Update zur positiven Fortführungsprognose von Start-ups

#GMW-Blog: Aktuelle Rechtsentwicklungen

Update zur positiven Fort­führungs­prognose von Start-ups – OLG Düsseldorf setzt seine start-up-freundliche Recht­sprechung fort (Beschluss vom 9. Februar 2022, Az.: 12 U 54/21)

1. August 2022

Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat mit seinem Beschluss vom 9. Februar 2022 (Az.: 12 U 54/21), der im Juni 2022 veröffentlicht wurde, seine start-up-freundliche Rechtsprechung aus dem vergangenen Jahr zu den Voraussetzungen der positiven Fortführungsprognose von Start-ups fortgesetzt.

Bereits in seiner Entscheidung vom 20. Juli 2021 (Az.: 12 W 7/21), über die wir ebenfalls berichtet haben (hier abrufbar), hatte das Oberlandesgericht Düsseldorf ausgeführt, dass im Rahmen der Überschuldungsprüfung nach § 19 InsO eine positive Fortführungsprognose eines Start-ups auch dann bestehen könne, wenn in dem relevanten Prognosezeitraum zwar kein eigener Ertrag erzielt werde, jedoch überwiegend wahrscheinlich sei, dass das Start-up seine fälligen Zahlungsverpflichtungen durch externe Finanzierungsmittel bzw. -zusagen decken könne. 

In seiner jüngsten Entscheidung vom 9. Februar 2022 hat das Oberlandesgericht Düsseldorf seine Entscheidung aus dem vergangenen Sommer ausdrücklich betätigt, zugleich jedoch die Anforderungen an die "überwiegende Wahrscheinlichkeit" der Deckung der im Prognosezeitraum fälligen Zahlungsverbindlichkeiten aufgrund der Bereitstellung oder der Zusage externer Finanzierungsmittel konkretisiert. 

I. ZUR INSOLVENZRECHTLICHEN ÜBERSCHULDUNG NACH § 19 ABS. 2 INSO

Auch, wenn ein Unternehmen in einem bestimmten Zeitpunkt uneingeschränkt zahlungsfähig ist und der Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit gem. § 17 Abs. 2 InsO nicht vorliegt, kann gleichwohl eine Überschuldung im Sinne von § 19 Abs. 2 InsO gegeben sein. 

Eine Überschuldung gem. § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Es besteht demnach also eine zweistufige Prüfungsreihenfolge.

Zunächst ist auf der ersten Stufe zu prüfen, ob das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten deckt. Ist dies nicht der Fall und ergibt die rechnerische Prüfung eine Überschuldung des Unternehmens, ist auf der zweiten Stufe eine Fortführungsprognose anzustellen. Schließlich ist eine Überschuldung ausgeschlossen, sofern eine positive Fortführungsprognose des Unternehmens gegeben ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt eine positive Fortführungsprognose in objektiver Hinsicht voraus, dass sich aus einem aussagekräftigten Unternehmenskonzept eine Lebensfähigkeit des Unternehmens ergibt, wobei diesem Konzept grundsätzlich sowohl ein Ertrags- als auch ein Finanzplan für einen angemessenen Prognosezeitraum zugrunde liegen muss. Während der Prognosezeitraum von 12 Monaten zuvor durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vorgegeben war, ist dieser Zeitraum nunmehr in § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO gesetzlich festgeschrieben.

II. BESCHLUSS DES OLG DÜSSELDORF VOM 9. FEBRUAR 2022 (AZ.: 12 U 54/21) –ZUR FRAGE DER POSITIVEN FORTFÜHRUNGSPROGNOSE VON START-UPS

Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat sich in seinem Beschluss vom 9. Februar 2022 (Az.: 12 U 54/21) erneut mit der Frage auseinandergesetzt, inwieweit die vorgenannten Grundsätze des Bundesgerichtshofs zur positiven Fortführungsprognose auf Start-ups anwendbar sind bzw. welche Besonderheiten im Rahmen der positiven Fortführungsprognose von Start-ups zu berücksichtigen sind.

1. Sachverhalt der Entscheidung

Der Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 9. Februar 2022 lag folgender Sachverhalt zugrunde: 

Der Insolvenzverwalter über das Vermögen eines insolventen Start-up-Unternehmens, dessen Unternehmensgegenstand in der Weiterentwicklung, der Herstellung und dem Vertrieb eines aus der brasilianischen Acai-Frucht hergestellten Energy-Getränks bestand, nahm den ehemaligen Geschäftsführer wegen masseschmälernder Zahlungen nach Insolvenzreife gem. § 64 Satz 1 GmbHG a.F. auf Zahlung eines Betrags i.H. insgesamt EUR 58.583,89 in Anspruch. Das Landgericht Kleve gab der Klage des Insolvenzverwalters vollumfänglich statt. Der ehemalige Geschäftsführer beabsichtigte, gegen das Urteil des Landgerichts Kleve Berufung einzulegen und begehrte hierfür die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.

Im Rahmen dieses Prozesskostenhilfegesuchs hatte sich das Oberlandesgericht Düsseldorf mit den Erfolgsaussichten von dessen beabsichtigter Berufung bzw. spiegelbildlich mit der Begründetheit des von dem Insolvenzverwalter nach § 64 Satz 1 GmbHG a.F. geltend gemachten Anspruchs auseinanderzusetzen. Im Kern ging es dabei um die Frage, ob der ehemalige Geschäftsführer trotz fehlender Ertragsfähigkeit des Start-ups von einer positiven Fortführungsprognose haben ausgehen dürfen, weil ein Gesellschafter des Start-ups nach den Ausführungen des ehemaligen Geschäftsführers vorbehaltslos und verbindlich zugesagt habe, den etwaigen Kapitalbedarf der Insolvenzschuldnerin zu decken.

2. Inhalt der Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf

Das Oberlandesgericht Düsseldorf stellt in seiner Entscheidung zunächst fest, dass bei dem Start-up/der Insolvenzschuldnerin eine rechnerische Überschuldung vorliege, sodass eine positive Fortführungsprognose erforderlich sei. 

Sodann führt es unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aus, dass eine positive Fortführungsprognose in subjektiver Hinsicht den Fortführungswillen des Schuldners bzw. seiner Organe und in objektiver Hinsicht eine sich aus einem aussagekräftigen Unternehmenskonzept herzuleitende Lebensfähigkeit des Unternehmens voraussetze. Dies sei dann der Fall, wenn für einen angemessenen Prognosezeitraum ein Ertrags- und Finanzplan vorliege, aus dem sich ergebe, dass die Finanzkraft der Gesellschaft mittelfristig zur Fortführung des Unternehmens ausreiche.

Das Oberlandesgericht Düsseldorf führt im Folgenden weiter aus, dass sich die objektive Überlebensfähigkeit der Gesellschaft jedoch auch aus anderen Umständen ergeben könne. So könne bei der Beurteilung der Frage, ob seitens des Geschäftsführers eine positive Fortführungsprognose angenommen werden könne, auch die Finanzierungszusage eines Investors zu berücksichtigen sein. In diesem Zusammenhang stellt das Oberlandesgericht Düsseldorf ausdrücklich klar, dass es einer positiven Fortführungsprognose nicht entgegenstehe, wenn es sich bei der Finanzierungszusage nicht um eine harte Patronatserklärung handele und der betreffende Investor (bislang) keine qualifizierte Rangrücktrittserklärungen hinsichtlich bereits valutierter Darlehen abgegeben habe. Vielmehr könne in Ausnahmefällen – wie das Oberlandesgericht Düsseldorf unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 13. Juli 2021 (Az.: II ZR 84/20) ausführt – auch eine "weiche" Patronatserklärung eine positive Fortführungsprognose begründen. Insbesondere scheide die Annahme einer positiven Fortführungsprognose nicht bereits deshalb aus, weil die Aufrechterhaltung der Liquidität der Gesellschaft von der zur Verfügungstellung ausreichender finanzieller Mittel durch Dritte abhänge, auf die die Gesellschaft (noch) keinen verbindlichen Rechtsanspruch habe.

Die Situation eines Start-ups sei nicht mit der typischen Situation eines Unternehmens in der Krise vergleichbar. Daher müssten die Anforderungen an die Fortführungsprognose von Start-ups im Lichte der Besonderheiten dieser Unternehmen betrachtet werden. Schließlich seien Start-ups in ihrer Ideenumsetzung, Marktetablierung und Expansion in aller Regel auf Außenfinanzierungen angewiesen, sodass ein alleiniger Rückgriff auf die Ertragsfähigkeit ihnen ihre Überlebensfähigkeit absprechen und sie zum Marktaustritt zwingen würde. Entsprechend sei es für die Annahme einer positiven Fortführungsprognose ausreichend – aber auch erforderlich – dass das Start-up mit überwiegender, also mehr als 50%-iger Wahrscheinlichkeit dazu in der Lage sei, seine im Prognosezeitraum fälligen Zahlungsverbindlichkeiten aufgrund der Bereitstellung oder der Zusage externer Finanzierungsmittel zu decken.

Diese überwiegende Wahrscheinlichkeit setzt nach Ansicht des Oberlandesgerichts Düsseldorf voraus, dass ein operatives Konzept mit einer realistischen (Finanz-)Planung vorliege, welches die geplante Geschäftsausrichtung als erfolgsversprechend erscheinen lasse. Dies sei nur dann der Fall, wenn durch das operative Geschäft des Start-ups auf Dauer ausreichend eigene Erträge erzielt werden könnten. Bei einer andauernden Fremdfinanzierung sei nämlich perspektivisch zu erwarten, dass diese irgendwann an ihre Grenzen stoßen werde.

In dem entscheidungserheblichen Sachverhalt hatte der Investor die Bereitstellung weiterer Mittel nicht von einer nachvollziehbaren, realistischen Planung und damit von objektiven und überprüfbaren Kriterien abhängig gemacht, sondern allein von der Übertragung weiterer Geschäftsanteile. Allerdings hatte er zu keinem Zeitpunkt eine verbindliche Zusage abgegeben, sondern sich jeweils immer nur im Einzelfall dazu bereit erklärt, im Wege von Kapitalerhöhungen weitere Zuzahlungen zu leisten und/oder weitere Darlehen bereitzustellen. Vor diesem Hintergrund ist nach Auffassung des Oberlandesgerichts Düsseldorf eine positive Fortführungsprognose nicht gegeben bzw. der ehemalige Geschäftsführer habe von einer solchen nicht ausgehen können. Schließlich sei die weitere Finanzierung durch den Investor nicht von einer nachvollziehbaren und realistischen (Finanz-)Planung abhängig, sondern allein subjektiv durch sein Interesse an der Übertragung weiterer Geschäftsanteile motiviert gewesen. Die erforderliche überwiegende Wahrscheinlichkeit einer weiteren Finanzierung und damit einer positiven Fortführungsprognose liege auch bei Start-ups nicht bereits deshalb vor, weil nicht konkret wahrscheinlich sei, dass ein Investor das Unternehmen nicht weiter finanzieren werde. Erforderlich sei vielmehr, dass das Start-up mit mehr als 50%-iger Wahrscheinlichkeit aufgrund der Bereitstellung von Fremdkapital dazu in der Lage sein werde, seine fälligen Zahlungsverpflichtungen im Prognosezeitraum zu begleichen.

Aus den vorstehenden Erwägungen hat das Oberlandesgericht Düsseldorf den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe des ehemaligen Geschäftsführers zurückgewiesen. Die beabsichtigte Berufung habe keine Aussicht auf Erfolg, da der ehemalige Geschäftsführer nicht darauf habe vertrauen dürfen, dass der Investor die Insolvenzschuldnerin weiterhin finanziell unterstützen würde. Daher habe er nicht von einer positiven Fortführungsprognose ausgehen dürfen, sodass die haftungsbegründende Überschuldung der Gesellschaft vorgelegen habe.

3. Bewertung und Praxisfolgen

Das Oberlandesgericht Düsseldorf bestätigt mit der vorliegenden Entscheidung seine start-up-freundliche Rechtsprechung aus dem vergangenen Sommer, wonach im Rahmen der Überschuldungsprüfung nach § 19 InsO eine positive Fortführungsprognose eines Start-ups auch dann bestehen könne, wenn in dem relevanten Prognosezeitraum zwar kein eigener Ertrag erzielt werde, jedoch überwiegend wahrscheinlich sei, dass das Unternehmen seine fälligen Zahlungsverpflichtungen aufgrund von Finanzierungszusagen Dritter begleichen könne. Damit hält das Oberlandesgericht Düsseldorf an seiner Auffassung fest, dass die positive Fortführungsprognose eines Start-ups – in engen Grenzen – auch auf "weiche" Patronatserklärungen gestützt werden kann.

Dies ist deshalb bemerkenswert, weil der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung vom 13. Juli 2021 (Az.: II ZR 84/20), die im Herbst 2021 und damit zwischen den beiden Entscheidungen des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 20. Juli 2021 und 9. Februar 2022 veröffentlicht wurde, ausdrücklich festgestellt hat, dass einer "weichen" Patronatserklärung bei der Bejahung der positiven Fortführungsprognose – start-up-unabhängig – eine absolute Ausnahmerolle zukomme. Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs liege ein solcher Ausnahmefall, der eine Berücksichtigung der "weichen" Patronatserklärung in der Ertrags- und Finanzplanung rechtfertige, nur dann vor, wenn der Patron mit der finanziellen Ausstattung der Gesellschaft ganz überwiegend keine Gewinnerzielung anstrebe und aus übergeordneten Gründen zur Übernahme von Verlusten bereit bzw. hierzu verpflichtet sei, wie dies etwa im Bereich der Daseinsvorsorge der Fall sei. Ein bloßer Hinweis darauf, dass der Patron bereits in der Vergangenheit finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt habe, genüge jedenfalls nicht, um eine positive Fortführungsprognose zu begründen.

Zwar betont auch das Oberlandesgericht Düsseldorf in seiner Entscheidung den Ausnahmecharakter einer "weichen" Finanzierungszusage bzw. Patronatserklärung, legt diesen aber offensichtlich weit weniger eng aus als der Bundesgerichtshof. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts Düsseldorf kann die Zusage eines finanzkräftigen Investors bereits dann eine positive Fortführungsprognose begründen, wenn dieser schon in der Vergangenheit Darlehen zur Verfügung gestellt und die Bereitstellung weiterer Mittel von der Vorlage einer aktuellen, nachvollziehbaren und realistischen Finanzplanung abhängig gemacht hat. Diese Auffassung des Oberlandesgerichts Düsseldorf dürfte im Lichte der vorgenannten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Ausnahme darstellen.

Positiv hervorzuheben ist, dass das Oberlandesgericht Düsseldorf herausgestellt hat, dass die eigene Ertragskraft des Start-ups keine zwingende Voraussetzung für dessen positive Fortführungsprognose darstellen könne. Dies ist überzeugend, da ein Start-up in seinen Anfangsjahren typischerweise strukturell nicht auf die Erzielung von Gewinnen ausgerichtet ist, sondern in dieser Aufbauphase maßgeblich von Finanzinvestoren gestützt wird.

Weiterhin weniger überzeugend ist indes die Schlussfolgerung des Oberlandesgerichts Düsseldorf, dass der Geschäftsführer eines Start-ups bereits dann von einer positiven Fortführungsprognose ausgehen dürfe, wenn keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ein Gesellschafter/Bestandsinvestor, der das Unternehmen bereits in der Vergangenheit mehrfach durch Finanzierungsbeiträge unterstützt habe, seine Unterstützung in Zukunft entziehen werde. Zum einen steht diese Schlussfolgerung im Widerspruch zu der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass eine Weiterfinanzierung nicht allein aufgrund der bloßen zur Verfügung Stellung von finanziellen Mitteln in der Vergangenheit als überwiegend wahrscheinlich angesehen werden dürfe. Mit diesem Aspekt aus dem Urteil des Bundesgerichtshofs 13. Juli 2021 (Az.: II ZR 84/20) hat sich das Oberlandesgericht Düsseldorf in seiner Entscheidung nicht auseinandergesetzt.

Zum anderen ist eine nicht an ein aktives Verhalten des Geschäftsführers anknüpfende Bewertung des Bestehens einer positiven Fortführungsprognose mit dem Sinn und Zweck der Insolvenzantragspflicht, der in dem Schutz des Rechtsverkehrs, insbesondere in Gestalt der zukünftigen Gläubiger des Unternehmens liegt, unvereinbar. Daher sollten die Geschäftsführer von Start-ups – auch zur Minimierung des eigenen insolvenzrechtlichen Haftungsrisikos – regelmäßig aktiv mit ihren Gesellschaftern und Bestandsinvestoren über die Folgefinanzierung des Unternehmens sprechen und die grundsätzliche Bereitschaft zur weiteren Finanzierung schriftlich dokumentieren. Zudem sollte zu jedem Zeitpunkt ein nachvollziehbares Unternehmenskonzept schriftlich dokumentiert werden.

Es bleibt abzuwarten, ob sich andere Oberlandesgerichte der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Düsseldorf anschließen werden und wie sich der Bundesgerichtshof – sofern er die Gelegenheit erhält – zu dieser Auffassung positionieren wird. Der positiven Fortführungsprognose und der Frage, auf welche Annahmen diese gestützt werden kann, dürften angesichts der aktuellen, "angestrengten" wirtschaftlichen Situation mit hohen Inflationsraten, drastisch steigenden Energiekosten sowie steigenden Zinsen für Bank-Darlehen noch eine erhebliche Bedeutung zukommen. Dies nicht zuletzt deshalb, weil eine aktuelle Analyse der Creditreform Wirtschaftsforschung ergeben hat, dass vor allem jüngere Unternehmen überdurchschnittlich oft einen Insolvenzantrag stellen müssen. So waren im ersten Halbjahr 2022 24,4% der insolventen Unternehmen maximal vier Jahre alt und weitere 33,1% der Unternehmen zwischen fünf und zehn Jahren alt, was jeweils den höchsten Wert seit 2017 darstellt (Quelle: Insolvenzen in Deutschland, 1. Halbjahr 2022, Analyse der Creditreform Wirtschaftsforschung vom 28. Juni 2022, S. 6 ff.)

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Die „Qualifikationsmatrix“ nach der Neufassung des DCGK – Eine erste Annäherung

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Die "Qualifikationsmatrix" nach der Neufassung des DCGK – Eine erste Annäherung

26. Juli 2022

Mit der Veröffentlichung im Bundesanzeiger am 27. Juni 2022 ist der Deutsche Corporate Governance Kodex in der Fassung vom 28. April 2022 (DCGK) in Kraft getreten, sodass seine Empfehlungen von den betroffenen Gesellschaften bei Abgabe der nächsten turnusmäßigen Entsprechenserklärung jedenfalls bezogen auf die zukunftsgerichteten Aussagen zu berücksichtigen sind. Die neue Fassung des DCGK enthält aktualisierte Grundsätze und erweiterte Empfehlungen für Vorstände und Aufsichtsräte börsennotierter Unternehmen, wobei mit der jüngsten Reform ein besonderes Gewicht auf die nachhaltige Unternehmensführung gelegt wird (vgl. dazu auch die Pressemitteilung der Regierungskommission DCGK vom 27. Juni 2022). 

Angepasst wurden in diesem Zusammenhang auch die Vorgaben für die Darstellung der Anforderungen an die Aufsichtsratszusammensetzung (Empfehlung C.1 DCGK). Danach soll der Aufsichtsrat – wie bisher – konkrete Ziele für seine Zusammensetzung benennen, ein Kompetenzprofil für das Gesamtgremium erarbeiten und dabei auf Diversität achten. Im Einklang mit der verstärkten Ausrichtung der Neufassung auf nachhaltige Unternehmensführung soll das Kompetenzprofil des Aufsichtsrats dabei nunmehr auch Expertise zu den für das Unternehmen bedeutsamen Nachhaltigkeitsfragen umfassen. Wie bisher sollen die Vorschläge des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung diese Ziele berücksichtigen und gleichzeitig die Ausfüllung des Kompetenzprofils für das Gesamtgremium anstreben. 

Neu und für die Unternehmen von praktischer Bedeutung ist aber vor allem, dass der Stand der Umsetzung in Form einer Qualifikationsmatrix in der Erklärung zur Unternehmensführung offengelegt werden soll (Empfehlung C.1 Satz 4 DCGK). Dieser Begriff war in der Konsultationsfassung des DCGK vom 21. Januar 2022 noch nicht enthalten und hat erst Eingang in die final verabschiedete Fassung des DCGK gefunden. 

Vor diesem Hintergrund wirft der vorliegende Beitrag einen Blick auf die derzeit bestehende Praxis der Unternehmen bei der Beschreibung der Aufsichtsratszusammensetzung und erörtert ausgewählte Einzelfragen im Hinblick auf die Erstellung der vom DCGK nun geforderten Qualifikationsmatrix.

I. ANFORDERUNGEN AN DIE AUFSICHTSRATSZUSAMMENSETZUNG UND DIE DIESBEZÜGLICHE BERICHTERSTATTUNG

Während für Unternehmen aus regulierten Industrien spezialgesetzlich zum Teil weitergehende Anforderungen an die Eignung der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder gestellt werden (vgl. etwa § 25d Abs. 1 Satz 1 KWG und § 24 Abs. 1 VAG), sind die Anforderungen an die Aufsichtsratsmitglieder bzw. an die Aufsichtsratszusammensetzung nach dem allgemeinen Aktienrecht in § 100 AktG vergleichsweise rudimentär geregelt. Insofern bestimmt § 100 Abs. 5 Halbsatz 2 AktG für Unternehmen von öffentlichem Interesse (vgl. § 316a Satz 2 HGB) lediglich, dass die Mitglieder des Gremiums in ihrer Gesamtheit mit dem Sektor, in dem die Gesellschaft tätig ist, vertraut sein müssen. Vor diesem Hintergrund ist es wenig verwunderlich, dass die Thematik der Aufsichtsratszusammensetzung – insbesondere mit Blick auf das Kompetenzprofil – seit einigen Jahren als ein Baustein des Themenkomplexes "Professionalisierung des Aufsichtsrats" in der Diskussion steht und insbesondere auch von Seiten der Investoren weitergehende Anforderungen gestellt werden. In diesem Sachzusammenhang hat der Gesetzgeber jüngst als Reaktion auf den Wirecard-Skandal mit dem Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (FISG) die Regelung zum Finanzexperten in § 100 Abs. 5 AktG dahingehend verschärft, dass mindestens ein Aufsichtsratsmitglied über Sachverstand auf dem Gebiet Rechnungslegung und mindestens ein weiteres Aufsichtsratsmitglied über Sachverstand auf dem Gebiet Abschlussprüfung verfügen muss, also zukünftig im Aufsichtsrat von Unternehmen von öffentlichem Interesse zwei Finanzexperten erforderlich sind.

Auch der DCGK greift die Thematik der fachlichen Qualifikation von Aufsichtsratsmitgliedern auf, indem er § 100 Abs. 5 Halbsatz 2 AktG folgend in Grundsatz 11 statuiert, dass der Aufsichtsrat so zusammenzusetzen ist, dass seine Mitglieder insgesamt über die zur ordnungsgemäßen Wahrnehmung der Aufgaben erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und fachlichen Erfahrungen verfügen. Mit dem neu eingefügten Satz 3 der Empfehlung C.1 erweitert der DCGK die Anforderungen an das Gesamtgremium nun zudem um die Forderung nach Expertise im Bereich Nachhaltigkeit. 

Mit der ebenfalls neu eingeführten Darstellungsform der Qualifikationsmatrix betritt der Kodex schon begrifflich Neuland. In der Sache wird man hierunter zunächst das Erfordernis einer tabellarischen Gegenüberstellung verstehen dürfen, bei der das Vorhandensein der vom Aufsichtsrat als erforderlich erachteten Kompetenzen bei den einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern "ausgehakt" wird. Die Regierungskommission scheint sich hierdurch eine erhöhte Übersichtlichkeit der Darstellung zu versprechen, wenngleich sie – was zu begrüßen ist – auf die Einführung von entsprechenden Mustertabellen, wie dies noch mit Blick auf die Muster zu Vergütungstabellen in der Anlage zur Kodexfassung vom 7. Februar 2017 der Fall war, verzichtet. 

Inhaltlich ist auf den ersten Blick fraglich, ob die Qualifikationsmatrix lediglich den Stand der Umsetzung des Kompetenzprofils – also der Abbildung der durch die Aufsichtsratsmitglieder in ihrer Gesamtheit abzudeckenden fachlichen, praktischen und persönlichen Kompetenzen – umfasst oder ob darüber hinaus auch der Stand der erarbeiteten Ziele für die Aufsichtsratszusammensetzung – der selbst gesetzten (Besetzungs-)Vorgaben des Aufsichtsrats – angegeben werden muss. Die Begründung der Regierungskommission zu den beschlossenen Änderungen vom 28. April 2022 (vgl. dort S. 6) stellt dann aber klar, dass die Empfehlung der Offenlegung in Form einer Qualifikationsmatrix lediglich die Umsetzung des Kompetenzprofils betrifft. Das wird man allerdings nicht so verstehen können, dass hierdurch die Notwendigkeit der Berichterstattung über den Stand der Zielerreichung entfällt. Vielmehr steht es dem Aufsichtsrat insoweit nur frei, weiterhin eine deskriptive Berichterstattung in Textform zu wählen. Umgekehrt spricht selbstverständlich nichts dagegen, (ausgewählte) Ziele auch in der Matrix darzustellen, da auf diese Weise ein schneller gesamthafter Überblick über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats ermöglicht wird.

II. AUSGESTALTUNG DER QUALIFIKATIONSMATRIX

Die neue Anforderung der Qualifikationsmatrix des DCGK gibt Anlass für einen Blick auf den Status Quo der Darstellung der Unternehmen in der Erklärung zur Unternehmensführung. Dabei ist bemerkenswert, dass sich einige Unternehmen bereits im Geschäftsjahr 2021 bei der Darstellung der Zusammensetzung des Aufsichtsrats – freiwillig – einer Qualifikationsmatrix bedient haben. Soweit ersichtlich haben insgesamt acht DAX-40-Unternehmen auf diese Darstellungsart zurückgegriffen. Ein einheitlicher Praxisstandard hat sich insofern allerdings (noch) nicht herausgebildet, was auch darauf zurückzuführen sein dürfte, dass die Unternehmen bezüglich der Art und Ausgestaltung der Darstellung bislang vollkommen frei waren. 

Insbesondere die Frage, welche Kriterien in die Matrix aufgenommen werden, wird bislang unterschiedlich gehandhabt. Einige Unternehmen beschränken die Angaben in der Matrix – insofern wohl den Vorstellungen der Regierungskommission DCGK entsprechend – auf den Stand der Umsetzung des Kompetenzprofils (so etwa die Bayer AG oder die Deutsche Börse AG). Das Kompetenzprofil als solches muss dabei jedenfalls die gesetzlichen Vorgaben und – wenn nicht eine Abweichung hiervon erklärt werden soll – die Empfehlungen des DCGK reflektieren. Aus der Qualifikationsmatrix muss sich daher zukünftig zunächst ergeben, welche Aufsichtsratsmitglieder über Kompetenzen in den Bereichen Rechnungslegung bzw. Abschlussprüfung verfügen. Eine Festlegung, für welches der beiden Gebiete ein Aufsichtsratsmitglied als "Experte" im Sinne des § 100 Abs. 5 AktG qualifiziert, muss aber dann nicht erfolgen, wenn bei zwei oder mehreren Aufsichtsratsmitgliedern eine Expertise in beiden Bereichen vorhanden ist. Nach den Anforderungen des DCGK muss zudem die Expertise im Bereich Nachhaltigkeit aus der Qualifikationsmatrix hervorgehen. Jenseits der gesetzlichen Vorgaben und der Empfehlungen des DCGK wird es von der Geschäftstätigkeit des jeweiligen Unternehmens abhängen, wie das Kompetenzprofil im Einzelnen ausgestaltet wird. Denkbar sind hierbei zum Beispiel Kompetenzen in den Bereichen Digitalisierung, Human Resources oder Naturwissenschaften (vgl. etwa die Kompetenzprofile der Bayer AG oder der Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft AG). 

Darüber hinaus haben andere Unternehmen ihre Matrix von vornherein weiter gefasst und neben dem Ausweis der bei den einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern vorhandenen Kompetenzen auch andere Ziele – wie etwa Diversität, Dauer der Gremienzugehörigkeit, "Overboarding" und Unabhängigkeit – in der Matrix aufgeführt (vgl. beispielsweise Allianz SE oder Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft AG).

Einen Sonderweg stellt das (bisherige) Vorgehen der BMW AG dar (vgl. zuletzt die Erklärung zur Unternehmensführung 2021). Das Unternehmen nutzt keine Qualifikationsmatrix im engeren Sinne, sondern stellt die einzelnen Aufsichtsratsmitglieder im Wege eines Kurzprofils mit Portrait und Angaben zu Mandaten und Dauer der Gremienzugehörigkeit kurz vor. Daneben finden sich in dem Kurzprofil unter der Rubrik "Kompetenzprofil" aber auch Angaben zu den Kompetenzanforderungen, die von den jeweiligen Mitgliedern erfüllt werden. Ein solches Vorgehen kommt dem Anliegen des DCGK in der Sache nahe, gewährleistet aber nicht die gleiche Übersichtlichkeit wie eine Qualifikationsmatrix.

Auch über die vorgenannten Aspekte hinaus lassen sich für die zukünftige Praxis einige interessante Erkenntnisse gewinnen. So werden bei einigen Gesellschaften (vgl. etwa Allianz SE, Deutsche Börse AG oder SAP SE) sowohl Kompetenzanforderungen für das Gesamtgremium als auch individuelle Kompetenzanforderungen statuiert, die jedes einzelne Aufsichtsratsmitglied erfüllen muss (vgl. etwa das Kompetenzprofil der Deutsche Börse AG, das als individuelle Qualifikation von jedem Aufsichtsratsmitglied Verständnis für kaufmännische Fragen und Kenntnis des Finanzdienstleistungssektors fordert, oder der SAP SE, das als persönliche Voraussetzung für jedes Aufsichtsratsmitglied u.a. Integrität und Sozialkompetenz aufzählt). Die Darstellung in der Qualifikationsmatrix beschränkt sich dann jedoch auf die Kompetenzanforderungen für das Gesamtgremium. Das ist folgerichtig, denn die Aufnahme von individuellen, von jedem Aufsichtsratsmitglied zu erfüllenden Anforderungen in die Qualifikationsmatrix würde deren Aussagegehalt lediglich verringern, da diese Anforderungen ja bei jedem einzelnen Aufsichtsratsmitglied "ausgehakt" sein müssten. 

Uneinheitlich ist bislang schließlich die Verortung der Qualifikationsmatrix. Bei dem Großteil der Unternehmen ist diese in die Darstellung der Aufsichtsratszusammensetzung innerhalb der Finanzberichterstattung integriert und bildet lediglich einen Teilbereich der Darstellung, der zusätzlich auch noch eine – im Detailgrad variierende – Beschreibung von Kompetenzprofil und selbst gesetzten Zielen sowie zum Stand der Zielerreichung enthält, die zumeist deskriptiv in Textform dargestellt werden. Die BASF SE und die Zalando SE stellen die ausführliche Qualifikationsmatrix hingegen als separates Dokument auf ihrer Internetseite zur Verfügung. Unter dem neuen Kodex-Regime ist die Qualifikationsmatrix jedenfalls in die Erklärung zur Unternehmensführung selbst aufzunehmen.

III. ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK

Mit der neu eingefügten Empfehlung zur Qualifikationsmatrix will der DCGK die Unternehmen dazu anhalten, den Stand der Umsetzung des vom Aufsichtsrat verabschiedeten Kompetenzprofils in einer übersichtlichen Art und Weise darzustellen. Mit Blick auf die Darstellung des Stands der Zielerreichung steht es den Unternehmen hingegen weiterhin frei, die diesbezügliche Umsetzung in Textform zu beschreiben. Insofern verbleibt den Unternehmen also, auch wenn sie keine Abweichung von der Empfehlung des DCGK erklären, Gestaltungsspielraum. 

Tendenziell dürfte es sich empfehlen, neben dem Ausweis der Kompetenzen der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder auch andere Ziele für die Zusammensetzung des Aufsichtsrats – wie etwa Diversität, Dauer der Gremienzugehörigkeit, "Overboarding" und Unabhängigkeit – in die Matrix aufzunehmen. Denn hierdurch würde ein gesamthafter Überblick erreicht und die Übersichtlichkeit der Darstellung erhöht. Zugleich ergibt sich auf diese Weise – als positiver Nebeneffekt – ggf. Kürzungspotential bei der deskriptiven Beschreibung in Textform. Insofern wird es spannend sein zu sehen, in welche Richtung sich die Darstellung der Unternehmen entwickelt und ob sich hier von selbst ein einheitlicher Standard herausbildet. Festgehalten werden kann jedenfalls, dass sich der Trend zu einer weiteren Ausdifferenzierung der Anforderungen an die Aufsichtsratszusammensetzung und die Berichterstattung hierüber fortsetzt. Insofern bleibt die Professionalisierung des Aufsichtsrats ein (Dauer-)Thema.

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Das Regime der virtuellen Hauptversammlung ab der Hauptversammlungssaison 2023

#GMW-Blog: Aktuelle Rechtsentwicklungen

Das Regime der virtuellen Hauptversammlung ab der Hauptversammlungssaison 2023

8. Juli 2022

Seit dem Frühjahr 2020 bildet das in Reaktion auf die COVID-19-Pandemie verabschiedete "Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohneigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie" (COVMG) die (vorläufige) Rechtsgrundlage für die Durchführung rein virtueller Hauptversammlungen. Aufgrund der überwiegend positiven Erfahrungen mit diesem Format hat der Gesetzgeber die virtuelle Hauptversammlung durch das "Gesetz zur Einführung virtueller Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften und zur Änderung weiterer Vorschriften" nunmehr dauerhaft im Aktiengesetz (AktG) verankert.

Dabei hat sich die konkrete Ausgestaltung der virtuellen Hauptversammlung nicht nur gegenüber dem Format unter dem Notregime des COVMG verändert. Auch die während des Gesetzgebungsverfahrens diskutierten Entwurfsfassungen unterscheiden sich zum Teil sogar konzeptionell. So enthielt der in den Bundestag eingebrachte Regierungsentwurf vom 27. April 2022 (BT-Drucks. 20/1738 vom 10. Mai 2022) gegenüber dem – von den Emittenten ganz überwiegend begrüßten – Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz aus Februar 2022 eine Vielzahl teils gravierender Änderungen, die davon geprägt waren, die Präsenzhauptversammlung quasi "eins zu eins" in die virtuelle Welt zu übertragen. Nach der nunmehr erfolgten Verabschiedung durch den Bundestag liegt die finale Gesetzesfassung vor, die auf der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses vom 6. Juli 2022 (BT-Drucks. 20/2653) beruht. Diese enthält wiederum einige zu begrüßende Änderungen und Klarstellungen, ohne dass sich allerdings die Hoffnungen der Emittenten erfüllt hätten, dass sich das zukünftige Hauptversammlungsregime wieder dem Konzept des Referentenentwurfs annähert. 

Gegenüber dem Regierungsentwurf sind insbesondere folgende Änderungen hervorzuheben:

  • Es bleibt dabei, dass – anders als nach dem Referentenentwurf – alle Anträge (und damit auch Gegenanträge) in der Hauptversammlung selbst gestellt werden können. Allerdings kann dies nur im Wege der Videokommunikationgeschehen, was auf eine Simulation der Präsenz-Hauptversammlung hinausläuft. 
  • Reichweite sowie Art und Weise der Beschränkung des (Nach-)Fragerechts wurden präzisiert. Sofern der Vorstand die Vorabeinreichung von Fragen zulässt, bleibt es jedoch dabei, dass die Antworten von der Gesellschaft vor der Versammlung beantwortet und die Antworten bei börsennotierten Gesellschaften auf der Internetseite der Gesellschaft veröffentlicht werden müssen.
  • Sofern die Ausübung des Rede- und Fragerechts – wie in der Präsenz-Hauptversammlung – nur in der Versammlung selbst erfolgen kann, ist die Einrichtung eines "virtuellen Meldetisches" erforderlich, was insbesondere bei großen Gesellschaften im Falle eines hohen Redneraufkommens mit technischen und auch rechtlichen Herausforderungen verbunden sein kann. 
  • Eine Vorabveröffentlichung des Vorstandsberichts oder dessen wesentlichen Inhalts muss nur dann erfolgen, wenn der Vorstand die Vorabeinreichung der Aktionärsfragen vorsieht. Die Veröffentlichung des Berichts ist somit keine zwingende Bedingung für die Abhaltung einer virtuellen Hauptversammlung.
  • Die Gesellschaft kann sich in der Einberufung vorbehalten, die Funktionsfähigkeit der Videokommunikation zwischen Aktionär und Gesellschaft in der Versammlung und vor dem Redebeitrag zu überprüfen und diesen zurückzuweisen, sofern die Funktionsfähigkeit nicht sichergestellt ist.

Vor diesem Hintergrund vergleicht die Synopse ausgewählte Regelungsaspekte von Referentenentwurf, Regierungsentwurf und finaler Gesetzesfassung und gibt erste Hinweise für die praktische Handhabung des neuen Regimes.

(Synopse durch Klick auf Abbildung aufrufbar)

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