erreichung dieses Ziel sieht das SanInsKG verschiedene temporäre Änderungen im Sanierungs- und Insolvenzrecht vor.
II. Anpassung der Antragspflicht bei Überschuldung nach § 19 Abs. 2 InsO
Die wohl weitreichendsten Regelungen des SanInsKG betreffen die befristete Anpassung der gesetzlichen Vorschriften zur Insolvenzantragspflicht bei einer vorliegenden Überschuldung des Unternehmens nach § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO.
1. Verkürzung des Prognosezeitraums für die Fortbestehensprognose nach § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO
Eine zur Insolvenzantragstellung verpflichtende Überschuldung liegt nach dem Wortlaut von § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich.
Der Insolvenzgrund der Überschuldung liegt demnach dann nicht vor, wenn das Fortbestehen des Unternehmens nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich ist, also eine positive Fortbestehensprognose gegeben ist. Eine positive Fortführungsprognose nach § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO besteht nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wenn sich aus einem aussagekräftigen Unternehmenskonzept eine Lebensfähigkeit des Unternehmens ergibt, wobei diesem Konzept grundsätzlich sowohl ein Ertrags- als auch ein Finanzplan für den Prognosezeitraum von zwölf Monaten zugrunde liegen muss. Oder kurzgesagt: Eine Fortbestehensprognose kann dann angenommen werden, wenn das Unternehmen im Prognosezeitraum von zwölf Monaten über ausreichende finanzielle Mittel verfügt, um die in diesem Zeitraum fällig werdenden Verbindlichkeiten im Zeitpunkt ihrer jeweiligen Fälligkeit zu befriedigen.
Durch die Regelung von § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SanInsKG wird der Prognosezeitraum für die Fortbestehensprognose nunmehr von zwölf Monaten auf vier Monate verkürzt. Das heißt, das Unternehmen lediglich noch in einem Zeitraum von vier Monaten dazu in der Lage sein müssen, ihre finanziellen Verbindlichkeiten im Zeitpunkt der jeweiligen Fälligkeit bedienen zu können.
Nach der Regelung von § 4 Abs. 2 Satz 2 SanInsKG gilt die Verkürzung des Prognosezeitraum für die Fortbestehensprognose auf vier Monate ausdrücklich auch für solche Unternehmen, bei denen am Tag des Inkrafttretens des SanInsKG, d.h. am 9. November 2022, bereits eine Überschuldung vorlag. Die Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass der maßgebliche Zeitpunkt für eine rechtzeitige Insolvenzantragsstellung gem. § 15a Abs. 1 Satz 1 und 2 InsO am 9. November 2022 noch nicht verstrichen war.
Daher müssen solche Unternehmen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des SanInsKG bereits überschuldet waren, zwingend und sorgfältig prüfen, ob die Höchstfrist zur Insolvenzantragstellung von maximal sechs Wochen zwischen Eintritt der Überschuldung und dem Inkrafttreten des SanInsKG am 9. November 2022 bereits abgelaufen sein könnte. Ist dies der Fall, können sich die betroffenen Unternehmen nicht auf die Verkürzung des Prognosezeitraums im Rahmen der Überschuldungsprüfung auf vier Monate berufen.
Sollte die Höchstfrist von sechs Wochen zur Insolvenzantragsstellung vor dem Inkrafttreten des SanInsKG indes noch nicht verstrichen sein und eine Fortbestehensprognose des Unternehmens für die nächsten vier Monate mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gegeben sein, kann die Insolvenzantragspflicht nachträglich entfallen (BT-Drs. 20/487, S. 9). Dies gilt jedoch nur dann, wenn keine Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens vorliegt, was von den Geschäftsleitern entsprechend zu prüfen ist.
Nach dem Willen des Gesetzgebers können bereits im Insolvenzverfahren befindliche Unternehmen bei Vorliegen einer isolierten Überschuldung, die durch den kürzeren Prognosezeitraum der neuen Regelung entfallen würde, einen selbstgestellten Insolvenzantrag zurücknehmen (BT-Drs. 20/487, S. 9). Dies gilt jedoch ausdrücklich nur dann, wenn nicht auch – was in der Praxis indes häufig der Fall ist – eine Zahlungsunfähigkeit vorliegt.
Im Gegensatz zum COVInsAG ist der Anwendungsbereich der Regelung von § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SanInsKG und damit die Verkürzung des Prognosezeitraums ausdrücklich nicht an einen kausalen Zusammenhang zwischen der aktuellen Krise und der Überschuldung des Unternehmens geknüpft. Die Erleichterungen gelten somit unabhängig davon, ob die Überschuldung durch die aktuelle Krise auf den Energie- und Rohstoffmärkten verursacht wurde oder auf davon völlig unabhängige Ursachen zurückzuführen ist. Den Verzicht auf einen entsprechenden Kausalitätszusammenhang begründet der Gesetzgeber damit, dass "von den derzeitigen Verhältnissen mehr oder weniger alle Wirtschaftsteilnehmer zumindest mittelbar betroffen seien und ein Kausalitätserfordernis daher nur schwerlich festgelegt werden könnte" (BT-Drs. 20/487, S. 8).
2. Verlängerung der Höchstfrist für die Insolvenzantragsstellung bei Überschuldung
Auch die Höchstfrist für die Insolvenzantragstellung bei Vorliegen einer Überschuldung erfährt durch das SanInsKG eine vorübergehende Anpassung. Durch die Regelung von § 4a SanInsKG wird die Höchstfrist für die Stellung eines Insolvenzantrags bei Vorliegen der Überschuldung gem. § 15a Abs. 1 Satz 2 InsO von sechs Wochen auf acht Wochen erhöht.
Die Verlängerung der Höchstfrist für die Stellung des Insolvenzantrags soll nach dem Willen des Gesetzgebers dem Umstand Rechnung tragen, dass aufgrund der aktuellen Situation und der mit ihr einhergehenden Planungsunsicherheiten für etwaige Sanierungsbemühungen sowie die Vorbereitung einer Sanierung im präventiven Restrukturierungsrahmen oder in einem Eigenverwaltungsverfahren mehr Zeit erforderlich werden könnte (BT- Drs. 20/4087, S. 9).
Zu berücksichtigen ist, dass durch die Verlängerung der Höchstfrist für die Insolvenzantragsstellung bei einer Überschuldung auf acht Wochen der Grundsatz nach § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO, wonach Insolvenzanträge ohne schuldhaftes Zögern zu stellen sind, weiterhin uneingeschränkt gilt. Die Höchstfrist von acht Wochen darf also nicht ausgeschöpft werden, wenn bereits zu einem früheren Zeitpunkt feststeht, dass mit einer nachhaltigen Beseitigung der Überschuldung nicht mehr gerechnet werden kann.
Die Höchstfrist zur Stellung eines Insolvenzantrags bei Vorliegen einer Zahlungsunfähigkeit wurde ausdrücklich nicht verändert, sodass Geschäftsleiter in diesem Fall spätestens nach drei Wochen einen Insolvenzantrag stellen müssen.
3. Zeitlicher Geltungsbereich
Sowohl die Verkürzung des Prognosezeitraums im Rahmen der Überschuldungsprüfung nach § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO als auch die Verlängerung der Höchstfrist für die Insolvenzantragsstellung bei Vorliegen einer Überschuldung nach § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO gelten zunächst befristet bis zum 31. Dezember 2023 (§ 4 Abs. 2 Satz 1 und § 4a SanInsKG).
III. Anpassung Verkürzung der Planungszeiträume in Eigenverwaltungsverfahren und Restrukturierungsverfahren
Darüber hinaus werden durch die Regelungen von § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 SanInsKG auch die Zeiträume, die Finanzpläne bei der Beantragung eines Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung nach (§ 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO) und bei der Beantragung einer Stabilisierungsanordnung (§ 50 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG), etwa einer Vollstreckungssperre, abdecken müssen, angepasst.
Bislang ist die Inanspruchnahme dieser beiden Instrumentarien jeweils nur dann möglich, wenn der Insolvenzschuldner gegenüber dem Gericht durch Vorlage eines belastbaren Finanzplans nachweisen kann, dass seine Durchfinanzierung für mindestens sechs Monate gesichert ist. Durch das SanInsKG wird dieser Zeitraum nun jeweils auf vier Monate verkürzt.
IV. Fazit und Praxishinweis
Die deutliche Verkürzung des Prognosezeitraums im Rahmen der Überschuldungsprüfung von zwölf Monaten auf vier Monate in Kombination mit der Verlängerung der Höchstfrist für die Stellung eines Insolvenzantrags bei Vorliegen der Überschuldung auf acht Wochen dürfte den Insolvenzantragsgrund der Überschuldung insgesamt entschärfen.
Die Verkürzung des Prognosezeitraums kann in der Praxis im Einzelfall auch hilfreich sein, da ein verkürzter Prognosezeitraum die Unternehmensplanung angesichts der derzeit bestehenden Unsicherheiten im Zusammenhang mit den massiven Preisschwankungen auf den Rohstoff- und Energiemärkten, die eine verlässliche langfristige Planung erschweren, erleichtert. Fraglich ist jedoch, ob die Verkürzung des Prognosezeitraums die gewünschte Wirkung haben wird. Schließlich wird Unternehmen, bei denen der Umsatz einbricht und infolgedessen die Liquidität wegschmilzt, durch eine Verkürzung des Prognosezeitraums nicht geholfen. Überdies werden die allermeisten Insolvenzanträge (auch) wegen des Insolvenzgrunds der Zahlungsunfähigkeit gestellt. Die Regelungen zur Insolvenzantragstellung bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit wurden jedoch gerade nicht geändert und die Insolvenzantragspflicht wurde, anders als in der COVID-19-Pandemie, nicht ausgesetzt.
Die Geschäftsleiter von Unternehmen sollten zudem beachten, dass die Verkürzung des Prognosezeitraums keinesfalls ihre Pflicht zu einer intensiven Auseinandersetzung mit der langfristigen Unternehmensplanung ersetzt bzw. obsolet macht. Diese sollte auch weiterhin deutlich über den Zeitraum von vier Monaten hinaus erfolgen, fortwährend plausibilisiert und bei Änderung der zugrundeliegenden Planungsprämissen und Umständen angepasst werden. Während einer andauernden Überschuldung hat zudem eine monatlich rollierende Fortschreibung der Unternehmensplanung zu erfolgen, damit der Prognosezeitraum dauerhaft vier Monate beträgt.
Kritisch zu bewerten ist, dass die Verkürzung des Prognosezeitraums im Rahmen der Überschuldungsprüfung nicht an einen Kausalitätszusammenhang zwischen der aktuellen Krise und der Überschuldung des Unternehmens anknüpft. Dies wird dazu führen, dass auch solche Unternehmen in den "Genuss" des verkürzten Prognosezeitraums im Rahmen der Überschuldungsprüfung und damit der Privilegierung des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SanInsKG kommen, deren wirtschaftliche Schieflage nicht im Zusammenhang mit den Verwerfungen auf den Rohstoff- und Energiemärkten steht, sondern auf ganz anderen Ursachen, wie etwa Missmanagement, beruht. Es besteht daher die realistische Gefahr, dass die vom Gesetzgeber gut gemeinte Regelung von "im Kern ungesunden" Unternehmen ausgenutzt wird.
Vollkommen offen ist, welche Auswirkungen der Umstand hat, dass der Zeitraum der Fortbestehensprognose im Rahmen der Überschuldungsprüfung nach § 19 Abs. 2 InsO von nunmehr vier Monaten mit der Fortführungsprognose nach § 252 HGB auseinanderfällt, bei der regelmäßig ein Zeitraum von zwölf Monaten zugrunde zu legen ist. Dieses zeitliche Auseinanderfallen der Betrachtungszeiträume kann dazu führen, dass ein Unternehmen zwar insolvenzrechtlich nicht überschuldet ist, gleichwohl aber kein "Going Concern" gegeben ist. Problematisch könnte dies insbesondere deshalb werden, weil Banken etwaige Darlehen gerade auf der Grundlage von Jahresabschlüssen gewähren, nach denen die Fortführung des Unternehmens ausdrücklich sichergestellt ist und ein "Going Concern" testiert wurde.
Abzuwarten bleibt zuletzt, ob die Verlängerung der Höchstfrist für die Insolvenzantragsstellung bei einer Überschuldung in der Praxis tatsächlich einen großen Unterschied machen wird. Schließlich dürfte nicht davon auszugehen sein, dass es einem Unternehmen bzw. dessen Geschäftsleitung gelingt, die Überschuldung innerhalb von acht Wochen nachhaltig zu beseitigen, wenn es die wirtschaftlichen Probleme nicht in den vorhergehenden sechs Wochen in den Griff bekommen hat.
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