Neuerliche Reform des Transparenzregisters: Das Transparenzregister wird zum Vollregister

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Neuerliche Reform des Transparenz­registers: Das Transparenz­register wird zum Vollregister

30. Juni 2021

Nach der Beschlussfassung des Bundestags am 10. Juni 2021 hat am 25. Juni 2021 auch der Bundesrat den Gesetzentwurf für ein Transparenzregister- und Finanzinformationsgesetz gebilligt. Nach dem Gesetz zur Umsetzung der Änderungsrichtlinie zur Vierten EU-Geldwäscherichtlinie, das Ende 2019 in Kraft getreten ist und u.a. das Einsichtsrecht für Jedermann eingeführt hat, steht damit die nächste Reform des Transparenzregisters an. Kernstück der Reform ist der Ausbau des Transparenzregisters zu einem Vollregister, an das künftig praktisch jede Rechtseinheit ihre (fiktiven) wirtschaftlich Berechtigten wird melden müssen. Der folgende Beitrag gibt einen Überblick über die wesentlichen Änderungen der gesetzlichen Vorgaben zum Transparenzregister und schaut voraus auf die praktischen Folgen, die diese Änderungen erwarten lassen. 

Anlass der neuerlichen Reform des Transparenzregisters ist die europarechtlich vorgesehene Vernetzung der Transparenzregister der EU-Mitgliedstaaten. Der Gesetzgeber hat dies zum Anlass genommen, das Transparenzregister, das seinerzeit bewusst als Auffangregister konzipiert worden war, zu einem Vollregister auszubauen, an das künftig praktisch jede Rechtseinheit eine Mitteilung über ihre wirtschaftlich Berechtigten abgeben muss. Während dies für die registerpflichtigen Rechtseinheiten, die bisher vielfach von der Mitteilungsfiktion profitiert haben, einen erheblichen Mehraufwand bedeutet, soll die Reform für geldwäscherechtlich Verpflichtete (wie Banken etc.) eine wesentliche Erleichterung mit sich bringen: Ausgehend von dem umfassenden Datenbestand des Transparenzregisters dürfen sich die Verpflichteten künftig bei der Überprüfung der Identität eines wirtschaftlich Berechtigten grundsätzlich auf die Eintragung im Transparenzregister verlassen.

Wesentliche Änderungen

Die zentrale Änderung der Vorgaben zum Transparenzregister liegt in der künftigen Ausgestaltung des Transparenzregisters als Vollregister. Das Transparenzregister steht damit künftig unabhängig insbesondere neben dem Handelsregister und wird – wie dieses – künftig nahezu für jede Rechtseinheit unmittelbar relevant sein. 

Bisher ist das Transparenzregister als Auffangregister ausgestaltet. Sofern die erforderlichen Angaben zu den wirtschaftlich Berechtigten bereits in bestimmten anderen Registern, wie insbesondere dem Handelsregister, dem Vereinsregister oder dem Unternehmensregister, öffentlich zugänglich sind, kann die neuerliche Mitteilung dieser Angaben an das Transparenzregister unterbleiben; die Mitteilungspflicht gilt dann als erfüllt (vgl. § 20 Abs. 2 Satz 1 GwG – sog. Mitteilungsfiktion). Gleiches gilt allgemein für Gesellschaften, die an einem organisierten Markt nach § 2 Abs. 11 WpHG notiert sind oder dem Gemeinschaftsrecht entsprechenden Transparenzanforderungen im Hinblick auf Stimmrechtsanteile oder gleichwertigen internationalen Standards unterliegen (vgl. § 20 Abs. 2 Satz 2 GwG), wobei sich diese Mitteilungsfiktion grundsätzlich auch auf die Tochtergesellschaften der börsennotierten Muttergesellschaft erstreckt. 

Das Transparenzregister- und Finanzinformationsgesetz sieht nun vor, dass die Mitteilungsfiktion und die Befreiung für börsennotierte Gesellschaften (und deren Tochtergesellschaften) ersatzlos wegfallen. Künftig sind damit praktisch alle Rechtseinheiten verpflichtet, ihre wirtschaftlich Berechtigten dem Transparenzregister positiv zur Eintragung mitzuteilen. Dies betrifft die börsennotierte Aktiengesellschaft (und ihre Tochtergesellschaften) ebenso wie die Ein-Mann-GmbH oder die Publikums-KG. Lediglich eingetragene Vereine dürfen zunächst von einer Mitteilung an das Transparenzregister absehen; zur Stärkung des Ehrenamtes und zur Verringerung der bürokratischen Belastung für Vereine ist insofern eine Übernahme von Angaben zu den Vereinsvorständen, die in aller Regel die fiktiven wirtschaftlich Berechtigten des Vereins nach § 3 Abs. 3 Satz 5 GwG sind, aus dem Vereinsregister vorgesehen. 

Das Transparenzregister- und Finanzinformationsgesetz soll (abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen) am 1. August 2021 in Kraft treten. Angesichts der weitreichenden praktischen Folgen der Abschaffung der Mitteilungsfiktion und der Befreiung für börsennotierte Gesellschaften (dazu sogleich) sieht das Gesetz insofern jedoch großzügige Übergangsfristen vor. Für die erstmalige Mitteilung eines wirtschaftlich Berechtigten, die bisher aufgrund der Mitteilungsfiktion unterbleiben konnte, sieht das Gesetz eine gestaffelte Übergangsregelung vor. Die erforderlichen Angaben zu den wirtschaftlich Berechtigten sind dem Transparenzregister 

  • im Falle einer AG, SE oder KGaA bis zum 31. März 2022,
  • im Falle einer GmbH, Genossenschaft, Europäischer Genossenschaft oder Partnerschaft bis zum 30. Juni 2022 und
  • in allen anderen Fällen bis zum 31. Dezember 2022

mitzuteilen. Zudem greifen auch die korrespondierenden Bußgeldtatbestände für Rechtseinhei- ten, die bisher von der Mitteilungsfiktion profitiert haben, erst mit einem weiteren zeitlichen Versatz. Die Bußgeldtatbestände des § 56 Abs. 1 Nr. 55 und 58 bis 60 GwG sind insoweit

  • im Falle einer AG, SE oder KGaA bis zum 31. März 2023,
  • im Falle einer GmbH, Genossenschaft, Europäischer Genossenschaft oder Partnerschaft bis zum 30. Juni 2023 und
  • in allen anderen Fällen bis zum 31. Dezember 2023

nicht anwendbar.

Eine weitere wesentliche Änderung betrifft den Pflichtenrahmen der geldwäscherechtlich Verpflichteten (wie u.a. Banken). Bei der Überprüfung der Identität eines wirtschaftlich Berechtigten dürfen sie sich künftig grundsätzlich auf die Angaben im Transparenzregister verlassen.

Bisher sieht das Gesetz in § 11 Abs. 5 Satz 4 GwG vor, dass sich die Verpflichteten bei der Überprüfung der Angaben zur Identifizierung eines wirtschaftlich Berechtigten nicht ausschließlich auf die Angaben im Transparenzregister verlassen dürfen. In der Praxis führt dies bei den Verpflichteten zu erheblichem Aufwand im Rahmen von Kundenprüfungen (Know Your Customer – KYC). Künftig müssen die Verpflichteten zwar im ersten Schritt die Angaben zur Identifizierung des wirtschaftlich Berechtigten eines Vertragspartners weiterhin ohne Zuhilfenahme des Transparenzregisters erheben. Zur Überprüfung dieser Angaben genügt dann im zweiten Schritt jedoch grundsätzlich ein Abgleich mit den entsprechenden Angaben im Transparenzregister.

Der Gesetzgeber möchte damit den KYC-Aufwand der geldwäscherechtlich Verpflichteten erheblich reduzieren und insgesamt den Prüfungsaufwand bei den registerpflichtigen Rechtseinheiten zentralisieren. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll die multiple Ermittlung der wirtschaftlich Berechtigten einer Rechtseinheit durch verschiedenste Verpflichtete im Rahmen der Erfüllung ihrer jeweiligen Kundensorgfaltspflichten grundsätzlich durch die Ermittlung, Mitteilung und ggf. Aktualisierung der Angaben zum wirtschaftlich Berechtigten durch die betreffende Rechtseinheit ersetzt werden.

Praktische Folgen

In der Praxis wird die Aufhebung der Mitteilungsfiktion nach § 20 Abs. 2 Satz 1 GwG und der Befreiung für börsennotierte Gesellschaften nach § 20 Abs. 2 Satz 2 GwG einen erheblichen Aufwand für die registerpflichtigen Rechtseinheiten mit sich bringen. Der Regierungsentwurf geht davon aus, dass von künftig ca. 2,3 Millionen eintragungspflichtigen Rechtseinheiten ohne Berücksichtigung des Vereinsregisters bisher ca. 857.000 Rechtseinheiten von der Mitteilungsfiktion nach § 20 Abs. 2 Satz 1 GwG profitiert haben. All diese Rechtseinheiten werden nun im Rahmen der Übergangsfristen dem Transparenzregister erstmalig eine Mitteilung zu ihren wirtschaftlich Berechtigten machen müssen. Zudem werden sie künftig bei jeder relevanten Änderung der Anteilseigner- oder Konzernstruktur prüfen müssen, ob nicht nur eine Mitteilung zum Handelsregister, sondern ggf. auch eine Mitteilung zum Transparenzregister erforderlich ist. Nicht zuletzt angesichts des engmaschigen Netzes an Bußgeldtatbeständen sollte die Überwachung der Transparenzregisterpflichten damit zum festen Bestandteil der Compliane-Organisation eines jeden Unternehmens gehören. Zudem sollte die Einhaltung der Transparenzregisterpflichten standardmäßig zum Prüfprogramm einer Due-Diligence-Prüfung im Rahmen von M&A-Transaktionen gehören. 

Für die geldwäscherechtlich Verpflichteten kündigt sich demgegenüber mit der Möglichkeit, im Geschäft mit deutschen Rechtseinheiten auf das Transparenzregister vertrauen zu dürfen, eine Vereinfachung der geldwäscherechtlichen Pflichten an. Die Regierungsbegründung geht bei der Betrachtung des Erfüllungsaufwands der Wirtschaft davon aus, dass die aufgrund dessen für die Verpflichteten zu erwartenden Einsparungen deutlich über den zusätzlichen Aufwand der registerpflichtigen Rechtseinheiten hinausgehen. Ob sich dies in der Praxis tatsächlich bewahrheitet, bleibt abzuwarten. Aus Sicht der registerpflichtigen Rechtseinheiten besteht aber zumindest die Hoffnung, dass das künftig zulässige Vertrauen auf die Einträge im Transparenzregister den Dialog mit den Verpflichteten vereinfacht.

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Der gesetzliche Anspruch von Geschäftsleitern auf eine Mandatspause kommt – #stayonboard-Initiative wird zum Gesetz

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Der gesetzliche Anspruch von Geschäftsleitern auf eine Mandatspause kommt – #stayonboard-Initiative wird zum Gesetz

28. Juni 2021

Am 11. Juni 2021 hat der Deutsche Bundestag das Gesetz zur Ergänzung und Änderung der Regelungen für gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in Führungspositionen in der Privatwirtschaft und dem öffentlichen Dienst (FüPoG II) (BT-Drs. 19/26689, 19/27633 und 19/30514) beschlossen. Ein Bestandteil des FüPoG II stellt dabei die gesetzliche Verankerung der Möglichkeit einer "Auszeit" und "Mandatspause" für Geschäftsleitungsmitglieder dar. Durch die gesetzliche Neuregelung haben die Geschäftsleitungsmitglieder von Unternehmen nunmehr unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit und in Fällen des Mutterschutzes sogar einen gesetzlichen Anspruch darauf, ihr Mandat temporär ruhen zu lassen.

Die Gesetzesänderung geht maßgeblich auf die Initiative #stayonboard zurück, in der sich im vergangenen Jahr namenhafte Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Rechtswissenschaft zusammengeschlossen hatten. Den Ausgangspunkt für die Gründung dieser Initiative bildete die gesellschaftliche Debatte über die Frage, ob es noch zeitgemäß sei, dass Vorstandsmitglieder ihr Amt auch für den Fall einer nur vorübergehenden Nichtausübung, wie etwa einer Schwangerschaft oder Elternzeit, niederlegen müssen, um keinem Haftungsrisiko für Entscheidungen ausgesetzt zu sein, die während ihrer Abwesenheit getroffen und umgesetzt werden. Der "Auslöser" dieser Debatte war der – seinerzeit rechtlich erforderliche – Rücktritt der Gründerin und Chief Creative Officer Delia Lachance von ihrem Amt als Vorstandsmitglied der Westwing Group AG, um in Mutterschutz gehen und Elternzeit in Anspruch nehmen zu können. Über die gesellschaftsrechtlichen Implikationen der Initiative #stayonboard hatten wir seinerzeit bereits berichtet.

In diesem Beitrag soll nun die gesetzliche Neuregelung, durch die Geschäftsleitungsmitglieder die Möglichkeit bzw. einen Anspruch ein temporäres Ruhenlassen ihres Mandats erhalten, näher beleuchtet werden, wobei ein besonderes Augenmerk auf die Voraussetzungen sowie die rechtliche Ausgestaltung der Mandatspause gelegt wird. Zum besseren Verständnis der gesetzlichen Neuregelung wird zunächst noch einmal kurz die Problematik der bislang geltenden Rechtslage skizziert.

I. PROBLEMATIK DER BISHERIGEN GESETZLICHEN AUSGANGSLAGE

Bislang sehen das Aktiengesetz (AktG), das SE-Ausführungsgesetz (SEAG) und auch das GmbH-Gesetz (GmbHG) keine Möglichkeit vor, dass Geschäftsleitungsmitglieder ihr Amt bzw. Mandant haftungsbefreiend temporär unterbrechen oder ruhen lassen können.

Ein Geschäftsleiter hat gemäß § 93 Abs. 1 S. 1 AktG, § 39 SEAG i.V.m. § 93 Abs. 1 S. 1 AktG bzw. § 43 Abs. 1 und 2 GmbHG während der Dauer seiner Bestellung fortwährend die Pflicht, bei seiner Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. Es besteht keine Möglichkeit, diese Pflicht auf andere Mitglieder der Geschäftsleitung mit haftungsbefreiender Wirkung zu übertragen. Selbst, wenn ein Mitglied der Geschäftsleitung sein Amt vorübergehend nicht wahrnimmt und sein Ressort von einem anderen Geschäftsleiter übernommen wird, besteht für das "pausierende" Mitglied gleichwohl weiterhin eine Überwachungspflicht im Hinblick auf die anderen Mitglieder der Geschäftsleitung. Im Falle eine Verletzung dieser Pflicht haftet das "pausierende" Mitglied der Geschäftsleitung gegenüber der Gesellschaft für daraus resultierende Schäden.

Will ein Geschäftsleitungsmitglied der zivilrechtlichen Haftung sowie ggf. auch einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit, z.B. wegen Verletzung der Insolvenzantragspflicht, entgehen, so muss es daher de lege lata sein Amt zwingend niederlegen.

Überdies können sich Geschäftsleitungsmitglieder auch nicht auf die Vorschriften des Mutterschutzgesetzes, die Elternzeit oder Pflegezeit berufen, um eventuell auf diesem Wege in den Genuss einer haftungsbefreienden Pause von ihrem Geschäftsleiteramt zu kommen, da die entsprechenden Regelungen ausschließlich auf Arbeitnehmer/innen Anwendung finden.

II. DER GESETZLICHE ANSPRUCH AUF EIN TEMPORÄRES RUHENLASSEN DES MANDATS

Durch das FüPoG II wird den Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft, den Vorstän-den oder geschäftsführenden Direktoren einer SE sowie den Geschäftsführern einer GmbH die Möglichkeit eröffnet, Anspruch auf eine temporäre, familiär oder persönlich bedingte Auszeit von ihrer Tätigkeit zu nehmen.

1. Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft

Der Anspruch von Mitgliedern des Vorstands einer Aktiengesellschaft auf ein temporäres Ruhenlassen des Mandats wird in § 84 Abs. 3 AktG n.F. geregelt, der – wie von #stayonboard seinerzeit vorgeschlagen – um einen Absatz 3 ergänzt wurde.

Nach § 84 Abs. 3 Satz 1 AktG n.F. haben die Vorstandsmitglieder einer Aktiengesell-schaft das Recht, den Aufsichtsrat um einen Widerruf ihrer Bestellung zu ersuchen, wenn sie aus Gründen des Mutterschutzes, der Elternzeit, der Pflege eines Familienangehörigen oder einer eigenen Erkrankung den ihnen als Vorstandsmitglied obliegenden Pflichten vorübergehend nicht nachkommen können. Ausgenommen von dieser Regelung sind le-diglich Alleinvorstände einer Aktiengesellschaft. Ihnen steht ein solcher Anspruch nicht zu. Diese Einschränkung ist auch zwingend, da die Aktiengesellschaft ansonsten "füh-rungslos" wäre. Die praktische Bedeutung dieser Regelung dürfte indes begrenzt sein, da die meisten Vorstände von Aktiengesellschaften mit mehr als einer Person besetzt sein dürften. Unbeachtlich ist es indes, wenn ein Mitglied eines zweiköpfigen Vorstandes einer Aktiengesellschaft mit einem Grundkapital von mehr als EUR 3 Mio. von der Möglichkeit der Mandatspause Gebrauch macht und sodann entgegen § 76 Abs. 2 Satz 2 AktG nur noch ein einziger Vorstand amtiert (vgl. § 83 Abs. 3 Satz 6 AktG n.F.).

Schwangere Vorstandsmitglieder haben gem. § 84 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AktG n.F. einen verbindlichen Anspruch auf den Widerruf ihrer Bestellung durch den Aufsichtsrat für die Dauer der in § 3 Abs. 1 und 2 des Mutterschutzgesetzes festgelegten Schutzfristen, d.h. für einen Zeitraum von sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Geburt des Kindes. Ein Widerspruchsrecht steht dem Aufsichtsrat insoweit ausdrücklich nicht zu. Nach Ablauf der vorgenannten Schutzfristen hat das Vorstandsmitglied gegenüber dem Aufsichtsrat einen Anspruch auf Wiederbestellung.

Nach § 84 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 AktG n.F. haben Vorstandsmitglieder zudem die Möglich-keit, den Aufsichtsrat für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten um einen Widerruf ihrer Bestellung zu ersuchen, wenn sie Elternzeit nehmen möchten, einen Familienange-hörigen pflegen oder selbst erkrankt sind. Die Vorstandsmitglieder haben in diesen Fällen jedoch – anders als beim Mutterschutz – keinen rechtsverbindlichen Anspruch auf einen Widerruf ihrer Bestellung. Der Aufsichtsrat hat nämlich die Möglichkeit, dem Verlangen zu widersprechen, wenn und soweit diesem ein wichtiger Grund aus der Sphäre der Ge-sellschaft entgegensteht. Zu denken ist hier insbesondere an Fallkonstellationen, in de-nen das Verlangen zur Unzeit geltend gemacht wird, z.B. wenn in dem betroffenen Ress-ort eine Vielzahl wichtiger Entscheidungen ansteht.

In den Fällen der Elternzeit, der Pflege eines Familienangehörigen oder im Falle einer eigenen Erkrankung haben Vorstandsmitglieder nach § 84 Abs. 3 Satz 3 AktG n.F. zudem die Möglichkeit, ihre Bestellung für die Dauer eines Zeitraums von bis zu zwölf Monaten widerrufen zu lassen. Auch in diesem Fall steht dem Aufsichtsrat allerdings ein Wider-spruchsrecht zu, dessen inhaltliche Anforderungen jedoch deutlich geringer sind als bei einer dreimonatigen Auszeit. Insoweit muss nämlich kein wichtiger Grund vorliegen. Die Entscheidung über den Widerspruch steht vielmehr im freien Ermessen des Aufsichtsrats.

In rechtstechnischer Hinsicht ist die vorübergehende Auszeit bzw. das Ruhenlassen des Mandats als Widerruf der Bestellung, verbunden mit der Zusicherung einer Wiederbestellung nach dem Ende der Auszeit, ausgestaltet. Der Widerruf der Bestellung als Vorstandsmitglied ist erforderlich, damit die Vorstandsmitglieder für die Dauer ihrer Mandatspause nicht den eingangs beschriebenen Haftungsrisiken für Entscheidungen ausgesetzt sind, die in ihrer Abwesenheit getroffen werden. Der Anspruch auf Wiederbestellung kann dadurch erfüllt werden, dass das Geschäftsleitungsmitglied entweder nach Ablauf des Zeitraums des § 84 Abs. 2 u. 3 AktG n.F. oder bereits zeitgleich mit dem Widerruf aufschiebend befristet auf den Ablauf des Zeitraums erneut bestellt wird.

Macht ein Vorstandsmitglied von der Möglichkeit zum vorübergehenden Ruhenlassen des Mandats Gebrauch, hat dies keinen Einfluss auf die Amtszeit des Vorstandsmitglieds, d.h. es erfolgt keine Anrechnung der Mandatspause auf die Amtszeit, sodass das ver-traglich vereinbarte Ende der Amtszeit bestehen bleibt (§ 83 Abs. 3 Satz 4 AktG n.F.).

Keine Regelungen trifft die gesetzliche Neuregelung bzgl. der Frage, ob und in welchem Umfang die Vergütung des Vorstandsmitglieds während der Auszeit bzw. während des Widerrufs der Bestellung durch die Gesellschaft fortzuzahlen ist. Dies hängt von den in-dividuellen Vereinbarungen zwischen der Gesellschaft und dem Vorstandsmitglied ab. Es ist davon auszugehen, dass Anstellungsverträge künftig entsprechende Regelungen ent-halten werden.

2. Vorstandsmitglieder und geschäftsführende Direktoren einer SE und GmbH-Geschäftsführer

Die vorstehend für die Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft skizzierten Regelungen geltend entsprechend für die Geschäftsleitungsorgane weiterer Gesellschaftsformen.

Für die Vorstandsmitglieder einer dualistischen bzw. die geschäftsführenden Direktoren einer monistischen SE folgt dies aus § 20 SEAG i.V.m. § 83 Abs. 3 AktG n.F. bzw. § 40 Abs. 6 SEAG n.F. Die Möglichkeit des vorübergehenden Ruhenlassens des Ge-schäftsführeramtes ist in § 38 Abs. 3 GmbHG n.F. normiert.

Die Möglichkeit bzw. der Anspruch auf ein Ruhenlassen des Mandats sind bei der SE und der GmbH dabei an dieselben Voraussetzungen geknüpft wie bei der Aktiengesellschaft. Die Mandatspause ist auch hier als Widerruf der Bestellung, verbunden mit einem Anspruch auf Wiederbestellung, ausgestaltet.

Inkrafttreten wird die gesetzliche Neuregelung am Tag nach der Verkündung des FüPoG II im Bundesgesetzblatt. Die Neuregelung unterfällt keinen Übergangsregelungen. Da der Bundesrat gegen das FüPoG II keinen Einspruch erhoben hat, wird das Gesetz unmittelbar im Bundesgesetzblatt veröffentlicht werden und in Kraft treten.

III. FAZIT UND AUSBLICK

Die gesetzlichen Neuregelungen, die Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft, Vorstandsmitgliedern oder geschäftsführenden Direktoren einer SE und Geschäftsführern einer GmbH ein Anspruch auf ein Ruhenlassen ihres Mandats in Fällen des Mutterschutzes, der Elternzeit, der Pflege eines Angehörigen oder des Auskurierens einer Erkrankung ermöglichen, sind zu begrüßen.

Insoweit stellte sich nämlich berechtigterweise die Frage, warum es Geschäftsleitern – anders als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern – etwa nicht möglich sein soll, in Elternzeit zu gehen oder eine Erkrankung in Ruhe auszukurieren, ohne dabei entweder einem Haftungsrisiko für die in dieser Zeit von den weiteren Mitgliedern der Leitungsorgane getroffenen Entscheidungen und umgesetzten Maßnahmen ausgesetzt zu sein oder alternativ ihr Mandat niederzulegen. Durch die gesetzliche Neuregelung wurden nunmehr auch auf der Leitungsebene von Unternehmen die notwendigen Rahmenbedingungen für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie geschaffen.

Durch die Ausgestaltung der Mandatspause als Widerruf der Bestellung ist dabei auch sichergestellt, dass die pausierenden Geschäftsleiter keinen Haftungsrisiken für solche Entscheidungen ausgesetzt sind, die von der Gesellschaft während ihrer Abwesenheit getroffen werden. Anders verhält es sich jedoch dann, wenn die Gesellschaft und das Geschäftsleitungsmitglied – was nach der Gesetzesbegründung ausdrücklich erlaubt sein soll – vertragliche Vereinbarungen treffen, die dem Geschäftsleitungsmitglied während der Auszeit z.B. Zugang zu Informationen, die Einsichtnahme in E-Mails oder den Zugang zu den Geschäftsräumen gewähren. Die daraus resultierenden Haftungsrisiken sollten von den Beteiligten bei dem Abschluss entsprechender Vereinbarungen im Einzelfall sorgfältig geprüft werden. Da sich die meisten Entscheidungsprozesse und Maßnahmen in Unternehmen zudem regelmäßig über einen längeren Zeitraum erstrecken, also in zeitlicher Hinsicht teilweise innerhalb und teilweise außerhalb einer Mandatspause liegen können, wird es für die Haftung eines pausierenden Geschäftsleitungsmitglieds darauf ankommen, zu welchem Zeitpunkt die kausale Pflichtverletzung begangen wurde.

Auch wenn Mandatspausen von Geschäftsleitungsmitgliedern für die Unternehmen zweifelsohne mit einem entsprechenden bürokratischen Aufwand verbunden sind, hat das Unternehmensinteresse dennoch eine hinreichende Berücksichtigung gefunden. Schließlich hat der Aufsichtsrat – mit Ausnahme von Fällen des Mutterschutzes – die Möglichkeit, dem Verlangen auf ein Ruhenlassen des Mandats zu widersprechen, wenn diesem entsprechende Gründe des Unternehmenswohls entgegenstehen. Abzuwarten bleibt indes, in welchem Umfang Leitungsorgane zukünftig von der Möglichkeit der Mandatspause Gebrauch machen.

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Einfluss des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes (StaRUG) auf Lieferbeziehungen – Blickwinkel eines Geschäftsleiters

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Einfluss des Unternehmens­stabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes (StaRUG) auf Lieferbeziehungen - Blickwinkel eines Geschäftsleiters

24. Juni 2021

Unser Partner Dr. Jochen Markgraf und unsere Associate Dr. Marina Adams haben in diesem Jahr wieder am E-Book "GmbH-Geschäftsführer 2021" mitgewirkt. 

Ihr Beitrag unter dem Titel "Einfluss des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes (StaRUG) auf Lieferbeziehungen - Blickwinkel eines Geschäftsleiters" stellt die Auswirkungen von Sanierung- und Restrukturierungsmaßnahmen eines Lieferanten nach dem neuen, am 1. Januar 2021 in Kraft getreten StaRUG auf bestehende Lieferbeziehungen – aufbereitet für die Geschäftsführerperspektive – dar.

Das E-Book, in dem der Beitrag auf S. 43 ff. zu finden ist, können Sie hier kostenlos downloaden: E-Book "GmbH-Geschäftsführer 2021"

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Wie die Mutter, so die Tochter? Neuigkeiten vom EuGH zur kartellzivilrechtlichen „Konzernhaftung“

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Wie die Mutter, so die Tochter? Neuigkeiten vom EuGH zur kartellzivilrechtlichen "Konzernhaftung"

18. Juni 2021

Der Europäische Gerichtshof ("EuGH") hat sich mittlerweile in einer Vielzahl von Entscheidungen zu Fragen des Kartellschadensersatzrechts geäußert und dessen europarechtliche Akzentuierung stetig vorangetrieben. Was in konzerndimensionaler Hinsicht mit "Skanska" (C‑724/17) begonnen hatte, dürfte durch das Vorabentscheidungsverfahren in der Rechtssache "Sumal" (C-882/19) eine weitere Konturierung erfahren und die private Rechtsdurchsetzung zu Gunsten von Geschädigten eines Kartells (vermutlich) weiter stärken. Die Rede ist von der Frage, wer nach den Grundsätzen des funktionalen Unternehmensbegriffs im Kartellschadensersatzprozess passivlegitimiert ist. Dies ist unproblematisch, wenn sich ein potentiell Geschädigter mit seinem Schadensersatzbegehren direkt an den Adressaten der kartellbehördlichen Bußgeldentscheidung wendet. Ungleich schwieriger ist die Frage nach der Passivlegitimation zu beantworten, wenn sich der Kläger nicht an den jeweiligen Adressaten, sondern an die am Kartellrechtsverstoß unbeteiligte Mutter- oder Tochtergesellschaft wendet. Mittlerweile liegen die Schlussanträge des Generalanwalts Pitruzzella in dem Vorabentscheidungsverfahren "Sumal" vor und liefern (zumindest vorläufige) Antworten auf diese Frage(n). Zusammengefasst votiert GA Pitruzzella sowohl für eine "aufsteigende" gesamtschuldnerische Haftung der Mutter- für die Tochtergesellschaft als auch für eine "absteigende" gesamtschuldnerische Haftung der Tochter- für die Muttergesellschaft im schadensersatzrechtlichen Kontext dann, wenn die Voraussetzungen für die Annahme einer wirtschaftlichen Einheit vorliegen und die Tochter einen Beitrag zu dem Kartellrechtsverstoß der Muttergesellschaft geleistet hat.

I. HINTERGRUND DES VORLAGEBESCHLUSSES

Der spanische Containerhersteller Sumal, S.L. (Sumal) verklagte Mercedes Benz Trucks España, S.L. (MBTE), eine spanische Tochtergesellschaft der deutschen Daimler AG (Daimler), auf Schadensersatz in Höhe von EUR 22.204,35. Ausgangspunkt des Schadensersatzbegehrs von Sumal bilden die am 19. Juli 2016 erlassenen Bußgeldbescheide im LKW-Kartell, wonach die Europäische Kommission aufgrund wettbewerbswidriger Preisabsprachen namhafter LKW-Hersteller, u.a. Daimler, Bußgelder i.H.v. EUR 2,93 Mrd. verhängte. Die Klage von Sumal wurde vom Gericht der ersten Instanz aufgrund fehlender Passivlegitimation von MBTE als unzulässig abgewiesen. Die Richter argumentierten, dass Daimler als Muttergesellschaft des Konzerns den Kartellrechtsverstoß begangen habe und nicht deren spanische Tochtergesellschaft MBTE. Aufgrund divergierender Urteile spanischer Gerichte zur Frage der Passivlegitimation, hat das Berufungsgericht dem EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens die Frage vorgelegt, ob auch die (unbeteiligte) Tochter- für den Kartellrechtsverstoß der Muttergesellschaft gesamtschuldnerisch hafte.

II. "AUFSTEIGENDE HAFTUNG" DER MUTTER- FÜR DIE TOCHTERGESELLSCHAFT?

Die gesamtschuldnerische Haftung einer Mutter- für den Kartellrechtsverstoß ihrer Toch-tergesellschaft ist im Kartellbußgeldverfahren seit langem anerkannt. Möglich ist die Zu-rechnung kartellrechtswidrigen Verhaltens durch die Feststellung der wirtschaftlichen Ein-heit, wonach mehrere rechtlich voneinander unabhängige Unternehmen als ein Unter-nehmen i.S.d. Art. 101 AEUV angesehen werden, wenn sie auf dem jeweils zu identifi-zierenden Markt einheitlich handeln. Damit weist das Kartellrecht einen eigenständigen Unternehmensbegriff auf, der unabhängig vom gesellschaftsrechtlichen Trennungsprinzip besteht. Ausgangspunkt zur Bestimmung der wirtschaftlichen Einheit ist der bestimmen-de Einfluss der Mutter- über die Tochtergesellschaft. Dieser führt letztlich dazu, dass die Tochtergesellschaft (trotz eigener Rechtspersönlichkeit) nicht als am Markt autonom agierendes Unternehmen angesehen wird, weil es im Wesentlichen die Weisungen der Muttergesellschaft befolgt. Unproblematisch kann der bestimmende Einfluss (widerleg-bar) vermutet werden, wenn die Muttergesellschaft direkt oder über eine ununterbroche-ne Kette (mittelbar) eine nahezu 100% ige Beteiligung an der Tochtergesellschaft oder sämtliche mit den Aktien der Tochtergesellschaft verbundene stimmberechtigte Anteile hält. Die Theorie der wirtschaftlichen Einheit wurde durch die Europäische Kommission seit den 1970er Jahren beständig fortentwickelt. Gleichzeitig wurden die Kriterien, die zur Bestimmung der wirtschaftlichen Einheit herangezogen werden, erweitert. So ist im Rahmen des bestimmenden Einflusses als Grundvoraussetzung vor allem die Bewertung der wirtschaftlichen, organisatorischen und rechtlichen Bindungen zwischen den jeweiligen Gesellschaften entscheidend, wenn es um die Beurteilung geht, ob zwei (oder mehrere) Gesellschaften sich am Markt einheitlich verhalten (= wirtschaftliche Einheit).

In der Rechtssache "Skanska" (C-724/17) hat der EuGH die entscheidenden Wertungen in Bezug auf die Bestimmung der wirtschaftlichen Einheit auf das Kartellschadensersatz-recht übertragen. Die Verantwortlichkeit für Kartellrechtsverstöße, sprich die Passivlegi-timation, werde unmittelbar durch Art. 101 AEUV determiniert. Folglich gelte sowohl im public enforcement als auch im private enforcement der funktionale Unternehmensbegriff gleichermaßen. Die wirtschaftliche Einheit, die rechtlich aus mehreren natürlichen oder juristischen Personen bestehen kann, ist nicht nur einheitlicher Urheber der Zuwiderhand-lung und damit bußgeldrechtlich gesamtschuldnerisch verantwortlich, sondern haftet auch zivilrechtlich für die entstandenen Schäden gegenüber den Geschädigten gemeinsam. Aufgrund der besonderen Sachverhaltskonstellation in "Skanska", bei der es im Kern um die Frage der Haftung des Rechtsnachfolgers eines Kartellteilnehmers ging, wurde eine allgemeine zivilrechtliche Haftung der Mutter- für die Tochtergesellschaft nicht expressis verbis festgestellt. Gleichwohl wurde das Urteil in der kartellrechtlichen Praxis vielfach in eben diesem Sinne interpretiert, da die Argumentation des EuGH maßgeblich darauf ba-sierte, dass die wirtschaftliche Einheit als Ganzes hafte. Über den Fall "Skanska" hinaus-gedacht läuft dies konsequenterweise auf eine gesamtschuldnerische, aufsteigende Haf-tung der Mutter- für die Tochtergesellschaft auch im schadensersatzrechtlichen Kontext hinaus. Dieser Leseart schließt sich nun auch GA Pitruzzella ausdrücklich mit der Fest-stellung an, "[…] dass die Tragweite des Begriffs der wirtschaftlichen Einheit, […], nicht nur dann gilt, wenn die Kommission den Umfang des für die Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln verantwortlichen Unternehmens und Rechtsträger bestimmt, die in-nerhalb dieses Umfangs gesamtschuldnerisch für die verhängten Sanktionen haften, son-dern auch dann, wenn die durch ein wettbewerbswidriges Verhalten eines Unternehmens im Sinne des Wettbewerbsrechts geschädigten Einzelpersonen die zivilrechtliche Scha-densersatzklage erheben." Auf Basis der festgestellten Grenzen der wirtschaftlichen Ein-heit könne der Betroffene daher wählen, an welche rechtliche Einheit sich das Schadens-ersatzbegehr innerhalb der wirtschaftlichen Einheit richte.

III. "ABSTEIGENDE HAFTUNG" DER TOCHTER- FÜR DIE MUTTERGESELLSCHAFT?

Ausgehend von der Feststellung, dass innerhalb einer wirtschaftlichen Einheit eine aufsteigende gesamtschuldnerische Haftung für die private Rechtsdurchsetzung gelte, spricht sich GA Pitruzzella auch für eine absteigende Haftung innerhalb der wirtschaftlichen Einheit aus. Ausgangspunkt für die Bestimmung der wirtschaftlichen Einheit sei dabei stets der bestimmende Einfluss der Mutter- auf die Geschäftspolitik der Tochtergesellschaft. Bezöge man sich jedoch ausschließlich auf den bestimmenden Einfluss zur Begründung der Haftung innerhalb einer wirtschaftlichen Einheit, wäre für eine Haftung der (unbeteiligten) Tochter- für das Verhalten der Muttergesellschaft kein Raum. Definitionsgemäß übe die Tochter- nämlich nie einen bestimmenden Einfluss auf ihre Muttergesellschaft aus. Anknüpfungspunkt könne daher nur das einheitliche Verhalten am Markt zwischen den Trägern der wirtschaftlichen Einheit sein, um eine absteigende Haftung (der Tochter- für die Muttergesellschaft) zu begründen. 

Damit ein Kartellrechtsverstoß der Mutter- ihrer Tochtergesellschaft zugerechnet werden könne, müsse sich die Tochtergesellschaft somit grundsätzlich an der wirtschaftlichen Tätigkeit des Unternehmens beteiligt haben, das von der kartellrechtswidrig handelnden Muttergesellschaft geleitet werde. Im Falle der absteigenden Haftung könne sich die Einheitlichkeit der wirtschaftlichen Tätigkeit im Wesentlichen nur daraus ergeben, dass "[…] die Tätigkeit der Tochtergesellschaft gewissermaßen für die Verwirklichung des wettbewerbswidrigen Verhaltens erforderlich ist (z. B. weil die Tochtergesellschaft die kartellbefangenen Güter verkauft)". Damit wird keine Notwendigkeit einer eigenen, originären Beteiligung der Tochter- an dem Kartellrechtsverstoß der Muttergesellschaft gefordert. Ihr Verhalten müsse aber dazu beigetragen haben, dass der Wettbewerbsverstoß umgesetzt wurde, mit anderen Worten, "dass [die Tochtergesellschaft] durch ihr Marktverhalten die Konkretisierung der Auswirkung der Zuwiderhandlung ermöglicht hat." Erst wenn diese Voraussetzung erfüllt sei, haften Mutter- und Tochtergesellschaft als Gesamtschuldner.

Die Schlussanträge von GA Pitruzzella stellen ein Novum in der Haftungszurechnung dar. In absteigender Linie muss neben dem bestimmenden Einfluss eine Beteiligung der Tochter- am Kartellrechtsverstoß der Muttergesellschaft dergestalt festgestellt werden, dass aufgrund des einheitlichen Verhaltens am Markt die Tochtergesellschaft die kartellbetroffenen Waren abgesetzt und dadurch den Kartellrechtsverstoß verwirklicht hat.

IV. EINORDNUNG UND AUSBLICK

Die Schlussanträge sind ein weiterer Beleg dafür, dass die private Rechtsdurchsetzung für die Sicherstellung der vollen Wirksamkeit des Art. 101 AEUV als integral angesehen wird. Sollte sich der EuGH den Ausführungen von GA Pitruzzella anschließen, würde sich die unmittelbar durch das Primärrecht determinierte zivilrechtliche Haftungsverantwortlichkeit grundsätzlich auf die wirtschaftliche Einheit und, im Falle einer Haftung in absteigender Linie, auf die Tochtergesellschaft innerhalb der wirtschaftlichen Einheit erstrecken, die einen Beitrag zu dem Kartellrechtsverstoß der Muttergesellschaft geleistet hat.

Unterschiedliche wirtschaftliche Einheiten innerhalb eines Konzerns

In konsequenter Anwendung der Feststellungen des Generalanwalts könnte es innerhalb eines Konzerns damit unterschiedliche wirtschaftliche Einheiten geben. Während sich der Konzern nach den gesellschaftsrechtlichen Wertungen bestimmt, folgt die Bestimmung der wirtschaftlichen Einheit dem kartellrechtlichen, funktionalen Unternehmensbegriff. Welche einzelnen Konzerngesellschaften zu einer wirtschaftlichen Einheit zusammenzufassen sind, würde sich danach bestimmen, ob diese auf einem sachlich und geografisch zu bestimmenden Markt einheitlich auftreten.

Haftung aller Träger der wirtschaftlichen Einheit?

Da Ausgangspunkt für die Haftung nach der Vorstellung des Generalanwalts die Zugehörigkeit zu der wirtschaftlichen Einheit ist, müssen die vom Generalanwalt formulierten, die Haftung konstituierenden Voraussetzungen in absteigender Hinsicht in der Praxis konsequent angewandt werden, um einer ausufernden Haftung entgegenzuwirken. Danach bedarf es auch unter Zugrundelegung der Überlegungen des Generalanwalts der Feststellung, dass die Tochtergesellschaft wesentlich zu der Verwirklichung des mit dem Kartellrechtsverstoß verbundenen Ziels und dem Eintritt der Auswirkungen der Zuwiderhandlung beigetragen hat. Nach Ansicht des Generalanwalts soll hierfür etwa der Absatz kartellbetroffener Produkte als Kriterium in Betracht kommen.

Auch wenn die Sichtweise des Generalanwalts auf den ersten Blick einleuchten mag, ergeben sich auf den zweiten Blick doch erhebliche Zweifel, ob bereits der bloße Verwirklichungsbeitrag eine schadensersatzrechtliche Haftung der nicht am Kartellrechtsverstoß beteiligten Tochtergesellschaft auslösen kann. Dies gilt umso mehr, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Tochtergesellschaft in dieser Situation ähnlich einem undolosen Werkzeug handelt, welches weder Wissen noch Wollen in Bezug auf den Kartellrechtsverstoß aufweist und darüber hinaus dem bestimmenden Einfluss der Muttergesellschaft unterliegt. Ein Blick auf die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache "VM Remonts" (C-542/14) zeigt zudem, dass die Sichtweise des Generalanwalts nicht zwingend ist. In "VM Remonts" setzte sich der EuGH mit der Frage auseinander, wann ein (unbeteiligtes) Unternehmen für die Beteiligung eines selbstständigen (nicht konzernverbundenen) Dienstleisters an einer abgestimmten Verhaltensweise nach Art. 101 AEUV verantwortlich gemacht werden kann. Insofern stellte der EuGH fest, dass, soweit keine Kontrolle über den kartellrechtswidrig handelnden Dienstleister besteht, eine Verantwortlichkeit für dessen Verhalten nur in Betracht komme, wenn das unbeteiligte Unternehmen Kenntnis von dem Kartellrechtsverstoß hatte, diesen bewusst gefördert oder zumindest hätte vorhersehen können. Überträgt man die Konstellation aus dem Verfahren "VM Remonts" auf die absteigende Haftung hätte dies zur Folge, dass eine Haftung nur dann in Betracht kommt, wenn die Tochtergesellschaft (i) die Muttergesellschaft kontrolliert (was definitionsgemäß ausgeschlossen ist, siehe oben), (ii) die Tochter- von dem Kartellrechtsverstoß der Muttergesellschaft Kenntnis hatte bzw. diesen fördern wollte oder, wenn (iii) der Kartellrechtsverstoß der Mutter- für die Tochtergesellschaft vorhersehbar war. Sofern weder Wissen noch Wollen bzw. eine Vorhersehbarkeit auf Seiten der Tochtergesellschaft festgestellt werden kann, sprechen trotz bestehender Kontrolle der Mutter- über die Tochtergesellschaft vor allem auch Gesichtspunkte des Eigentums- und Investitionsschutzes gegen eine Haftung der Tochter- für den Kartellrechtsverstoß der Muttergesellschaft, insbesondere wenn die Mutter- nicht zugleich 100% der Anteile an der Tochtergesellschaft hält. Andernfalls werden Minderheitsgesellschafter der haftenden Tochtergesellschaft erheblichen finanzielle Risiken für Handlungen ausgesetzt, von denen das haftende Rechtssubjekt selbst keine Kenntnis hatte und die zudem dem Einfluss der Anteilseigner gänzlich entzogen sind.  

Eine derartige "Beschränkung" der Haftung einer unbeteiligten Tochtergesellschaft ist auch mit dem Interesse potentieller Kläger vereinbar, möglichst umfassend und effektiv Rechtsschutz zu erlangen. Sofern die (eingeschränkten) Voraussetzungen einer absteigenden Haftung vorliegen, ist die Inanspruchnahme einer Tochtergesellschaft durch Geschädigte des Kartellrechtsverstoßes der jeweiligen Muttergesellschaft zwar grundsätzlich denkbar. Sind die Voraussetzungen hingegen nicht gegeben, sondern liegt lediglich ein isolierter Verwirklichungsbeitrag der Tochtergesellschaft vor, vermag die Sichtweise des Generalanwalts nicht plausibel zu begründen, wieso sich potentiell Geschädigte nicht primär an den Kartellanten (sprich die Muttergesellschaft) halten müssen. Dies gilt umso mehr, wenn berechtigte Eigentums- und Investitionsinteressen Dritter berührt werden. Vor diesem Hintergrund sprechen die gewichtigeren Gründe für eine weitergehende Einschränkung der Verantwortlichkeit der Tochtergesellschaft für Verstöße der Muttergesellschaft als sie der Generalanwalt aktuell vorschlägt.

In letzter Konsequenz bedeuten die Ausführungen des Generalanwalts, dass sich für die zivilrechtliche Haftung die wirtschaftliche Einheit durch den notwendigen "Verwirklichungsbeitrag" der Tochtergesellschaft situativ und marktbezogen bestimmen lassen muss. Für eine rein schematische Betrachtung dergestalt, dass grundsätzlich jeder Träger einer wirtschaftlichen Einheit stets und automatisch in kartellschadensersatzrechtlichen Fallgestaltungen haftet, ist damit kein Raum. 

Erstreckung der Haftung auf Schwestergesellschaften?

Auf Basis der Argumentation von GA Pitruzzella in der Rechtssache "Sumal" und der des EuGH in der Rechtssache "Skanska" lassen sich noch keine Aussagen zu der Frage der Haftung von Schwestergesellschaften innerhalb eines Konzerns treffen. Legt man die Überlegungen des Generalanwalts zugrunde, wäre eine gesamtschuldnerische Haftung in absteigender Linie jedenfalls dann abzulehnen, wenn eine Schwestergesellschaft in Anspruch genommen wird, die zwar ebenfalls unter dem bestimmenden Einfluss der Muttergesellschaft steht, aber gleichsam nicht auf dem gleichen sachlich und räumlich relevanten Markt tätig ist, etwa weil diese, auf den vorliegenden Fall übertragen, (nicht kartellbetroffene) PKW vertreibt. Dieses Ergebnis lässt sich ferner mit der Schlussfolgerung plausibilisieren, dass es innerhalb eines Konzerns mehrere wirtschaftliche Einheiten geben kann und es für die Bewertung jeweils auf die situativen und marktbezogenen Umstände des Einzelfalls ankommt.

Ausblick

Das Urteil des EuGH wird eine weitere Weichenstellung für das private enforcement bringen und wird daher von der Kartellrechtspraxis mit Spannung erwartet. Unterstellt, dass sich die Luxemburger Richter den Schlussanträgen anschließen, würde die private Rechtsdurchsetzung für Geschädigte eines Kartells durch die "Ausdehnung" der Passivlegitimation ein weiteres Mal gestärkt. Vor dem Hintergrund der Aussage des EuGH in der Rechtssache "Skanska", wonach "Schadensersatzklagen wegen Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln der Union […] einen integralen Bestandteil des Systems zur Durchsetzung dieser Vorschriften [bilden]", erscheint es zumindest wahrscheinlich, dass der EuGH sich der Sichtweise des Generalanwalts anschließen könnte. Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass auch im Falle einer solchen Entscheidung die Passivlegitimation in Zukunft keinen Automatismus im Sinne einer unbesehenen Haftung der wirtschaftlichen Einheit darstellen wird. Vielmehr wird weiterhin anhand des konkreten Einzelfalls zu prüfen sein, wen ein potentiell Geschädigter, v.a. in absteigender Linie, tatsächlich im Zusammenhang mit kartellschadensersatzrechtlichen Forderungen in Anspruch nehmen kann.

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