Update: Aktuelles zur deutschen Fusionskontrolle – Bundesgerichtshof stellt Untersagungsvoraussetzungen gemäß § 36 Abs. 1 GWB klar ("CTS/Eventim"): Ein Zuwachs an Marktmacht muss bei Marktbeherrschung nicht erheblich sein
31. Mai 2021
Seit Einführung des SIEC-Tests durch die 8. GWB-Novelle hatte der Bundesgerichtshof ("BGH") noch keine Gelegenheit, sich zu dessen konkreter Auslegung zu äußern. Nach § 36 Abs. 1 GWB ist "ein Zusammenschluss, durch den wirksamer Wettbewerb erheblich behindert würde", zu untersagen. Dies gilt insbesondere, wenn "zu erwarten ist, dass er eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt". Offen war vor allem, ob damit jede Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung eine Untersagung erfordert oder ob die Verstärkungswirkung auch erheblich sein muss. Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des OLG Düsseldorf in Sachen CTS Eventim/Four Artists (Az. VI-Kart 3/18 (V)) ermöglichte dem BGH nun die Beantwortung dieser umstrittenen Frage. Die mit Spannung erwartete Entscheidung (Az. KVR 34/20) stellt den strengen Maßstab in Übereinstimmung mit der wohl ähnlich zu verstehenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichts ("EuG") in Sachen "CK/Telecoms" (Az. T-399/16) klar: Jeder Zusammenschluss, der eine marktbeherrschende Stellung verstärkt, ist nach § 36 Abs. 1 GWB zu untersagen.
I. HINTERGUND DES VERFAHRENS
CTS Eventim beabsichtigte, jeweils 51% der Anteile an der Four Artists Booking Agentur GmbH und der Four Artists Events GmbH zu erwerben. Dies untersagte das Bundeskartellamt mit der Begründung, dass es durch die mit dem Zusammenschluss einhergehende vertikale Integration von Four Artists in den CTS-Konzern zu einer Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung von CTS Eventim auf dem nationalen Markt für Ticketsystemdienstleistungen käme. Die Anfechtungsbeschwerde von CTS Eventim wies das OLG Düsseldorf mit Beschluss am 5. Dezember 2018 zurück (Az. VI-Kart 3/18 (V)). Es bestätigte die Untersagungsentscheidung des Bundeskartellamts und betonte, dass bei Märkten mit einem hohen Konzentrationsgrad bereits eine geringfügige Beeinträchtigung des Wettbewerbs die Untersagungskriterien erfülle. CTS Eventim legte Rechtsbeschwerde ein.
II. DIE ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
Am 12. Januar 2021 wies der BGH die Rechtsbeschwerde von CTS Eventim zurück. Der Kartellsenat nahm die Entscheidung zum Anlass, sich näher mit dem Tatbestandsmerk-mal der Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung auseinanderzusetzen, um daran anknüpfend die zentrale Rechtsfrage zu beantworten, ob die Begründung oder Verstär-kung einer marktbeherrschenden Stellung nach § 36 Abs. 1 GWB für eine Untersagung per se erheblich ist oder ob die Erheblichkeit gesondert festgestellt werden muss.
1. Marktbeherrschende Stellung von CTS Eventim
Der BGH bestätigte zunächst die Abgrenzung eines bundesweiten Angebotsmarkts für Ticketvertriebsdienstleistungen. Auf diesem habe CTS Eventim mit Marktanteilen von 50%-60% eine marktbeherrschende Stellung.
2. Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung
Der Begriff der Verstärkung sei vor dem Hintergrund des Normzwecks von § 36 Abs. 1 GWB, also dem Schutz funktionsfähigen Wettbewerbs vor nachteiligen Veränderungen struktureller Wettbewerbsbedingungen, eng auszulegen. So sei die Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung nach ständiger Rechtsprechung anzunehmen, wenn "rechtliche oder tatsächliche Umstände dem marktbeherrschenden Unternehmen mit einiger Wahrscheinlichkeit eine günstigere Wettbewerbsposition verschaffen würden". Davon müsse insbesondere ausgegangen werden, wenn die Fähigkeit des beherrschenden Unternehmens gestärkt werde, "nachstoßenden Wettbewerb abzuwehren und den von aktuellen und potentiellen Wettbewerbern zu erwartenden Wettbewerbsdruck zu mindern". Auf einen bestimmten Grad an Spürbarkeit der Verstärkung komme es hingegen nicht an. Gerade bei Märkten mit einem hohen Konzentrationsgrad reiche daher schon eine "geringfügige Beeinträchtigung des verbliebenen oder potentiellen Wettbewerbs für eine Verstärkungswirkung". Voraussetzung hierfür sei jedoch, dass sich überhaupt "Auswirkungen auf die Wettbewerbsbedingungen erwarten lassen und in diesem Sinne qualitativ oder quantitativ marktrelevant sind." Die Bewertung der Wettbewerbsbedingungen habe dabei die Gesamtheit aller strukturellen Wettbewerbsparameter in den Blick zu nehmen.
Entsprechend habe das OLG Düsseldorf rechtsfehlerfrei angenommen, dass die Übernahme von Four Artists in den CTS-Konzern die Wettbewerbsstellung von CTS Eventim verbessert und die marktbeherrschende Stellung des Unternehmens verstärkt hätte. Zwar hätte der Zusammenschluss nicht zu einer horizontalen Marktanteilsaddition geführt. Four Artists wäre aber als bedeutender Abnehmer von Ticketsystemdienstleistungen weggefallen und der jährliche Vertrieb von ca. 700.000 Tickets durch Four Artists exklusiv an CTS Eventim gebunden worden, was wiederum einem Marktanteilszuwachs von ca. 1% bedeutet hätte. Durch die vertikale Integration, fehlenden Substitutionswettbewerb sowie einer geringen Nachfragemacht auf der stark zersplitterten Marktgegenseite der Veranstalter wäre CTS Eventim vor nachstoßendem Wettbewerb geschützt und hätte seinen bereits bestehenden (erheblichen) Vorsprung vor Wettbewerbern weiter ausbauen können. Hierdurch ergebe sich bereits eine qualitative Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung von CTS Eventim.
3. Muss die Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung auch erheblich sein?
Diese Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung von CTS Eventim genügte nach den Feststellungen des Kartellsenats für die Untersagung nach § 36 Abs. 1 GWB. Vor allem habe das OLG Düsseldorf es nicht rechtsfehlerhaft versäumt zu prüfen, ob der Zusammenschluss wirksamen Wettbewerb erheblich behinderte.
Nach der Rechtsprechung des BGH zur Rechtslage vor der 8. GWB-Novelle war ein Zusammenschluss stets zu untersagen, wenn dieser zu einer Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung führte, die dem marktbeherrschenden Unternehmen mit einiger Wahrscheinlichkeit eine günstigere Wettbewerbsposition verschaffte (vgl. bereits den Wortlaut des § 36 Abs. 1 GWB aF sowie BGH, Beschluss vom 11. November 2009, KVR 60/07, Rn. 61 "E.ON und Stadtwerke Eschwege" sowie BGH, Beschluss vom 7. Februar 2006, KVR 5/05, Rn. 49
"DB Regio/üstra" jeweils m.w.N.). Zur Frage, ob die Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung immer auch eine erhebliche Behinderung wirksamen Wettbewerbs i.S.d. SIEC-Tests darstellt, ohne dass es insoweit einer besonderen Prüfung der Erheblichkeit bedarf, stellte der BGH nun fest, dass eine zusammenschlussbedingte Verstärkung einer "bereits bestehenden marktbeherrschende Stellung im Sinne einer qualitativ oder quantitativ marktrelevanten weiteren Verschlechterung der Gesamtheit der strukturellen Wettbewerbsbedingungen, (...) eine erhebliche Behinderung wirksamen Wettbewerbs im Sinne von § 36 Abs. 1 Satz 1 GWB dar(stellt). (…) Einer weiteren gesonderten Feststellung der Erheblichkeit der Behinderung wirksamen Wettbewerbs bedarf es nicht."
Ausgehend vom Wortlaut des § 36 Abs. 1 GWB ergebe sich schon kein Anhaltspunkt für eine gesonderte Prüfung der Erheblichkeit, wenn ein Zusammenschluss die Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung erwarten lasse. Eine Untersagung sei bei Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung vielmehr "insbesondere" gerechtfertigt. Der Wortlaut des § 36 Abs. 1 GWB weiche insofern von Art. 2 Abs. 3 FKVO ab, wonach Zusammenschlüsse zu untersagen seien "durch die wirksamer Wettbewerb […] erheblich behindert würde, insbesondere durch Begründung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung". Aufgrund des unterschiedlichen Wortlauts beider Normen lasse Art. 2 Abs. 3 FKVO folgerichtig eine andere Auslegung der Untersagungsvoraussetzungen zu, nach der anders als im deutschen Recht ggf. auch nicht jede Verstärkung genügen könne.
Die mit der Reform des § 36 Abs. 1 GWB verbundene gesetzgeberische Intention spreche ebenfalls für dieses Ergebnis. Die Implementierung des SIEC-Tests erfolgte zu dem Zweck, den Beurteilungsmaßstab zu erweitern. Hierbei habe der Gesetzgeber Konstellationen im Blick gehabt, bei denen die Voraussetzungen einer Einzelmarktbeherrschung gerade nicht erfüllt seien, Zusammenschlüsse jedoch gleichwohl negative Folgen für den Restwettbewerb haben. Aus diesem Umstand könne jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass eine erhebliche Behinderung wirksamen Wettbewerbs stets gesondert festzustellen sei, was einer Beschränkung der Zusammenschlusskontrolle gleichkäme.
Der BGH stellt ferner klar, dass die Prüfung nicht bei Marktanteilen stehen bleiben könne. Es sei vielmehr zu prüfen, ob die strukturellen Veränderungen infolge rechtlicher oder tatsächlicher Umstände dem marktbeherrschenden Unternehmen eine günstigere Wettbewerbssituation verschaffen. Konkret bezogen auf die Frage der Erheblichkeit bedeute dies: "Sind bestimmte Veränderungen der die Marktmacht bestimmenden Größen so gering, dass sie den Schluss auf eine Verschlechterung der Wettbewerbsverhältnisse in dem dargelegten Sinne nicht rechtfertigen, ist bereits das Tatbestandsmerkmal der Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung nicht erfüllt. Ist hingegen - insbesondere wegen noch ungünstigerer Bedingungen für einen nachstoßenden Wettbewerb - eine weitere Verringerung der die Marktmacht ausgleichenden Wirkung des Wettbewerbs zu besorgen, ergibt sich aus der Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung notwendigerweise eine erhebliche Behinderung wirksamen Wettbewerbs."
III. EINORDNUNG UND AUSBLICK
Die Entscheidung des BGH stellt eine zentrale Frage der Anwendung des SIEC-Tests klar. Der Kartellsenat macht deutlich, dass es sich bei der Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung nach § 36 Abs. 1 GWB um den Regelfall einer erheblichen Behinderung wirksamen Wettbewerbs handelt. Das Bundeskartellamt muss einen Zusammenschluss untersagen, wenn "zu erwarten [sei], dass er eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt". Einer gesonderten Prüfung der Erheblichkeit bedarf es nicht.
Die Entscheidung des BGH steht im Einklang mit der Rechtsprechung des EuG in "CK/Telecoms", in der das EuG für das Verständnis des SIEC-Tests im Kern auf Erwägungsgrund 25 FKVO rekurriert und den Anwendungsbereich des SIEC-Tests auf den spezifischen Kontext koordinierter bzw. unilateraler Effekte auf oligopolistischen Märkten bezieht. Der SIEC-Test dient demnach der Erweiterung der Zusammenschlusskontrolle sowie der Stärkung des Begriffs der beherrschenden Stellung. Vor diesem Hintergrund ist dem BGH in seiner Auslegung zuzustimmen, dass es für die Verstärkungswirkung bei Marktbeherrschung nicht auf die gesonderte Frage der Erheblichkeit ankommt, sondern darauf, ob eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt wird. Wichtig ist aber die Klarstellung, dass nicht schon jede, auch nur geringfügige Verstärkung dieser Art eine Untersagung rechtfertigt. Alles andere, also eine Untersagung ohne tatsächliche Auswirkungen, wäre nicht zu rechtfertigen. Entsprechend setzt § 36 Abs. 1 GWB auch eine "Verstärkung" voraus. Somit muss ein Zusammenschlussvorhaben die Wettbewerbsverhältnisse derart verschlechtern, dass nachstoßender Wettbewerb tatsächlich geschwächt ("Auswirkungen auf die Wettbewerbsbedingungen, die qualitativ oder quantitativ marktrelevant" sind) und umgekehrt die Verhaltensspielräume des marktbeherrschenden Unternehmens tatsächlich erweitert werden (Stärkung der Fähigkeit, "nachstoßenden Wettbewerb abzuwehren und den von aktuellen und potentiellen Wettbewerbern zu erwartenden Wettbewerbsdruck zu mindern"). Die Herausforderung wird nun sein, relevante von nicht relevanten Auswirkungen – oder erhebliche von unerheblichen Auswirkungen? – auf die Verhaltensspielräume des Marktbeherrschers zu unterscheiden.
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