Das Urteil wirft gleich drei sehr interessante Folgefragen auf, die nachstehend umrissen werden sollen:
1. Schadensersatz auch bei Verstoß gegen innerdeutsche Gerichtsstandsvereinbarungen?
Naheliegend ist es zunächst, diese Rechtsprechung zu einem grenzüberschreitenden Sachverhalt auch auf nationale Fälle zu übertragen und Schadensersatz auch bei Verstoß gegen innerdeutsche Gerichtsstandsvereinbarungen anzunehmen. Eine Schadensersatzpflicht bei einem Verstoß gegen innerdeutsche Gerichtsstandsvereinbarungen dürfte allerdings weiterhin ausgeschlossen sein.
Denn klagt eine Partei – unter Verletzung einer Gerichtsstandsvereinbarung – an einem unzuständigen deutschen Gericht und verweist dieses Gericht die Klage an das zuständige Gericht weiter, entsteht bereits kein ersatzfähiger Schaden. Das deutsche Zivilprozessrecht gewährt grundsätzlich nur Erstattung der gesetzlichen Rechtsanwaltsgebühren und Gerichtskosten. Durch die Verweisung des aufgrund der Gerichtsstandsvereinbarung unzuständigen Gerichts an ein anderes Gericht allein entstehen aber keine weiteren gesetzlichen und somit auch keine erstattungsfähigen Kosten. Auch sofern etwa durch das Erfordernis einer weiteren mündlichen Verhandlung Mehraufwand in Form von Stundenhonoraren entstanden sein sollte, wären solche Kosten nicht erstattungsfähig. Vielmehr sind die gesetzlichen Kostenerstattungsansprüche zugleich die Obergrenze eines ersatzfähigen Schadens.
Schadensersatzansprüche kommen somit auch nach diesem Urteil nur dann in Betracht, wenn entgegen einer Gerichtsstandsvereinbarung bei einem – unzuständigen – Gericht im Ausland geklagt würde und dieses den Kläger im Rahmen der Klageabweisung wegen Unzuständigkeit nicht zur Übernahme der entstandenen Kosten verurteilt hat. In derartigen Konstellationen können allerdings ganz beachtliche Schadenshöhen entstehen, da eine Begrenzung des Schadens der Höhe nach mangels Anwendbarkeit der im deutschen Zivilprozess heranzuziehenden gesetzlichen Gebührentatbestände nicht anzunehmen sein wird. Insbesondere bei europäischen Sachverhalten werden hier allerdings zukünftig noch eine Vielzahl von Einzelfragen im Zusammenhang mit der europäischen Zuständigkeitsordnung zu klären sein.
2. Entstehen Schadensersatzsprüche bei unstatthafter Schiedsklage?
Neben der Verletzung von Gerichtsstandsvereinbarungen könnten nunmehr auch durch die Erhebung einer unstatthaften Schiedsklage Schadensersatzansprüche ausgelöst werden.
Die zentrale Aussage des Bundesgerichtshofs, nach der Gerichtsstandsvereinbarungen materiell-rechtliche Wirkung entfalten, dürfte nämlich auch auf Schiedsvereinbarungen zu übertragen sein. Dies folgt bereits aus dem Umstand, dass Schiedsvereinbarungen und Gerichtsstandsvereinbarungen in ihrer Wirkung weitestgehend gleichlaufen und somit kein Grund für eine Ungleichbehandlung erkennbar ist.
Somit liegen auch bei Einleitung eines unstatthaften Schiedsverfahrens Schadensersatzansprüche in Höhe der hierdurch entstehenden Kosten nahe. In der Praxis sind insbesondere Konstellationen denkbar, in denen eine Schiedsklägerin auf Grundlage einer unzureichenden Schiedsvereinbarung Schiedsklage erhebt – etwa weil die geltend gemachten Ansprüche nicht von der Schiedsvereinbarung gedeckt werden.
Der durch die Einleitung eines unstatthaften Schiedsverfahrens entstehende Schaden wäre nach deutschem Kostenrecht im Grundsatz ebenfalls nicht der Höhe nach begrenzt. Ein möglicher Schadensersatzanspruch wäre somit – auch bei einem innerdeutschen Schiedsverfahren – nicht aufgrund der gesetzlichen Kostenerstattungsansprüche begrenzt. Vielmehr können aufgrund der in einem Schiedsverfahren entstehenden Kosten – je nach Stand des Verfahrens und entfaltetem Aufwand – durchaus hohe Beträge als Schaden geltend gemacht werden.
3. Eröffnet das Urteil gar den Weg zu Prozessführungsverboten (anti-suit injunctions) im deutschen Recht?
Zuletzt stellt sich die Frage, ob das Urteil ein Schritt in Richtung Prozessführungsverbote (anti-suit injunctions) im deutschen Recht ist.
Andere Rechtsordnungen ermöglichen es, der gegen eine Gerichtsstandsvereinbarung (oder eine Schiedsvereinbarung) verstoßenden Partei schlicht die vertragswidrige Prozessführung zu untersagen. In Deutschland werden derartige Prozessführungsverbote – jedenfalls in der Nachkriegszeit – abgelehnt. Begründet wird dies vielfach mit der prozessualen Natur einer Gerichtsstandvereinbarung (bzw. Schiedsvereinbarung) und dem Hinweis, dass eine solche Vereinbarung keinen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Unterlassung einer vertragswidrigen Prozessführung gewähre. In Europäischen Sachverhalten wird zudem darauf verwiesen, dass Prozessführungsverbote nicht mit der Europäischen Zuständigkeitsordnung vereinbar sind. Denn hiernach müssen innerhalb Europas angerufene Gerichte die Möglichkeit haben, über die eigene Zuständigkeit zu entscheiden, was durch den Erlass von Prozessführungsverboten untergraben werden könnte.
Interessanterweise ließ sich der Bundesgerichtshof in dem Urteil auch zur Frage der Zulässigkeit von Prozessführungsverboten aus. Dies allerdings ohne hierzu abschließende Klarheit zu schaffen. Der Bundesgerichtshof lehnt Prozessführungsverbote zwar weiterhin ab, verweist hierbei aber nur auf den europäischen Rechtsrahmen und betont sogar ausdrücklich, dass die aus der Europäischen Zuständigkeitsordnung folgenden Erwägungen im Verhältnis zu Drittstaaten nicht verfangen. Hieraus könnte gefolgert werden, dass eine deutsche anti-suit injunction gegen einen in einem Drittstaat vertragswidrig angestrengten Rechtsstreit durchaus zulässig sein könnte. Dies böte mitunter Raum für ganz neue Verteidigungsstrategien und hätte es dem an dem Verfahren beteiligten Bonner Unternehmen mitunter erlaubt, sich der Durchführung des gerichtlichen Verfahrens in USA von vornherein zu entziehen.
GLADE MICHEL WIRTZ wird Sie an dieser Stelle fortlaufend über die weitere Entwicklung sowie den derzeitigen Stand der Diskussion informieren. Gerne stehen wir auch für einen Austausch zu diesem Thema jederzeit zur Verfügung.
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