Videobotschaften von Aktionären im Rahmen der virtuellen Hauptversammlung

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Video­botschaf­ten von Ak­tionären 
im Rah­men der virtuellen Haupt­versammlung

27. November 2020

Auch die Hauptversammlungssaison 2020 war geprägt von den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie. Die vom Gesetzgeber im Rahmen einer Notfallgesetzgebung in kürzester Zeit geschaffene Möglichkeit einer virtuellen Hauptversammlung hat sich als Kriseninstrument bewährt; zuletzt wurde aber auch vermehrt Kritik an der unzureichenden Einbindung der Aktionäre laut. Aufgrund der anhaltenden Pandemie wurde das Notfallregime kürzlich bis Ende 2021 verlängert. Die virtuelle Hauptversammlung geht also in die zweite Runde. Vor diesem Hintergrund beleuchtet der folgende Beitrag die freiwillige Berücksichtigung von Aktionärsstellungnahmen im Rahmen der virtuellen Hauptversammlung und berichtet von ersten diesbezüglichen Erfahrungen aus der Praxis.

In der abgelaufenen Hauptversammlungssaison wurden Aktionärsstellungnahmen im Rahmen der virtuellen Hauptversammlung nur sehr vereinzelt zugelassen. So hat etwa die Deutsche Bank AG ihren Aktionären ermöglicht, im Vorfeld der Hauptversammlung Stellungnahmen in Textform einzureichen, die dann auf der Internetseite der Gesellschaft zugänglich gemacht wurden, und die Vonovia SE hat während der virtuellen Hauptversammlung Videobotschaften von ausgewählten Aktionären bzw. Aktionärsvereinigungen eingespielt. Zuletzt hat dann die GEA Group Aktiengesellschaft als erstes von den im DAX oder MDAX vertretenen Unternehmen ihren Aktionären die Möglichkeit eröffnet, im Vorfeld der Hauptversammlung Stellungnahmen sowohl in Textform als auch in der Form von Videobotschaften einzureichen, die dann auf der Internetseite zugänglich waren bzw. im Fall von Videobotschaften auch während der Versammlung eingespielt worden sind.

Schon in Anbetracht des Gleichbehandlungsgrundsatzes gemäß § 53a AktG sollte die Einberufung die Möglichkeit zur Einreichung von Stellungnahmen und das diesbezügliche Verfahren für alle Aktionäre der Gesellschaft hinreichend klar beschreiben. Vor diesem Hintergrund gibt der vorliegende Beitrag – nach einem kurzen Überblick über den Rechtsrahmen – praktische Empfehlungen zur freiwilligen Einbeziehung von Aktionärsstellungnahmen in die virtuelle Hauptversammlung.

Rechtlicher Rahmen

Das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht vom 27. März 2020 (COVID-Folgenabmilderungsgesetz), das den rechtlichen Rahmen für die virtuelle Hauptversammlung schafft, enthält lediglich Mindestvorgaben für die Abhaltung einer virtuellen Hauptversammlung und die den Aktionären in diesem Rahmen zu gewährenden Rechte. Hiernach steht den Aktionären im Rahmen der virtuellen Hauptversammlung kein Auskunftsrecht nach dem Maßstab des § 131 AktG zu, sondern lediglich ein diesem gegenüber deutlich reduziertes Fragerecht. Der Vorstand entscheidet nach pflichtgemäßem, freiem Ermessen, welche Fragen er wie beantwortet, und kann dabei insbesondere auch zusammenfassen und im Interesse der anderen Aktionäre sinnvolle Fragen auswählen sowie Aktionärsvereinigungen und Institutionelle Investoren mit bedeutenden Stimmanteilen bevorzugen. Hinzu kommt, dass in der Hauptversammlungssaison 2020 nahezu alle im DAX und MDAX vertretenen Gesellschaften die virtuellen Hauptversammlungen nur mit Briefwahl und Vollmachtsstimmrecht (und nicht mit echter Online-Teilnahme) durchgeführt haben, so dass sich die Aktionäre in der Versammlung auch nicht zu Wort melden oder Anträge stellen konnten.

Eine Regelung bzgl. des Rederechts der Aktionäre enthalten die Mindestvorgaben des COVID-Folgenabmilderungsgesetzes nicht. Die Wiedergabe von Stellungnahmen der Aktionäre durch die Gesellschaft oder die Veröffentlichung von Videobotschaften vor oder während der virtuellen Hauptversammlung stellt allerdings ein Minus gegenüber dem Rederecht der Aktionäre dar, das diesen im Rahmen einer Präsenzversammlung ohne Weiteres zusteht. Daher bestehen gegenüber der freiwilligen Zulassung von Aktionärsstellungnahmen keine grundsätzlichen Bedenken. Der Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß § 53a AktG ist allerdings – wie oben erwähnt – zu beachten und erfordert eine transparente Darstellung in der Einberufung.

Ausgestaltung und Beschreibung der Stellungnahmemöglichkeit in der Einberufung

Mit Blick auf die Beschreibung der Stellungnahmemöglichkeit und deren Wahrnehmung sollte die Einberufung zunächst die zulässigen Formen der Stellungnahmen festlegen, wobei sich unter praktischen Gesichtspunkten die Zulassung von Stellungnahmen in Textform und in der Form von Videobotschaften anbieten. Zudem sollte die Einberufung genau festlegen, bis zu welchem Zeitpunkt Stellungnahmen bei der Gesellschaft eingereicht werden können. Insofern erscheint es sinnvoll, jedenfalls die im COVID-Folgenabmilderungsgesetz für die Einreichung von Fragen genannte Frist von zwei Tagen vor der Hauptversammlung aufzunehmen, damit ausreichend Zeit für die Sichtung der eingereichten Stellungnahmen zur Verfügung steht. Wenn die Gesellschaft – wie dies vermehrt praktiziert worden ist – schon vor diesem Zeitpunkt die Rede des Vorstandsvorsitzenden im Internet veröffentlicht, haben die Aktionäre gleichwohl – wie in der Präsenz-Hauptversammlung – die Möglichkeit, hierauf zu reagieren.

Schließlich sollte das Verfahren der Einreichung erläutert werden, wobei auch auf die Internetseite der Gesellschaft verwiesen werden kann. Mit Blick auf den Inhalt der Stellungnahmen empfiehlt es sich, einen Bezug zur Tagesordnung zu fordern, um die Veröffentlichung von Stellungnahmen, die einen solchen Bezug nicht aufweisen, mit dieser Begründung ablehnen zu können. Außerdem sollte der Umfang der Stellungnahmen auf ein angemessenes Maß begrenzt werden, um – in Anlehnung an § 126 Abs. 2 Satz 2 AktG – die Veröffentlichung überlanger Beiträge ablehnen zu können. Eine Dauer von mehr als zwei Minuten dürfte sich nicht empfehlen, da bei großen Gesellschaften im Falle der Zusendung zahlreicher Videobotschaften ansonsten die Gefahr besteht, dass die "Generaldebatte" durch langatmige Beiträge erlahmt.

In Bezug auf den Umgang der Gesellschaft mit den eingehenden Stellungnahmen der Aktionäre ist zunächst die Form der vorgesehenen Veröffentlichung zu erläutern. Dabei bietet es sich an, sowohl Stellungnahmen in Textform als auch solche in der Form einer Videobotschaft bereits im Vorfeld der Versammlung auf der Internetseite der Gesellschaft zugänglich zu machen. Darüber hinaus liegt der Mehrwert von Videobotschaften gerade darin, dass sie während der Versammlung eingespielt werden und damit einen Eindruck vermitteln können, der nah an dem eines Redebeitrags in einer Präsenzversammlung liegt. Auf der anderen Seite sollte in der Einberufung auch der ausdrückliche Hinweis enthalten sein, dass kein Rechtsanspruch der Aktionäre auf die Veröffentlichung einer eingereichten Stellungnahme besteht. Denn – wie bei der Vorabeinreichung von Fragen – kann nicht ausgeschlossen werden, dass bei der Gesellschaft eine Flut von Stellungnahmen eingeht, die dann praktisch nicht beherrschbar sein wird. Zudem sollte die Einberufung einen speziellen, nicht abschließenden Vorbehalt enthalten, bestimmte Stellungnahmen nicht zu veröffentlichen. Dies betrifft etwa Stellungnahmen mit beleidigendem oder strafrechtlich relevantem Inhalt oder solche, die den vorgegebenen Umfang überschreiten oder nicht rechtzeitig bei der Gesellschaft eingereicht wurden. 

Neben den Hinweisen zum Umgang mit eingehenden Stellungnahmen empfiehlt es sich, in der Einberufung letztlich noch klarzustellen, dass Fragen der Aktionäre ausschließlich auf dem dafür gesondert vorgesehenen Weg einzureichen sind. Insofern sollte ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass Fragen, die nur in einer Stellungnahme enthalten sind und nicht auch auf dem dafür vorgesehenen Weg eingereicht wurden, von der Gesellschaft nicht beantwortet werden. Gleiches gilt für etwaige Anträge, sofern die Gesellschaft nach §§ 126, 127 AktG ordnungsgemäß zugegangene Gegenanträge und Wahlvorschläge über die sog. Fiktionslösung als in der Hauptversammlung gestellt behandelt. 

Fazit

Die Veröffentlichung von Aktionärsstellungnahmen, insbesondere in der Form von Videobotschaften, erscheint als ein geeignetes Mittel, um die Aktionäre über die Mindestvorgaben des COVID-Folgenabmilderungsgesetzes hinaus an der Hauptversammlung zu beteiligen. Speziell Videobotschaften vermögen einen Eindruck zu vermitteln, der nah an dem eines Redebeitrags in der Präsenzversammlung liegt, und können zudem dazu beitragen, die virtuelle Hauptversammlung etwas lebendiger zu gestalten. Sofern die Einberufung konkrete Vorgaben für die Einreichung der Aktionärsstellungnahmen macht, scheint der Umgang mit diesen für die Gesellschaften auch gut beherrschbar.

Insofern ist nach der zuletzt vermehrt geübten Kritik an der unzureichenden Einbindung der Aktionäre im Rahmen der virtuellen Hauptversammlung zu erwarten, dass den Aktionären in der nun anstehenden zweiten virtuellen Hauptversammlungssaison deutlich häufiger die Möglichkeit gegeben werden wird, sich in den Versammlungen mittels Videobotschaften o.ä. einzubringen. Zugleich wird es spannend sein zu sehen, wie die Aktionäre die Möglichkeit zur Einreichung von Stellungnahmen in der Breite annehmen werden. 

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Update: Modernisierung des Personengesellschaftsrechts

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#Update: Mo­derni­sierung des Per­sonen­gesell­schafts­rechts

25. November 2020

Nachdem die Expertenkommission des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) im April 2020 den Gesetzesentwurf zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (vgl. Blogbeitrag 15. Mai 2020) vorgelegt hatte, ist nun am 19. November 2020 der Referentenentwurf für das Gesetz veröffentlicht worden. Ziel des Modernisierungsvorhabens ist, das Recht der Personengesellschaften zu konsolidieren und die geltenden Vorschriften an die Bedürfnisse der Praxis anzupassen. Bereits der Entwurf der Expertenkommission war aufgrund der hohen praktischen Relevanz des Vorhabens aber auch wegen der erheblichen Reichweite des Reformvorstoßes mit großem öffentlichem Interesse begleitet worden. Die bis Ende Juli 2020 veröffentlichten Stellungnahmen der Wirtschaftsverbände begrüßten die geplanten Änderungen grundsätzlich, wenngleich einige Punkte eine nicht unerhebliche Kritik erfahren haben. 

Der folgende Beitrag soll einen ersten kurzen Überblick zu den geplanten Neuerungen im Personengesellschaftsrecht geben und zugleich untersuchen, wie der Referentenentwurf auf zwei der Hauptkritikpunkte an dem Expertenentwurf – namentlich die Kodifizierung des Beschlussmängelrechts für Personengesellschaften und die Einführung eines sog. Gesellschaftsregisters für GbR – reagiert. Die eher dogmatische Diskussion um eine Anpassung des Kaufmannsbegriffs soll an dieser Stelle hingegen nicht vertieft werden.

I. Die geplanten Änderungen im Personengesellschaftsrecht

Der 350-seitige Gesetzesentwurf beinhaltet sowohl grundlegende als auch rein redaktionelle Änderungen in über 40 Gesetzen. Dabei unterliegt das Gesetzgebungsvorhaben einem recht straffen Zeitplan, da es noch bis zum Ende der Legislaturperiode verabschiedet werden soll. Dies ist nicht zuletzt einer der Gründe, warum sich bereits die Expertenkommission gegen eine Totalreform des Personengesellschaftsrecht (sog. Große Lösung) und für eine (punktuelle) Anpassung der bestehenden Regelungen entschieden hat. 

Leitbild des Modernisierungsvorhabens ist eine auf Dauer angelegte Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), die am Rechtsverkehr teilnimmt und mit eigenen Rechten und Pflichten ausgestattet ist. Um der Vielfalt möglicher Gesellschaftszwecke weiterhin Rechnung tragen zu können, werden die Regelungen größtenteils dispositiv ausgestaltet, sodass abweichende Regelungen im Gesellschaftsvertrag regelmäßig möglich bleiben. 

Zwei der wesentlichen Neuerungen sind die Einführung eines sog. Gesellschaftsregisters und die Einführung eines Beschlussmängelrechts im HGB.

1. Die Register-GbR

Die Einführung eines GbR-Registers erfüllt die seit langer Zeit gestellte Forderung, für die GbR eine Registerpublizität und damit eine deutlich erhöhte Transparenz für den Rechtsverkehr zu implementieren. Nach dem Vorbild des Handelsregisters besteht zukünftig auch für eine GbR nunmehr die Möglichkeit einer – zunächst – freiwilligen Registrierung. So ist die Rechtsfähigkeit einer GbR auch künftig nicht an die Registrierung geknüpft. Lediglich für solche GbR, die als Grundstücksberechtigte im Grundbuch auftreten, soll ein Voreintragungserfordernis aufgestellt werden. Für bereits bestehende Grundstücks-GbR bedeutet dies, dass spätestens im Zeitpunkt der Weiterveräußerung eines im Eigentum einer GbR stehenden Grundstücks eine Registrierung erforderlich sein wird. 

Neben der deutlich erhöhten Rechtssicherheit im Grundstücksverkehr entfällt durch dieses Voreintragungserfordernis beim Grundstückserwerb zugleich die derzeit komplizierte Regelungstechnik für Eintragungen der GbR im Grundbuch. Bisher wurde eine Vermutung bezüglich der Existenz der Gesellschaft und den Umfang ihres Gesellschafterkreises dadurch begründet, dass die Gesellschafter selbst im Grundbuch eingetragen werden müssen. Die Eintragung der Gesellschafter erübrigt sich künftig durch einen Blick in das Gesellschaftsregister.

Die Ausstattung des Registers mit öffentlichem Glauben sowie das Aufstellen der unwiderleglichen Vermutung für die Existenz einer eingetragenen GbR führen aber auch außerhalb des Immobiliarsachenrechts zu dem positiven Effekt, dass eingetragene Umstände leicht ermittelt und rechtssicher nachgewiesen werden können. Es dürfte in Anbetracht der nicht von der Hand zu weisenden Vorteile der Registerpublizität für den Rechtsverkehr zu erwarten sein, dass – potentielle – Vertragspartner zukünftig eine Registrierung verlangen werden. Durch das Element der Freiwilligkeit in Kombination mit den gleichzeitig geschaffenen gesetzlichen Anreizen wird zudem die notwendige Differenzierung zwischen kleineren Gelegenheits-GbR und in wirtschaftlich erheblichem Umfang tätigen GbR erreicht.

2. Die Kodifizierung des Beschlussmängelrechts

Die zweite wesentliche Neuerung ist die Kodifizierung des Beschlussmängelrechts für die offene Handelsgesellschaft (OHG) sowie die Kommanditgesellschaft (KG). In Anlehnung an das aktienrechtliche Beschlussmängelrecht soll künftig eine Differenzierung zwischen solchen Mängeln bestehen, die bereits aus sich heraus zur Nichtigkeit führen, und solchen, die erst durch eine befristete Anfechtungsklage vernichtet werden müssen (sog. Anfechtungsmodell). Im Gegensatz dazu führen nach der bisherige Rechtslage Beschlussmängel unterschiedslos zur Nichtigkeit des Gesellschaftsbeschlusses. Sie können im Wege der Feststellungsklage, die gegen die übrigen Gesellschafter zu richten ist, geltend gemacht werden (sog. Feststellungsmodell). 

Künftig müssen Beschlussmängel binnen einer Frist von drei Monaten gerichtlich angefochten werden. Durch die Abkehr vom Feststellungsmodell soll der derzeit notwendigen Praxis entgegengewirkt werden, von der gesetzlichen Regelung abweichende gesellschaftsvertragliche Vereinbarungen bezüglich etwaiger Beschlussmängel treffen zu müssen. Gleichwohl sollen die Vorschriften dispositiv sein – den Gesellschaftern steht es insoweit frei, im Gesellschaftsvertrag Abweichendes zu vereinbaren (sog. "opt-out"-Mechanismus). 

II. EIN KURZER VERGLEICH ZUM ENTWURF DER EXPERTENKOMMISSION

Der Referentenentwurf greift großteils das Vorhaben des Entwurfs der Expertenkommission auf, wenngleich an einigen Stellen in anderer Gestalt. So wurde das Gesellschaftsregister unverändert übernommen, die Reform des personengesellschaftsrechtlichen Beschlussmängelrechts hingegen auf die OHG sowie die KG begrenzt. Für die GbR soll es hingegen beim "Alten" bleiben. Dies dürfte eine Reaktion auf die vielfach geäußerte Kritik an der Umsetzung der geplanten Neuregelungen und des vermeintlich erzeugten "Klagezwangs" im Anfechtungsmodell darstellen. 

Der Kernpunkt der Kritik am Entwurf der Expertenkommission war insbesondere die fehlende Differenzierung zwischen den strukturell äußerst verschiedenen Gelegenheits-GbR einerseits und in wirtschaftlich beträchtlichem Umfang tätigen Publikums(kommandit)gesellschaften andererseits. Die umfassende Einführung des Anfechtungsmodells im BGB hätte – aufgrund des vermeintlichen Klagezwangs – gerade für Gelegenheitsgesellschaften einen erheblichen Mehraufwand und Regelungsbedarf bedeutet. Da gerade Kleinst-Gesellschaften, die vielfach gar nicht über einen verschrifteten Gesellschaftsvertrag verfügen, aus dem Anfechtungsmodell hätten ausoptieren müssen. 

Allerdings überzeugt auch der nunmehr eingeschlagene Weg, der zu einer Differenzierung zwischen dem Recht der GbR und der anderen Personengesellschaften führt, nicht. Denn gerade diese Unterscheidung zwischen den einzelnen Personengesellschaften erhöht die Komplexität, zumal auch nicht immer trennscharf zwischen der Rechtsform der GbR und der OHG abgegrenzt werden kann.

Es bleibt somit abzuwarten, ob der Entwurf in dieser Form auch Gesetz werden wird. Wir halten Sie hierüber selbstverständlich auf dem Laufenden.

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Referentenentwurf zur Stärkung der Finanzmarktintegrität

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Referen­ten­ent­wurf zur Stär­kung der Finanz­markt­inte­grität

17. November 2020

Ende Oktober 2020 wurde ein erster Referentenentwurf für ein Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität veröffentlicht. Er zielt auf die dauerhafte Stärkung des Vertrauens in den deutschen Finanzmarkt ab und sieht – nicht unumstrittene – Gesetzesänderungen in den Bereichen Abschlussprüfungen, Corporate Governance von Unternehmen und der Bilanzkontrolle vor. In welchem Umfang diese Änderungen tatsächlich später beschlossen werden, ist derzeit allerdings noch nicht absehbar.

Hintergrund

Anfang Oktober 2020 haben das Bundesministerium der Finanzen (BMF) und das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) einen Aktionsplan zur Bekämpfung von Bilanzbetrug und zur Stärkung der Kontrolle über Kapital- und Finanzmärkte verabschiedet, um das Vertrauen in den Finanzplatz Deutschland und dessen Funktionsfähigkeit zu stärken. Ziel ist es, u.a. ein Gesetz auf den Weg zu bringen, welches das Bilanzkontrollverfahren grundlegend reformieren soll. Wenige Wochen später, am 26. Oktober 2020, veröffentlichten die beiden Ministerien dann einen ersten Referentenentwurf für ein Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (Finanzmarkintegritätsstärkungsgesetz – FISG).

Kern des Gesetzes ist insbesondere die Stärkung der Bilanzkontrolle und der Abschlussprüfung, um die Richtigkeit der Rechnungslegung von Unternehmen sicherzustellen. Dazu sollen u.a. die bereits bestehenden Regeln der Abschlussprüfung verschärft und die Aufsichtsstrukturen der BaFin verbessert werden. Daneben befasst sich der Referentenentwurf mit weiteren angrenzenden Rechtsgebieten wie beispielsweise dem Gesellschaftsrecht, um die Corporate Governance der zu prüfenden Gesellschaften zu verbessern.

In diesem Beitrag geben wir einen kurzen Überblick über die wesentlichen Regelungen des FISG in der Fassung des RefE vom 26. Oktober 2020.

Ausgewählte Aspekte des FISG

Das FISG sieht für verschiedene Gesetze inhaltliche Änderungen vor. Der Schwerpunkt der Neuerungen liegt in den Bereichen der Abschlussprüfungen, der Corporate Governance und der Bilanzkontrolle.

Regelungsbereich Abschlussprüfungen

Im Bereich der Abschlussprüfungen sind insbesondere die Verschärfung der Rotationspflicht, die Trennung von Prüfungs- und Beratungsleistungen sowie die Verschärfung der zivilrechtlichen Haftung des Abschlussprüfers gegenüber dem geprüften Unternehmen vorgesehen. Im Einzelnen:

  • Begrenzung der Höchstlaufzeit von Prüfmandaten auf zehn Jahre für Unternehmen von öffentlichem Interesse, vgl. § 316a Satz 2 HGB-E (Unternehmen von öffentlichem Interesse in diesem Sinne sind (i) Unternehmen, die kapitalmarktorientiert i.S.d. § 264d HGB sind, (ii) CRR-Kreditinstitute i.S.d. § 1 Abs. 3d Satz 1 KWG und (iii) Versicherungsunternehmen)
  • Steuerberatungs- und Bewertungsleistungen dürfen vom Abschlussprüfer nicht mehr neben der Abschlussprüfung erbracht werden (vgl. die ersatzlose Streichung von § 319a HGB)
    Die ersten beiden Punkte sollen ausweislich der Gesetzesbegründung "die Unabhängigkeit der Abschlussprüfer" stärken, vgl. RefE v. 26.10.2020 S. 54.
  • Unbegrenzte zivilrechtliche Haftung des Abschlussprüfers schon bei grober Fahrlässigkeit (statt nur bei Vorsatz) sowie Anhebung der Haftungsgrenze bei einfacher Fahrlässigkeit von vier auf 20 Mio. Euro pro Prüfung (vgl. § 323 Abs. 2 HGB-E)
    Diese Neuregelung soll laut Gesetzesbegründung "die Qualität der Abschlussprüfung fördern", indem "notwendige Anreize zu einer sorgfältigen und gewissenhaften Prüfung der Rechnungslegungsunterlagen" gesetzt werden, vgl. RefE v. 26.10.2020 S. 1 und 55.
  • Verschärfung des Strafmaßes für Bilanzfälschung, falschen Bilanzeid und die Ausstellung eines falschen Bestätigungsvermerks (vgl. §§ 331 ff. HGB-E) sowie Erweiterung der Bußgeldvorschriften in § 334 HGB
    Nach der Gesetzesbegründung soll durch die Anpassungen im Bilanzstrafrecht "eine ausreichend abschreckende Ahndung" der Unternehmensverantwortlichen und der Abschlussprüfer ermöglicht werden, vgl. RefE v. 26.10.2020 S. 55.

Regelungsbereich Corporate Governance

Im Zusammenhang mit der Corporate Governance der zu prüfenden Unternehmen steht die Stärkung der unternehmensinternen Prüfverfahren sowie der Kontroll- und Überwachungsprozesse im Fokus. Folgende Regelungen sind konkret vorgesehen:

  • Verpflichtung zur Einrichtung eines im Hinblick auf den Umfang der Geschäftstätigkeit und die Risikolage des Unternehmens angemessenen und wirksamen internen Kontrollsystems und Risikomanagementsystems für börsennotierte Unternehmen (vgl. § 93 Abs. 1a AktG-E)
  • Zwingende Einrichtung eines Prüfungsausschusses zur Überwachung der Unabhängigkeit und Qualität der Abschlussprüfung für Unternehmen von öffentlichem Interesse im Sinne von § 316 Satz 2 HGB-E sowie Beurteilung der Qualität der Abschlussprüfung als neuer Pflichtauftrag des Prüfungsausschusses (§ 107 Abs. 3 S. 3 und Abs. 4 AktG-E)
  • Auskunftsrecht des Prüfungsausschusses gegenüber dem Leiter der internen Kontrolle, dem Leiter des Risikomanagements und dem Leiter der Internen Revision (§ 107 Abs. 4 AktG-E bzw. § 34 Abs. 5 SE-Ausführungsgesetz)
    "Mit dieser Regelung, die sich ausdrücklich auf Gesellschaften mit verpflichtendem Prüfungsausschuss beschränkt, ist indes keine Abkehr von der Grundentscheidung des Aktiengesetzes (vergleiche § 90 Absatz 1 AktG) verbunden, dass der Vorstand grundsätzlich der richtige Adressat für ein Auskunftsverlangen des Aufsichtsrates ist", vgl. RefE v. 26.10.2020 S. 117. Die Regelung hat demnach Ausnahmecharakter wie zum Beispiel auch § 25d Abs. 8 Satz 7 KWG für Kreditinstitute.
  • Im Aufsichtsrat und im Prüfungsausschuss muss mindestens ein Mitglied über Sachverstand auf dem Gebiet der Rechnungslegung und mindestens ein Mitglied auf dem Gebiet der Abschlussprüfung verfügen (vgl. § 107 Abs. 4 Satz 2 AktG-E in Verbindung mit § 100 Abs. 5 AktG). Die Sachkunde kann auch kumulativ durch ein Mitglied vorhanden sein
    Die neu einzuführenden Pflichten sollen laut der Gesetzesbegründung dazu führen, dass "die unternehmensinternen Kontrollsysteme gestärkt und die Verantwortungsstrukturen verbessert" werden, vgl. RefE v. 26.10.2020 S. 55.

Sonstige Regelungsbereiche

Bezüglich der sonstigen Regelungsbereiche sind insbesondere die Vorschläge für die Bilanzkontrolle zu erwähnen, die nachfolgend zusammengefasst werden:

  • Zuständigkeit der BaFin für Anlassprüfungen sowie Erweiterung ihrer Kompetenzen, z.B. Auskunfts- und Ladungsrechte sowie Durchsuchungs- und Beschlagnahmerechte, darüber hinaus auch das Recht zum Naming and Shaming (vgl. § 107 WpHG-E)
    Hintergrund dieser Regelungen ist ausweislich der Gesetzesbegründung, dass "der BaFin die Kontrolle über das Prüfungsgeschehen" ermöglicht wird. Das Gesetz stelle sicher, "dass in allen Prüfungsphasen hoheitliche Mittel zur Verfügung stehen. So werden Bilanzkontrollen insgesamt schneller, transparenter und effektiver", vgl. RefE v. 26.10.2020 S. 1.
  • Eine Prüfstelle kann für Stichprobenprüfungen eingesetzt werden, hat aber künftig mehr Pflichten gegenüber der BaFin (§§ 107a Abs. 3 und 4, 108 WpHG-E)
  • BaFin soll künftig Verfahren der Prüfstelle an sich ziehen können (§ 108 Abs. 4 WpHG-E)
  • Unrichtige Auskunftserteilung gegenüber der Prüfstelle kann Geldbuße in Höhe von bis zu EUR 100.000 nach sich ziehen (§ 120 Abs. 2 Nr.  14a und Abs. 24 WpHG-E)

Fazit und Ausblick

Der von BMF und BMJV vorgelegte Referentenentwurf zum FISG bringt erhebliche Änderungen im Bereich der Abschlussprüfungen mit sich. Davon sind in erster Linie die Wirtschaftsprüfer betroffen. Im Rahmen der Konsultationsphase, die vor wenigen Tagen endete, wurde seitens der Wirtschaftsprüferkammer und vom Institut für Wirtschaftsprüfer erhebliche Kritik an den Vorschlägen geäußert. Die Regelungen seien zu weitgehend und würden letztlich dem Finanzplatz Deutschland Schaden zufügen. Insbesondere die Verschärfung der Haftung der Wirtschaftsprüfer (Erhöhung der Haftungsgrenze, Haftung bei grober Fahrlässigkeit etc.) sei unangemessen. Sie wirke sich zulasten der kleinen und mittelständigen Wirtschaftsprüfer aus und verstärke das derzeit bestehende Oligopol.

Grundsätzlich positiv bewertet werden hingegen die Regelungen zur Stärkung der Corporate Governance (Errichtung eines internen Kontroll- und Risikomanagementsystems, verpflichtende Errichtung eines Prüfungsausschusses im Aufsichtsrat zur Überwachung der Unabhängigkeit und Qualität der Abschlussprüfung usw.), die allerdings die zu prüfenden Gesellschaften und nicht die Wirtschaftsprüfer treffen.

Es bleibt abzuwarten, wie auf Gesetzgebungsebene mit der Kritik der Wirtschaftsprüferverbände umgegangen und welche Änderungen und Anpassungen das Gesetz letztlich noch erfahren wird. Ohnehin werden die Gesetzesänderungen des FISG aufgrund von Übergangsvorschriften frühestens ab 2022 gelten.

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Immer wieder Amazon – Jetzt im Fokus: „Brandgating“ – Schwellen für Einstweilige Verfügungen im zivilen Eilrechtsschutz

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IMMER WIEDER AMAZON – JETZT IM FOKUS: "BRAND­GATING" – SCHWEL­LEN FÜR EINST­WEILIGE VER­FÜGUNGEN IM ZI­VILEN EIL­RECHTS­SCHUTZ 

12. November 2020

Das Bundeskartellamt ermittelt wieder gegen Amazon. Gegenstand des Verfahrens ist das sog. "Brandgating", wonach Amazon Markenherstellern, wie im konkreten Fall Apple, die Möglichkeit bietet, nicht autorisierte Händler vom Verkauf ihrer Produkte über den Amazon-Marketplace auszuschließen. Voraussetzung ist, dass Amazon selbst als autorisierter Händler zugelassen wird. Wie ein erst spät veröffentlichtes Urteil des Landgerichts Frankfurt a.M. aus dem Februar 2019 zeigt, geht das Verfahren gegen Amazon auf einen mittelständischen Marketplace-Händler zurück. Trotz kaufmännischer Abhängigkeit hat er es "gewagt", die Aufhebung der Sperrung seiner Angebote auf dem Marketplace im einstweiligen Verfügungsverfahren gegen Amazon durchzusetzen. Mit Erfolg: Das Landgericht Frankfurt a.M. untersagte Amazon einstweilig die Löschung der Apple-Angebote des Händlers. Zivilrechtsschutz kann also trotz aller Sorge vor der Reaktion eines übermächtigen Gegners, wie hier Amazon, und den üblichen Prozessrisiken ein sehr effizientes Mittel sein, zumal angesichts der üblichen Dauer der Verfahren der Kartellbehörden (das in Sachen Brandgating nun erst beginnt). Das Urteil des Landgerichts Frankfurt a.M. veranschaulicht dies: Zentrale Tat- und Rechtsfragen wurden pragmatisch gelöst. Vor allem wurden bei der wesentlichen Hürde einstweiliger Verfügungen, dem Verfügungsgrund, keine überspannten Anforderungen gestellt. 

I. BRANDGATING UND DAS VERFAHREN DES BUNDESKARTELLAMTS

Beim Brandgating handelt es sich um eine Beschränkung des Verkaufs von Markenartikeln durch Dritthändler auf dem Amazon-Marketplace. Amazon bietet Markenherstellern mit dem Brandgating die Möglichkeit, Dritthändler vom Verkauf ihrer Produkte über den deutschen Amazon-Marketplace auszuschließen, wenn sie Amazon als Händler zulassen. Nach Aussage des Präsidenten des Bundeskartellamts, Andreas Mundt, ist dabei zwischen zwei Varianten zu unterscheiden: Bei einigen Marken würden pauschal alle Händler mit Ausnahme von Amazon selbst und dem jeweiligen Markenhersteller ausgeschlossen. Bei anderen Marken beziehe sich der Ausschluss nur auf bestimmte (nicht autorisierte) Dritthändler wie im Fall Apple. So war seit Anfang 2019 der Verkauf der Apple-Produkte auf dem deutschen Amazon-Marketplace nur noch autorisierten Apple-Händlern und Amazon erlaubt.

Infolge der besonderen wirtschaftlichen Bedeutung des Amazon-Marketplace und der Doppelrolle von Amazon als Einzelhändler auf der einen und Marktplatzbetreiber auf der anderen Seite sieht das Bundeskartellamt in Brandgating-Abreden einen möglichen Verstoß gegen das Kartellrecht. Das Landgericht Frankfurt a.M. hat im Rahmen seiner summarischen Prüfung einen klaren Verstoß gegen das Missbrauchsverbot festgestellt, weil die Händler durch die Sperrung ihrer Produkte behindert wurden (s. sogleich im Detail). Das Bundeskartellamt wird sich insoweit grundlegender mit der Frage beschäftigen müssen, welche kartellrechtlichen Schranken aus der gleichzeitigen Tätigkeit als marktbeherrschender Betreiber des Marketplace für die Tätigkeit von Amazon als Einzelhändler und umgekehrt folgen. Darf Amazon sich als Einzelhändler um Aufnahme in ein selektives Vertriebssystem bemühen, wenn dies mit der Verpflichtung einhergeht, gezielt gegen nicht autorisierte Händler auf dem Amazon-Marketplace vorzugehen? Kann die Rechtmäßigkeit des Vertriebssystems eines Markenherstellers entsprechende Umsetzungsmaßnahmen von Amazon rechtfertigen? Eine vermeintliche Rechtfertigung könnte auch im Schutz vor Produktpiraterie liegen. Obgleich der Kampf gegen Produktfälschungen ein legitimes Anliegen sein dürfte, hat Andreas Mundt bereits deutlich gemacht, dass das Bundeskartellamt die Verhältnismäßigkeit entsprechender Maßnahmen kritisch prüfen wird. 

Das neuerliche Vorgehen des Bundeskartellamts fügt sich nahtlos in eine Reihe weiterer Verfahren gegen Amazon ein, die entweder aus der Marktmacht von Amazon resultieren und/oder an das Konfliktpotenzial anknüpfen, das sich aus der Doppelrolle von Amazon als Plattformbetreiber und Einzelhändler ergibt. Zu nennen sind zunächst die Entscheidungen des Bundeskartellamts zu Preisparitätsklauseln (BKartA, Fallbericht vom 9. Dezember 2013, B6-46/12) und wegen der Verwendung missbräuchlicher AGB (BKartA, Fallbericht vom 17. Juli 2019, B2-88/18) im Kontext mit der Sperrung von Marketplace-Händlern und dem Umgang mit Beschwerden sowie der Europäischen Kommission zu Exklusivvereinbarungen beim Vertrieb von E-Books (Europäische Kommission, Entscheidung vom 4. Mai 2017, COMP/40.153). Wichtig sind auch die Untersuchungen des Bundeskartellamts anlässlich der Löschung von (angeblich überteuerten) Händlerangeboten während der COVID-19 Pandemie sowie v.a. der Europäischen Kommission anlässlich der Sammlung und Nutzung wettbewerbssensibler Daten von Einzelhändlern, auf die Amazon als Betreiber des Marketplace Zugriff hat (COMP/40.462). Insoweit hat die Europäische Kommission gerade in dieser Woche Amazon die Beschwerdepunkte zugestellt, weil sie in der systematischen Nutzung von Daten der Marketplace-Händler zur Verbesserung des Eigengeschäfts von Amazon einen klaren Marktmachtmissbrauch und Verstoß gegen Art. 102 AEUV erkennt.

II. URTEIL DES LANDGERICHTS FRANKFURT A.M.

Mit Urteil vom 12. Februar 2019 hat das Landgericht Frankfurt a.M. Amazon untersagt, die von einem nicht autorisierten Apple-Händler auf dem Marketplace angebotenen Apple-Produkte zu löschen, sodass dieser seine Ware wieder ungehindert einstellen und vermarkten konnte.

1. Sachverhalt

Hintergrund der Löschung durch Amazon (nachfolgend auch als "Verfügungsbeklagte" bezeichnet) war die BrandgatingVereinbarung zwischen Amazon und Apple aus dem Jahr 2018. In dieser verpflichtete sich Amazon im Gegenzug für die Aufnahme als autorisierter Apple-Vertriebshändler dazu, nicht autorisierte Apple-Händler ab Januar 2019 vom Amazon-Marketplace auszuschließen.

In Umsetzung dieser Verpflichtung wies Amazon u.a. den Verfügungskläger im November 2018 darauf hin, dass ab Januar 2019 sämtliche Apple-Produkte, die nicht von autorisierten Händlern vertrieben würden, vom Marketplace entfernt würden. Hiergegen wendete sich die Verfügungsklägerin, die zwar Apple-Produkte vertreibt, aber nicht (mehr) autorisierte Apple Händlerin ist, mit ihrem Antrag auf Erlass der vom Landgericht Frankfurt a.M. schließlich gewährten einstweiligen Verfügung.

2. Begründung

Nachdem das Landgericht Frankfurt a.M. seine Zuständigkeit gemäß Art. 7 Nr. 2 EuGVVO als Gericht am Sitz der beeinträchtigten Verfügungsklägerin bejaht hat, stellt es zunächst klar, dass die mit Blick auf kartellrechtliche Sachverhalte – anders als dies die Verfügungsbeklagte vorgetragen hatte – vielfach komplexen rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhänge dem Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht entgegenstünden, insbesondere sei auch die Feststellung der Marktbeherrschung im einstweiligen Verfügungsverfahren möglich.

Das Landgericht Frankfurt a.M. bejaht sodann zunächst den Verfügungsanspruch bzw. den Unterlassungsanspruch gemäß § 33 GWB in Verbindung mit § 19 GWB. Insoweit widmet sich das Gericht zunächst der Marktabgrenzung und grenzt einen sachlichen Markt für "die Erbringung von Dienstleistungen von Onlinemarktplätzen gegenüber Onlinehändlern" ab. Dabei nimmt das Landgericht ausdrücklich auf das Bundeskartellamt Bezug, das einen Markt für B2C-Plattformdienstleistungen zum Vertrieb eines allgemeinen Warensortiments definiert hatte (BKartA, Fallbericht vom 9. Dezember 2013, B6-46/12). Nicht zu diesem Markt zu rechnen sind nach Ansicht des Gerichts insbesondere die Dienstleistungen von Preissuchmaschinen sowie der Vertrieb über die eigene Händlerwebsite. Demgemäß gehört auch der Eigenvertrieb durch Amazon nicht zum relevanten Markt.

Dieser Markt ist nach Auffassung des Landgerichts Frankfurt a.M. räumlich auf die Bundesrepublik Deutschland begrenzt. Dabei stellt das Landgericht maßgeblich auf die tatsächlichen Verbrauchergewohnheiten und die faktische Ausrichtung des deutschen Amazon-Marketplace auf deutsche Kunden ab (u.a. ".de"-Domain, voreingestellte Sprache etc.). Dass es grundsätzlich möglich sei, die auf dem deutschen Amazon-Marketplace angebotenen Produkte auch außerhalb von Deutschland zu beziehen, stehe dieser Abgrenzung nicht entgegen. 

Auf diesem Markt sei Amazon auch marktbeherrschend. Dabei stützt sich das Landgericht auf verschiedene durch die Verfügungsklägerin beigebrachte Studien (u.a. den Handels-Monitor 2018 des Handelsverband Deutschland, der zu dem Ergebnis kam, dass 25% des gesamten deutschen Online-Handelsumsatz auf den Marketplace entfallen). Unter der ergänzenden Prämisse, dass davon auszugehen sei, dass etwa 50% des deutschen Online-Umsatzes auf Online-Markplätze entfalle, kommt das Landgericht zu dem Schluss, dass mit Blick auf den Amazon-Marketplace die Marktbeherrschungsvermutung nach § 18 Abs. 4 GWB einschlägig sei, weil jedenfalls Marktanteile über 40% gegeben seien. Amazon habe auch nichts vorgetragen, was diese Vermutung hätte widerlegen können.

Den Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung in Form der unbilligen Behinderung gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB sah das Landgericht Frankfurt a.M. ohne weiteres im pauschalen Ausschluss sämtlicher Apple-Angebote von nicht autorisierten Händlern. Dies sei objektiv behindernd und auch unbillig, weil Händler wie die Verfügungsklägerin keine adäquaten Möglichkeiten hätten, auf andere Online-Marktplätze auszuweichen. Da die Verfügungsklägerin sich zudem erfolglos um die Aufnahme als offizielle Apple-Händlerin bemüht hatte, konnte das Landgericht es zudem dahinstehen lassen, ob eine tatsächliche Möglichkeit, Apple-Händlerin zu werden, der Annahme eines Missbrauchs entgegenstanden hätte. 

Mit Blick auf die Doppelrolle von Amazon erkennt das Landgericht Frankfurt a.M. zwar an, dass auch die Interessen von Amazon als Einzelhändler in die Abwägung einzustellen sind und Amazon ein legitimes Interesse hat, Vertragshändler von Apple zu werden. Gleichwohl sieht das Gericht in den – unterstellt kartellrechtskonformen – Vertriebsvorgaben von Apple keine Rechtfertigung für die Beschränkung von Dritthändlern. Vielmehr müsse Amazon besondere Umstände aufzeigen, um eine mit der Tätigkeit als Apple-Vertriebshändler verbundene Beschränkung der geschäftlichen Möglichkeiten Dritter auf dem Amazon-Marketplace zu rechtfertigen. Die durch den Status als Vertriebshändler bedingte, (leicht) verbesserte Warenverfügbarkeit sei jedenfalls nicht ausreichend. Auch der pauschale Hinweis von Amazon auf den Schutz vor Produktfälschungen und den mit Angeboten von Dritthändlern angeblich einhergehenden Reputationsverlust sei nicht beachtlich. 

Schließlich bejaht das Landgericht Frankfurt a.M. auch den Verfügungsgrund. Dazu verweist das Gericht – in einem einzigen Absatz – zunächst auf die nach dem Vortrag der Verfügungsklägerin infolge des Ausschlusses zu erwartenden Umsatzverluste in Höhe von ca. 23%. Ergänzend zieht das Landgericht eine eidesstattliche Versicherung der Verfügungsklägerin heran, in der diese angegeben hatte, ohne den Erlass der einstweiligen Verfügung Angestellte entlassen und voraussichtlich Insolvenz anmelden zu müssen. Dieser Ansatz ist zu begrüßen. 

Zwar hat die Antragstellerin ein Unterlassen (der Sperrung von Produkten) begehrt. Weil dieses aber faktisch wie eine Leistung von Amazon wirkt, hat das Landgericht zutreffend den – strengen – Maßstab für den Erlass von Leistungsverfügungen herangezogen und geprüft, ob das Verhalten von Amazon eine Existenzgefährdung begründet. So kommt eine Leistungsverfügung nach ständiger Rechtsprechung z.B. des OLG Düsseldorf nur bei bestehender oder zumindest drohender Notlage des Antragstellers in Betracht. Dieser muss so dringend auf die Erfüllung des geltend gemachten Anspruchs angewiesen sein oder ihm müssen so erhebliche wirtschaftliche Nachteile i.S. einer Existenzgefährdung drohen, dass ihm ein Zuwarten bei der Durchsetzung seines Anspruchs oder eine Verweisung auf die spätere Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen nicht zuzumuten ist (Urteil vom 22. Juni 2010, VI-U (Kart) 9/10 m.w.N.). Bei der Feststellung der Existenzgefährdung setzen die Instanzgerichte allerdings regelmäßig voraus, dass Antragsteller praktisch ihre Insolvenzreife für den Fall der Ablehnung der Verfügung betriebswirtschaftlich darlegen und glaubhaft machen (z.B. LG Köln, Urteil vom 24. September 2015, 88 O (Kart) 57/17). Das Landgericht Frankfurt a.M. hingegen hat mit Blick auf behauptete Umsatzeinbußen i.H.v. ca. 23% die Versicherung ausreichen lassen, dass der Antragsteller diesen Verlust nicht kompensieren könne, Mitarbeiter entlassen und ggfs. auch Insolvenz anwenden müsse. Dieser pragmatische Ansatz stimmt mit dem Wortlaut von §§ 935, 940 ZPO überein, wonach ein Verfügungsgrund besteht, wenn die begehrte Verfügung – insbesondere bei dauernden Rechtsverhältnissen – zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Nach der Rechtsprechung des OLG Frankfurt genügt insoweit die Besorgnis, dass die Verwirklichung der Rechte des Gläubigers ohne Verfügung wesentlich erschwert oder vereitelt werden könnte (z.B. Urteil vom 2. Februar 2016, 11 U 70/15 (Kart)). Überspannte Darlegungsanforderungen sind also nicht gerechtfertigt, zumal im Rahmen der zusätzlich erforderlichen Interessenabwägung etwaig zwingenden Hinderungsgründen aus der Sphäre des Verfügungsbeklagten Rechnung getragen werden kann.

III. SCHLUSSFOLGERUNGEN 

Die zeitliche Diskrepanz zwischen der Einleitung der kartellbehördlichen Untersuchung durch das Bundeskartellamt (Ende 2020) und dem Erlass der einstweiligen Verfügung durch das Landgericht Frankfurt a.M. (Anfang 2019) zeigt ein Dilemma: Der Weg über das Bundeskartellamt ist zwar risikoarm, wird aber in der Regel nicht zu einer zeitnahen Abstellung des monierten Verhaltens führen (wenn überhaupt ein Verfahren eingeleitet wird). Selbst wenn sich das Bundeskartellamt im Rahmen seines Aufgreifermessen entschließt, den Sachverhalt näher zu untersuchen, lässt eine Entscheidung in der Regel auf sich warten, zumal das Bundeskartellamt von seiner Möglichkeit, einstweilige Maßnahmen zu erlassen, in der Regel keinen Gebrauch macht (zu diesem Defizit bereits Karbaum/Schulz, NZKart 2019, 407). Eine zeitnahe Abstellung kartellrechtswidriger Beschränkungen kann nur im einstweiligen Rechtsschutz vor den Zivilgerichten erreicht werden. Gleichwohl haben die traditionell hohen Anforderungen, die an den Erlass einstweiliger Maßnahmen insbesondere bei Leistungsverfügungen gestellt werden, vielfach eine abschreckende Wirkung. Gepaart mit der zusätzlichen Sorge vor der Reaktion eines marktbeherrschenden Gegners, zu dem ein Abhängigkeitsverhältnis besteht, schrecken Anspruchsteller regelmäßig vor gerichtlichen Schritten mit offenem Visier zurück. Z.T. zu Unrecht.

Die Entscheidung des Landgerichts Frankfurt a.M. zeigt, dass die Möglichkeit, kartellrechtswidrige Praktiken im Eilrechtschutz untersagen zu lassen, nicht vorschnell verworfen werden sollte. Das Landgericht nähert sich den entscheidenden materiell-rechtlichen Fragen (z.B. Marktabgrenzung, Marktbeherrschung und unbillige Behinderung) auf pragmatische Weise und zeigt, dass auch originär kartellrechtliche Fragen im Rahmen einstweiliger Verfügungsverfahren auf Grundlage öffentlich verfügbarer Unterlagen (z.B. allgemeine Studien zu Marktanteilen, Entscheidungspraxis der Kartellbehörden) überzeugend adressiert werden können. 

Schließlich bezeugt das Urteil, dass auch im Verfügungsgrund keine unüberwindbare Hürde liegen muss. Angesichts der zentralen Rolle, die einigen wenigen Akteuren in der Digitalwirtschaft – wie z.B. Google, Apple und Amazon – zukommt, entstehen wirtschaftliche Abhängigkeiten, die den Erlass einstweiliger Verfügungen rechtfertigen können. Exemplarisch ist insoweit die vom Landgericht entschiedene Konstellation: Mit Blick auf die erhebliche kommerzielle Bedeutung, die Verkäufen über den Amazon-Marketplace für viele kleinere und mittlere Händler zukommt, kann eine Sperrung wichtiger Produktlinien gravierende Folgen haben, die auch eine Leistungsverfügung rechtfertigen. Dabei sollten an die wirtschaftlichen Nachteile, die einem Händler ohne den Erlass der Verfügung drohen (Stichwort: Existenzgefährdung), keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Im Sinne eines effektiven Wettbewerbsschutzes sollte auch hier ein pragmatischer Ansatz gewählt werden. Darauf, ob eine im Einzelnen dargelegte, unmittelbare und kalkulatorisch begründete Insolvenzgefahr besteht, kann es nicht ankommen. Benachteiligte Händler also, deren Produkte Amazon z.B. ohne sachlichen Grund gesperrt hat oder die anderweitig durch Amazon behindert werden, dürften demnach gute Aussichten haben, Produktsperrungen und sonstige Behinderungen im einstweiligen Rechtsschutz abstellen zu können.

Der Blogbeitrag steht hier für Sie zum Download bereit: Immer wieder Amazon - Jetzt im Fokus: "Brandgating" - Schwellen für Einstweilige Verfügungen im zivilen Eilrechtsschutz

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