I. Wesentliche Punkte der Verordnung
Die bereits auf EU-Ebene bestehende Beihilfenkontrolle beschränkt sich ausschließlich auf Beihilfen von EU-Mitgliedsstaaten. Der Prüfungsbereich der Fusionskontrolle erstreckt sich ebenfalls nicht auf wettbewerbsverzerrende Drittstaatensubventionen, sodass bislang keine wettbewerbsrechtliche Kontrollmöglichkeit für derartige Investitionen bestand. Mit der neuen Verordnung über den Binnenmarkt verzerrende drittstaatliche Subventionen werden in diesem Jahr drei zusätzliche Kontrollinstrumente eingeführt, die die Kommission anwenden wird. Mit ihnen kann sie Wettbewerbsverzerrungen durch Drittstaatensubventionen in allen Wirtschaftszweigen entgegenwirken.
1. Begriff der Drittstaatensubvention
Anknüpfungspunkt der Verordnung ist die Existenz einer Drittstaatensubvention. Die Definition ist sehr weitreichend. Sie umfasst jede finanzielle Zuwendung, die direkt oder indirekt von einer Einrichtung, die einem Drittstaat außerhalb der EU zurechenbar ist, gewährt wird und einem (oder mehreren) Unternehmen mit wirtschaftlicher Tätigkeit im EU-Binnenmarkt zugutekommt (vgl. hierzu Art. 3 der Verordnung).
Insgesamt orientiert sich die Definition am bestehenden Beihilfenrecht und somit an Art. 107 AEUV, was angesichts der ähnlichen Zielsetzung nicht überraschend ist. Der europäische Gesetzgeber hat in Art. 3 Abs. 2 der Verordnung gewisse Bereiche bestimmt, bei denen er eine Verzerrung des Binnenmarktes als am wahrscheinlichsten erachtet: Steuervergünstigungen, Kapitalzuführungen, unbegrenzte Garantien und zinslose Darlehen.
2. Verzerrung des Binnenmarktes
Art. 4 Abs. 1 der Verordnung legt fest, unter welchen Umständen eine Wettbewerbsverzerrung des Binnenmarktes vorliegt. Dies ist der Fall, wenn eine drittstaatliche Subvention geeignet ist, die Wettbewerbsposition eines Unternehmens auf dem Binnenmarkt zu verbessern und die drittstaatliche Subvention dadurch den Wettbewerb auf dem Binnenmarkt tatsächlich oder potentiell beeinträchtigt. Gemäß Art. 4 Abs. 2 der Verordnung gilt es als unwahrscheinlich, dass eine drittstaatliche Subvention zu Verzerrungen auf dem Binnenmarkt führt, wenn der Gesamtbetrag der Drittstaatensubvention für ein Unternehmen EUR 4 Mio. in einem Zeitraum von drei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren nicht übersteigt. In Art. 5 der Verordnung nennt der Verordnungsgeber exemplarisch bestimmte Kategorien drittstaatlicher Subventionen, bei denen mit größter Wahrscheinlichkeit eine Verzerrung des Binnenmarkts stattfindet. Ein Beispiel hierfür ist eine Drittstaatensubvention an ein in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindliches Unternehmen, das sich ohne eine solche Subvention aus dem EU-Binnenmarkt zurückziehen würde.
3. Wesentliche Kontrollinstrumente der Kommission
Die Verordnung sieht drei verschiedene Instrumente vor, um die Vereinbarkeit der Drittstaatensubvention mit dem EU-Binnenmarkt zu überprüfen. Neben (i) einer allgemeinen Missbrauchsaufsicht gibt es (ii) ein meldebasiertes Kontrollinstrument. Daneben verfügt die Kommission (iii) über Ermittlungsbefugnisse, die sie dazu berechtigen, Nachprüfungen anzustellen und die betroffenen Unternehmen zur Erteilung einer Auskunft aufzufordern.
Eine Anmeldepflicht besteht:
a) für Zusammenschlüsse bei denen der EU-Umsatz mindestens eines der fusionierenden Unternehmen, des erworbenen Unternehmens oder des Gemeinschaftsunternehmens mindestens EUR 500 Mio. beträgt und die drittstaatlichen finanziellen Zuwendungen in den drei Jahren vor Vertragsabschluss, Veröffentlichung des Übernahmeangebots oder Erwerb einer die Kontrolle begründenden Beteiligung insgesamt EUR 50 Mio. überschreiten (Art. 20 Abs. 3 der Verordnung);
b) für Angebote im öffentlichen EU-Vergabeverfahren, sofern der geschätzte Auftragswert mehr als EUR 250 Mio. und die gewährte drittstaatliche finanzielle Zuwendung in den drei Jahren vor der Meldung oder gegebenenfalls der aktualisierten Meldung insgesamt mindestens EUR 4 Mio. pro Drittstaat beträgt (Art. 28 Abs. 1 der Verordnung).
Bei vorsätzlicher oder fahrlässiger Unterlassung der Notifizierung droht ein Bußgeld in Höhe von bis zu 10 % des weltweiten Jahresumsatzes. Für Transaktionen, die einer Anmeldepflicht unterliegen, besteht außerdem – ähnlich wie im Kartellrecht – ein Vollzugsverbot. Das bedeutet, dass eine anmeldepflichtige Transaktion nicht vollzogen werden bzw. im Rahmen eines öffentlichen Vergabeverfahrens dem betreffenden Angebot des durch Drittstaatensubventionen geförderten Unternehmens nicht der Zuschlag erteilt werden darf, bis die Kommission ihre Prüfung abgeschlossen hat. Dennoch durchgeführte Rechtsgeschäfte sind schwebend unwirksam und können mit einem Bußgeld in Höhe von bis zu 10% des weltweiten Jahresumsatzes belegt werden.
Außerhalb dieser beschriebenen meldepflichtigen Vorgänge sieht die Verordnung ein allgemeines Marktuntersuchungsinstrument für jedwede andere Marktsituation vor, bei der die Kommission eine drittstaatliche Subvention vermutet. Die Kommission ist hierbei berechtigt, eine Ad-hoc (An-)Meldung zu verlangen und von Amts wegen zu prüfen, ob eine wettbewerbsverzerrende drittstaatliche Subvention vorliegt. Im Rahmen der Prüfung hat die Kommission das Recht, Informationen im Wege eines Auskunftsverlangens oder durch Nachprüfungen einzuholen.
4. Ablauf des Prüfverfahrens
Im Kontext von M&A wird das Prüfverfahren für anmeldepflichtige Zusammenschlüsse eine ähnlich bedeutende Rolle spielen wie das bereits bestehende Fusionskontrollverfahren. Das Verständnis des Ablaufs des Prüfverfahrens ist daher von großer Bedeutung für das Gelingen einer meldepflichtigen M&A-Transaktion.
Das Prüfverfahren besteht aus einer Vorprüfung und – sofern ausreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen einer wettbewerbsverzerrenden Drittstaatensubvention bestehen – einer Hauptprüfung. Insgesamt ähnelt dieses zweistufige Verfahren dem Verfahren der Fusionskontrolle.
Vorprüfverfahren
In der Vorprüfung untersucht die Kommission, ob ausreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Drittstaatensubvention bestehen und ob diese wahrscheinlich eine Beeinträchtigung des EU-Binnenmarktes verursacht. Die Prüffrist für das Vorprüfverfahren beträgt 25 Arbeitstage nach Eingang der vollständigen Anmeldung. Wenn ausreichende Anhaltspunkte gegeben sind, wird das Hauptprüfverfahren eröffnet. Andernfalls informiert die Kommission die beteiligten Unternehmen und beendet die Prüfung. In diesem Fall endet auch das Vollzugsverbot.
Hauptprüfverfahren
Im Rahmen des Hauptprüfverfahrens überprüft die Kommission ihre im Vorprüfverfahren gewonnene Einschätzung und untersucht eingehend, ob eine wettbewerbsverzerrende Drittstaatensubvention tatsächlich – und nicht nur wahrscheinlich – vorliegt. Im Grundsatz beträgt die Frist für das Hauptprüfverfahren 90 Arbeitstage. Diese Frist kann um weitere 15 Arbeitstage verlängert werden, falls die beteiligten Unternehmen freiwillig sogenannte Verpflichtungszusagen (Commitments) unterbreiten, um Verzerrungen des EU-Binnenmarktes vorzubeugen. Zudem können die beteiligten Unternehmen in diesem Fall einmalig eine Fristverlängerung beantragen oder gemeinsam mit der Kommission eine Frist vereinbaren. Die Gesamtdauer der möglichen Fristverlängerungen beträgt 20 Arbeitstage. In Ausnahmefällen kann die Kommission die Fristen aussetzen. Wenn die Kommission bei Ablauf der Frist(en) noch keinen Beschluss erlassen hat, dürfen die beteiligten Unternehmen den geplanten Zusammenschluss vollziehen.
Als Entscheidungsgrundlage im Hauptprüfverfahren dient der sogenannte "balancing test" (vgl. hierzu Art. 6 der Verordnung). Hierbei wägt die Kommission ab, inwieweit die negativen Auswirkungen der Drittstaatensubvention auf den EU-Binnenmarkt durch positive Auswirkungen aufgewogen werden können. Kriterien, die als Anhaltspunkte bei der inhaltlichen Prüfung dienen können, sind z.B. die Höhe und Art der Subvention, die Wettbewerbsbedingungen, die Wirtschaftstätigkeit sowie der Zweck, die Bedingungen und die Verwendung der Subvention. Zu berücksichtigen sind auch etwaige Auswirkungen in Bezug auf die einschlägigen politischen Ziele der EU. Mit Blick auf die Abwägungsentscheidung ist die Kommission verpflichtet, bis spätestens zum 12. Januar 2026 Leitlinien zu erlassen.
Rechtsfolge
Nach Abschluss der Prüfung über die Vereinbarkeit der Drittstaatensubvention mit dem EU-Binnenmarkt kann die Kommission den Vollzug eines subventionierten Zusammenschlusses oder die Vergabe eines öffentlichen Auftrags an einen subventionierten Bieter genehmigen oder untersagen. Sofern dieser bereits erfolgt ist, hat eine Rückabwicklung zu erfolgen, die zu erheblichen Schäden bei den beteiligten Unternehmen führen kann. Die Kommission kann den beteiligten Unternehmen auch strukturelle und verhaltensbezogene Abhilfemaßnahmen auferlegen, es sei denn sie hat Verpflichtungszusagen der betroffenen Unternehmen angenommen. Mögliche Abhilfemaßnahmen sind beispielsweise die Veräußerung von bestimmten Vermögenswerten, der Abbau von Kapazitäten, die Verringerung der Marktpräsenz oder das Verbot eines bestimmten Marktverhaltens. Im Rahmen der Entscheidung, ob und in welchem Umfang diese Abhilfemaßnahmen erforderlich sind, hat die Kommission die Ergebnisse ihrer Abwägung einzubeziehen. Dabei muss der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden, und die Zusagen oder Maßnahmen müssen die durch die drittstaatliche Subvention tatsächlich oder potenziell verursachte Verzerrung vollständig und wirksam beseitigen (vgl. hierzu Art. 7 der Verordnung). Gegen Beschlüsse der Kommission kann die Nichtigkeitsklage gemäß Art. 263 AEUV vor dem Gericht der EU erhoben werden.