Ende 2024 ist der lang erwartete EU Listing Act in Kraft getreten. Einige Regelungen des EU Listing Act wie zum Beispiel die Änderungen des Art. 5 MAR (Aktienrückkäufe) und des Art. 11 MAR (Marktsondierungen) galten mit sofortiger Wirkung. Die Änderungen im Bereich der Ad-hoc-Publizität gelten indessen erst ab Mitte 2026 (Art. 4 Abs. 3 EU Listing Act).
Dies gilt insbesondere für den neuen Art. 17 Abs. 1 MAR, der die Ad-hoc-Publizitätspflicht bei gestreckten Geschehensabläufen reformiert. Danach sind Zwischenschritte künftig von der Ad-hoc-Publizitätspflicht ausgenommen. Nur der finale Umstand oder das finale Ereignis ist unverzüglich nach seinem Eintreten per Ad-hoc-Mitteilung zu veröffentlichen. Bis zu diesem Zeitpunkt bedarf es zukünftig keines Beschlusses über den Aufschub der Veröffentlichung mehr (vgl. Art. 17 Abs. 4a MAR).
Zu beachten ist allerdings, dass die Definition der Insiderinformation als solche unverändert bleibt, so dass die Insiderverbote (Art. 8, 10 MAR) bereits ab dem früheren Entstehen der Insiderinformation greifen. Auf die Veröffentlichungspflicht des Emittenten schlägt dies im Falle eines Informationslecks durch. Denn wenn die Vertraulichkeit nicht mehr gewährleistet ist, hat der Emittent trotz der Herausnahme der Zwischenschritte in Art. 17 Abs. 1 MAR – wie bislang während des Selbstbefreiungszeitraums – unverzüglich eine Ad-hoc-Mitteilung zu veröffentlichen. Im Grundsatz wird der bisher geltende Gleichlauf zwischen dem Eingreifen von Insiderverboten und der Ad-hoc-Publizitätspflicht des Emittenten bei gestreckten Geschehensabläufen aber aufgegeben.
Von Bedeutung für die Anwendung des neuen Regimes ist insbesondere Erwägungsgrund 67, der im Laufe des europäischen Gesetzgebungsverfahrens mehrfach geändert wurde. In der nun verabschiedeten Fassung lautet Erwägungsgrund 67 auszugsweise wie folgt:
"In einem zeitlich gestreckten Vorgang sollte sich die Offenlegungspflicht nicht auf reine Absichtsbekundungen, laufende Verhandlungen oder — je nach den Umständen — die Fortschritte bei Verhandlungen, wie etwa ein Treffen zwischen Unternehmensvertretern, erstrecken. Der Emittent sollte nur Informationen im Zusammenhang mit einem bestimmten Umstand oder einem bestimmten Ereignis, der bzw. das in dem zeitlich gestreckten Vorgang herbeigeführt werden soll oder hervorgebracht wird (finales Ereignis), so bald wie möglich nach dem Eintreten dieses Umstands oder Ereignisses offenlegen. Im Falle eines Unternehmenszusammenschlusses beispielsweise sollte die Offenlegung so bald wie möglich erfolgen, nachdem eine Einigung über die Kernelemente dieses Zusammenschlusses erzielt wurde und die Unternehmensleitung daraufhin die Unterzeichnung einer Vereinbarung über diesen Zusammenschluss beschlossen hat. Im Allgemeinen sollte bei vertraglichen Vereinbarungen davon ausgegangen werden, dass das finale Ereignis eingetreten ist, wenn eine Einigung über die Kernbedingungen dieser Vereinbarung erzielt wurde. […]" [Hervorhebung durch die Verfasser]
Einzelheiten zur Veröffentlichung von Zwischenschritten sollen von der Europäischen Kommission ausgearbeitet und in einer delegierten Verordnung geregelt werden (Art. 17 Abs. 12 MAR). Die Verordnung soll insbesondere eine nicht erschöpfende Liste mit finalen Ereignissen und Umständen gestreckter Geschehensabläufe sowie deren Veröffentlichungszeitpunkte enthalten ("Liste gestreckter Geschehensabläufe").
Hierfür hat die Europäischen Kommission die ESMA beauftragt, die Ende 2024 ein entsprechendes Consultation Paper ("CP") vorgelegt hat (ESMA74-1103241886-1086). Das CP enthält in Annex IV den Entwurf einer delegierten Verordnung ("Delegierte VO") einschließlich der Liste gestreckter Geschehensabläufe sowie ausführliche Erläuterungen und Hintergrundinformationen. Die Delegierte VO ist nach unserer Einschätzung sorgfältig ausgearbeitet worden. Die ESMA hat unter anderem die Marktpraxis in den EU-Mitgliedstaaten und in anderen großen Jurisdiktionen außerhalb der EU berücksichtigt (vgl. dazu auch die lesenswerte Zusammenfassung der Rechtslage in den USA, Japan, Kanada und Australien in Annex V). Nach erster Einschätzung erscheint die Delegierte VO durchaus geeignet, zu höherer Rechtssicherheit auf Seiten der Emittenten im Hinblick auf den Veröffentlichungszeitpunkt zu führen, auch wenn dadurch die Insider-Compliance insgesamt nicht weniger komplex werden wird.
Das CP enthält zu den vorgeschlagenen Regelungen außerdem konkrete Fragen, zu denen alle Interessierten bis zum 13. Februar 2025 Stellung nehmen können.
Übergreifende Erwägungen der ESMA zu gestreckten Geschehensabläufen
Nachfolgend fassen wir die aus unserer Sicht für die Praxis wichtigsten Aussagen des CP in Stichpunkten zusammen.